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Körpergröße von Säugetieren: Wachsen bis zum Aussterben

Als die Dinosaurier verschwanden, wuchsen die Säugetiere innerhalb weniger Millionen Jahre um das Tausendfache und wurden zu Riesen. Aber der Größenwahn hat auch Nachteile.

Ein Fall aus großer Höhe endet ganz verschieden, je nachdem wie groß ein Tier ist. „Eine Ameise bleibt unverletzt, ein Mensch bricht sich die Knochen, ein Pferd platzt“, fasste der britische Biologe J. B. S. Haldane das 1928 zusammen.

Das Experiment würde wohl keine Ethikkomission erlauben, aber mit anderen Methoden erforschen Wissenschaftler bis heute, welche Vor- und Nachteile ein großer Körper mit sich bringt. So hat ein Team von Biologen, Paläontologen und Ökologen untersucht, wie sich die Körpergröße von Säugetieren im Laufe der Evolution geändert hat. Das Ergebnis, das sie diese Woche im Fachblatt „Science“ (Band 330, Seite 1216) präsentieren: Säugetiere haben einen enormen Wachstumsschub hinter sich.

Die Forscher inspizierten Fossilien längst ausgestorbener Säugetierarten der letzten 65 Millionen Jahre. Das plötzliche Ende der Dinosaurier läutete damals den Aufstieg der Säugetiere ein. „Wir sind durch jede Epoche gegangen und haben gesagt: O. k., was ist das größte Tier in dieser Säugetiergruppe?“, sagt John Gittleman von der Universität Athens im US-Bundesstaat Georgia.

Als die Säugetiere sich die Erde noch mit den Dinosauriern teilten, lag ihre Körpergröße zwischen drei Gramm und 15 Kilogramm, schreiben die Wissenschaftler. Aber nach dem Aussterben der Riesenechsen wuchsen sie innerhalb weniger Millionen Jahre auf das Tausendfache heran und brachten Kolosse wie die Deinotherien, Vorfahren der heutigen Elefanten, hervor. Diese Entwicklung vollzog sich auf allen Kontinenten gleichermaßen. Das Wachstum begann sehr schnell und flachte dann vor 40 Millionen Jahren langsam ab. Vor 34 Millionen Jahren war dann offenbar Schluss mit dem Größenwahn. Mit Indricotherium transouralicum, einer Art Riesennashorn ohne Horn, tauchte das gewaltigste Säugetier auf, das jemals die Erde betrat: mit einer Schulterhöhe von fast 5 Metern und einem Gewicht von 17 Tonnen.

Große Pflanzenfresser haben dabei klare Vorteile gegenüber kleinen

Grund für diese Explosion der Körpergröße war wohl die Fülle unbesetzter ökologischer Nischen, die den Säugetieren plötzlich zur Verfügung standen und in die sie förmlich hineinwuchsen. „Als die Dinosaurier verschwanden, war plötzlich niemand mehr da, der die Vegetation fraß, und die Säugetiere begannen, das auszunutzen“, sagt Jessica Theodor von der Universität Calgary. Große Pflanzenfresser haben dabei klare Vorteile gegenüber kleinen.

„Das liegt vor allem an der Verdauung“, erklärt Theodor. Besonders Blätter und Gras bestehen aus vielen Stoffen wie Zellulose, die Säugetiere nur mithilfe von Bakterien verwerten können. „Je größer ein Tier ist, umso länger braucht die Nahrung für den Weg durch das Verdauungssystem und umso mehr Zeit haben die Bakterien, ihre Arbeit zu erledigen“, sagt die Forscherin. Die großen Tiere verdauen also langsamer – und haben deswegen mehr von ihrer Nahrung. Hinzu kommt, dass große Tiere weniger Fressfeinde haben und Körperwärme effizienter nutzen, weil ihre Körperoberfläche im Verhältnis zur Masse abnimmt. Im Tierreich gilt also: Größe ist gut. Der Paläontologe Edward Cope stellte schon im 19. Jahrhundert die Regel auf, dass eine Gruppe von Tieren im Laufe der Evolution immer größer wird.

Auch für Fleischfresser scheint Körpergröße zunächst vorteilhaft zu sein. Schließlich fällt es leichter, ein Tier zu jagen und zu töten, wenn man in etwa derselben Gewichtsklasse spielt. Außerdem müssen die Räuber mit anderen Räubern derselben und anderer Arten konkurrieren und da gilt häufig: Der Größere und Stärkere gewinnt. Kein Wunder also, dass auch die Fleischfresser immer größer wurden.

Wachstum bringt auch eine Diätumstellung mit sich

„Die größten Fleischfresser werden aber nie so groß wie die größten Pflanzenfresser“, sagt Theodore. Der Grund: Fleischfresser brauchen viel mehr Energie als Pflanzenfresser. Während die den ganzen Tag vor sich hin grasen und kauen können, fristen Jäger ein anstrengenderes Dasein. Im Schnitt legt ein Raubtier am Tag dreimal so viel Weg zurück wie ein Pflanzenfresser derselben Größe. Deshalb bringt das Wachstum auch eine Diätumstellung mit sich. Sobald Jäger ein Gewicht von etwa 21 Kilogramm erreichen, lohnt sich die Jagd auf kleinere Tiere nicht mehr. Der Aufwand an Energie und Zeit ist schlicht zu groß.

Und es gibt einen großen Nachteil: Je größer ein Fleischfresser wird, umso empfindlicher reagiert er auf Umweltveränderungen. Das berichteten britische Forscher diese Woche im Fachblatt „Biology Letters“. Chris Carbone von der Zoologischen Gesellschaft London und seine Kollegen untersuchten 199 Populationen von 11 Fleischfressern unterschiedlicher Größe, Füchse, Wiesel, Eisbären, Leoparden, Löwen. Dabei verglichen sie jeweils, wie sich Änderungen in der Zahl der Beutetiere auf die Zahl der Jäger auswirkten. Die Studie zeigt eindrücklich, wie viel empfindlicher große Tiere sind. „Wenn die Population der Beutetiere um zehn Prozent abnimmt, dann würde eine Population von Wieseln auch um etwa zehn Prozent abnehmen, eine Population von Eisbären aber um 50 Prozent“, sagt Carbone.

Es sind gerade ihre Waffen, ihre Schnelligkeit und ihre Stärke, die die großen Jäger so verletzlich machen. „Jagen ist sehr anstrengend und die Tiere müssen ihre Jagdausrüstung, die Muskeln, die Zähne, die Krallen, immer mit sich rumschleppen“, sagt Carbone. Das kann sich in guten Zeiten zwar lohnen, aber in schlechteren Zeiten wird der Nachteil schnell zum Todesurteil. Tatsächlich hat eine Studie im Magazin „Science“ schon 2004 gezeigt, dass große Raubtierarten in Nordamerika in der Regel schneller ausstarben als andere Arten. Die großen Räuber sind also imposant, aber wie beim Fall aus großer Höhe sind es am Ende die kleinen Tiere, die unverletzt davonkrabbeln.

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