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Kolumne: Freie Sicht: Die Autonomie verteidigen

1993 entließ das niederländische Parlament die Universitäten der Niederlande in die Freiheit. Damit war bereits in den 80er Jahren begonnen worden, als sämtliche staatlichen Entscheidungen über das Hochschulwesen in die Hochschulen verlagert wurden.

1993 entließ das niederländische Parlament die Universitäten der Niederlande in die Freiheit. Damit war bereits in den 80er Jahren begonnen worden, als sämtliche staatlichen Entscheidungen über das Hochschulwesen in die Hochschulen verlagert wurden.

Deutschland hat 20 Jahre länger gebraucht, um diese Schritte einzuleiten. Am fortschrittlichsten ist Nordrhein-Westfalen, das sogar das Berufungsrecht in die Hochschulen verlagert hat, während dieses zum Beispiel für Berlin nicht gilt.

In einigen Bundesländern möchte die Politik über die Geldvergabe auf die Inhalte von Forschung Einfluss nehmen, in anderen auf die administrative Struktur der Hochschulen durch ministerielle Vorgaben. Praktisch nirgendwo definiert die Hochschule die individuelle Bezahlung. Sie ist durch Tarife oder „Vergaberahmen“ für Professorengehälter festgelegt. Und es gibt bereits Tendenzen der Rückwärtsentwicklung: So veranstaltete ein Wissenschaftsministerium unlängst eine Tagung zum „Autonomieversagen“ der Hochschulen, um zum staatlichen Durchsteuern zu blasen.

Wenn Bürger und Wähler, Steuerzahler und Menschen, die in den Genuss wissenschaftlichen Fortschritts kommen wollen, dabei tatenlos zuschauen, sollten sie Folgendes wissen: Hochschulautonomie war eine Errungenschaft des frühen 19. Jahrhunderts, nur in den beiden deutschen Diktaturen wurde sie unterbrochen. Autonomie heißt nicht, tun und lassen zu können, was man will, also gar Faulheit und Dummheit zu tolerieren, sondern Hochschulautonomie heißt, einer Besonderheit des Unternehmens „Wissenschaft“ gerecht zu werden: dass wissenschaftliches Denken nur erfolgreich ist, wenn es nicht politisch gesteuert ist, sondern den Erfordernissen des Erkenntnisprozesses und seinen Methoden folgt.

Die wissenschaftlichen Revolutionen der Vergangenheit sind ausnahmslos in den Köpfen von Forschern und aus den Diskursen von Wissenschaftlern hervorgegangen, nicht aus bestellter Forschung. Gleiches gilt für die Lehre: Neue Fächer und Studiengänge entstehen im Dialog zwischen Arbeitsmarkt und Wissenschaft und nicht auf staatlichen Knopfdruck.

Ein schlagendes Beispiel: Noch kurz vor der Einführung der Hochschulverträge strich das Land Berlin in der Freien Universität das Fach Informatik mit der Begründung, Informationstechnologie habe keine Zukunft. Die Universitätsleitung sicherte das Fach dennoch ab, indem die anderen Fächer einen solidarischen Rettungsbeitrag leisteten. Bleibt zu hoffen, dass kein Bürger sich vormachen lässt, gewählte Politiker müssten doch darüber entscheiden, welche Forschung und welche Wissenschaft mit ihrem Geld betrieben werden.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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