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Versunkene Stadt. Unter anderem Roland Emmerichs Film „The Day After Tomorrow“ entwarf ein Katastrophenszenario, in dem der Golfstrom zusammengebrochen war. Europa und Nordamerika hatten im Film mit einer neuen Eiszeit zu kämpfen.

© Cinetext Bildarchiv

Klimawandel: Unstete Strömung

Schwankungen der Atlantikzirkulation beeinflussen das Klima Europas unmittelbar. Das könnte zum mittelalterlichen Klimaoptimum, zur Kleinen Eiszeit (1400–1850) und auch zur Erwärmung der Arktis im 20. Jahrhundert beigetragen haben. Der Blick in die Zukunft jedoch ist kompliziert.

Der Golfstrom könnte versiegen und Europa und Nordamerika eine neue Eiszeit erleben – solche Berichte las man noch vor wenigen Jahren. Auch Hollywood weidete sich im Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ an dem Szenario. Dann wurde es still um den Golfstrom.

Vor kurzem schien sich das Blatt zu wenden. Mehrere deutsche Medien gaben Entwarnung: Der Golfstrom werde wider Erwarten stabil bleiben. Doch die Wissenschaft gab weder einen Anlass für die Dramatisierung in früheren Berichten noch für die jüngste Entwarnung.

Denn der Golfstrom kann gar nicht zusammenbrechen – das Szenario betrifft vielmehr die großräumige Atlantikzirkulation. Deren Kollaps im 21. Jahrhundert (bedingt durch die globale Erwärmung) gilt allerdings als sehr unwahrscheinlich. Forscher interessiert zunehmend ein ganz anderer Aspekt. Sie versuchen zu verstehen, wie die Schwankungen dieser Atlantikzirkulation funktionieren. Denn sie haben einen enormen Einfluss auf das Klima. Jede Woche werden mehrere Studien zur Atlantikzirkulation publiziert.

Das großräumige, in die Tiefe reichende Zirkulationssystem im Atlantik ist gigantisch: Es reicht von der Arktis bis zur Antarktis und heißt „Umwälzzirkulation“. Je nach Breitengrad fließen bis zu 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde an der Oberfläche nach Norden. Das ist hundert Mal so viel Wasser, wie der Amazonas mit sich führt. Im kalten Norden angekommen, sinkt das Wasser ab. In drei bis vier Kilometer Tiefe kehrt es mit der Strömung nach Süden zurück.

Die Wasserzirkulation im Nordatlantik
Die Wasserzirkulation im Nordatlantik

© Nature/TSP

Das Ungewöhnliche an dieser Zirkulation ist, dass sie riesige Mengen Wärme über den Äquator hinweg nach Norden transportiert. Die Heizleistung entspricht mehr als einer Million Kraftwerke. Schwillt die Strömung an, wird es auf der Nordhalbkugel wärmer und auf der Südhalbkugel kälter. Bei einer Abschwächung ist die Veränderung umgekehrt.

Schwankt die Stärke der Umwälzzirkulation, ist das rings um den Atlantik deutlich zu spüren. Dürren in der Sahelzone sind eine mögliche Folge. In den 1990er Jahren veränderte die Umwälzzirkulation auch das Klima Europas merklich, berichteten Rowan Sutton und Buwen Dong von der Universität Reading im Fachjournal „Nature Geoscience“. Demnach erwärmte sich Mitte der 1990er Jahre der Nordatlantik teilweise um ein Grad Celsius. Daraufhin stieg die Lufttemperatur, andere Wetterlagen wurden dominant: Seit dem Umschwung gibt es im Norden und in der Mitte des Kontinents häufiger feuchte Sommer, während der Sommer in Südeuropa noch heißer und trockener ausfällt als früher.

Ausgelöst hat das offenbar der warme Nordatlantik, als in den 1990er Jahren die Umwälzzirkulation anschwoll. Das gleiche sei in den 1950er Jahren schon einmal passiert, schreiben die Forscher.

Sie wüssten gern, wie es mit der Zirkulation in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitergeht. Nicht nur für die Landwirtschaft wäre diese Information sehr wertvoll. Schwächt sie sich vielleicht wieder ab? Noch steht die Vorhersage der Zirkulation am Anfang.

Damit Klimamodelle sie richtig wiedergeben, müssen sie selbst kleine Wasserwirbel gut abbilden. Diese Wirbel tragen dazu bei, dass die atlantische Umwälzzirkulation überhaupt fließt: Durch sie werden Wasserschichten in den Tropen vermischt – das transportiert Wärme in die Tiefe. Außerdem lassen die Winde rings um die Antarktis dort Wasser zur Oberfläche aufsteigen. Beide Faktoren sorgen dafür, dass zum Ausgleich im Nordatlantik kalte Wassermassen absinken. Das hält die Umwälzzirkulation in Gang.

Den Versuch einer kurzfristigen Vorhersage hat ein Team um Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg publiziert. Die Forscher berichteten im Fachmagazin „Science“, die Zirkulationsstärke bei 26,5 Grad nördlicher Breite lasse sich über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorhersagen. Abgesehen von jahreszeitlichen Schwankungen bleibe die Strömung vorerst konstant. Sybren Drijfhout und zwei Kollegen vom Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut in De Bilt schreiben dagegen im „Journal of Climate“ , dass die Wassertemperaturen des Nordatlantiks Indizien dafür lieferten, dass sich die Zirkulation im 21. Jahrhundert abschwächen könnte.

Um solche Prognosen zu testen, braucht man Beobachtungen. Sie zeigen, wie sich die Umwälzzirkulation über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg wirklich verhält. Allerdings können Forscher erst seit etwa zehn Jahren direkt messen, wie stark die Zirkulation ist und wie sehr sie schwankt. Den früheren Verlauf müssen sie indirekt ermitteln, zum Beispiel mit Klimazeitreihen. Seit Thermometer in Europa regelmäßig die Temperatur erfassen, wird ein 70-Jahres-Zyklus in den Lufttemperaturen beobachtet. Vermutlich hat er mit dem Atlantik zu tun. Einige Teams haben in den letzten Jahren Hinweise gefunden, dass der 70-Jahre-Zyklus die globale Mitteltemperatur beeinflusst. Demnach geht ein Teil der Erwärmung seit 1980 auf diesen Zyklus zurück.

Wer jedoch für eine Klimaprognose den 70-Jahre-Zyklus einfach fortschreiben will, könnte sich irren: Die Schwankungen müssen nicht periodisch weitergehen. In den letzten 600 Jahren seien die Klimazyklen unregelmäßig gewesen, berichtete Petr Chylek vom Los Alamos National Laboratory in den USA. Um historische Temperaturen zu ermitteln, hat er zusammen mit Kollegen Eisbohrkerne aus Grönland und Kanada untersucht. Die arktischen Temperaturen schwankten mal im 20-Jahre-Takt, dann wieder alle 45 bis 65 Jahre, schrieb das Team in den „Geophysical Research Letters“.

Außerdem gebe es weitere, wesentlich trägere Schwankungen, die sich über Jahrhunderte hinziehen, berichtete ein Team um Alan Wanamaker von der Universität von Iowa im Fachjournal „Nature Communications“. Er und seine Kollegen analysierten Schalen von Muscheln, die nördlich von Island gelebt hatten – ein Klimaarchiv über 1357 Jahre. Der Gehalt eines Kohlenstoffisotops in den Schalen verrät, ob das Meerwasser, das vorbeiströmte, aus dem warmen Atlantik oder dem kalten Arktischen Ozean stammte. Die Autoren mutmaßen anhand der Resultate, dass die Umwälzzirkulation langsam an- und abschwoll. Das könnte seinen Teil zum mittelalterlichen Klimaoptimum (950–1250), zur Kleinen Eiszeit (1400–1850) und auch zur Erwärmung der Arktis im 20. Jahrhundert beigetragen haben, schreiben die Forscher.

Nicht nur diese Studien zeigen: Die Schwankungen der Umwälzzirkulation haben enorme klimatische Folgen. Sie sind weit über Europa hinaus spürbar. Keine Vorhersage wird in Zukunft ohne sie auskommen.

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