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Anthrax-Bakterien

© Muhsin Özel, Gudrun Holland/RKI

Kolumne "Was Wissen schafft": Peinliche Pannenserie

Anthrax, Pocken, Vogelgrippe: US-Hochsicherheitslaboren sind peinliche Fehler unterlaufen. Glücklicherweise hat sich niemand infiziert. Besorgte Forscher fordern nun verschärfte Regeln für die Biosicherheit. Vielleicht würde schon etwas Bescheidenheit helfen, meint unsere Autorin.

Nicht akzeptabel. Unentschuldbar. Das darf sich keinesfalls wiederholen. Die obersten Gesundheitsschützer der USA sind verärgert. Mit gutem Grund. Denn ausgerechnet bei der amerikanischen Seuchenbehörde CDC in Atlanta und bei den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) in Bethesda hat sich in den vergangenen Wochen eine Serie von Pannen und Zufallsentdeckungen ereignet, die Beobachtern die Haare zu Berge stehen lassen.

Es begann im Juni mit Anthrax. Das Bioterror-Labor der CDC hatte ein chemisches Bad ausprobiert, um die Bakterien unschädlich zu machen. Ob das funktioniert hat oder nicht, sollten die Forscher nach 48 Stunden überprüfen. Sie warteten aber nur halb so lang, bevor sie das Anthrax an Kollegen in einem weniger streng gesicherten Labor weitergaben. Eine Woche lang arbeiteten Dutzende Menschen vergleichsweise ungeschützt mit den Proben. Erst als die Petrischalen entsorgt werden sollten, stellte sich heraus: Die Bakterien lebten noch. Die betroffenen Mitarbeiter bekamen vorsorglich Antibiotika oder eine Impfung. Keiner wurde krank. Das Bioterror-Labor ist bis auf weiteres geschlossen.

Dann waren die Pocken dran. Anfang Juli räumten Wissenschaftler der Nationalen Gesundheitsinstitute einen ungenutzten Kühlraum auf. In einem Karton fanden sie sechs Glasröhrchen mit der Aufschrift „Variola“, vergessen und nirgendwo verzeichnet. Seit diese Menschheitsplage ausgerottet wurde, dürfen weltweit nur zwei streng gesicherte Labore in den USA und Russland mit Pocken forschen und sie lagern. Vor Jahrzehnten wurde jeder Winkel nach Restbeständen abgesucht. Dachte man zumindest. Um den Kühlraum hatte sich offensichtlich niemand gekümmert.

Dabei gehörte er zwischen 1946 und 1964 zur NIH-Abteilung für Biologische Standards, die die Wirksamkeit von Impfstoffen überprüfte. Zwölf Kartons mit 327 Glasröhrchen lagerten dort jahrzehntelang. Darin eingeschlossen waren unter anderem Rickettsien, Dengue- und Grippeviren. In zwei der sechs Variola- Röhrchen verbargen sich vermehrungsfähige Pocken. Die NIH macht nun eine gründliche Inventur – nicht nur in den Gefrierschränken der Hochsicherheitslabore, sondern in jedem Kühl- oder Lagerraum, in jedem Regal, das je zu einem Labor gehört hat.

Wochen vergingen, ehe der Vorfall der Leitung gemeldet wurde

Der dritte Vorfall betraf Vogelgrippe-Viren. Ein Labor des US- Landwirtschaftsministeriums wollte im März testen, wie sich das nicht besonders gefährliche Grippevirus H9N2 auf Geflügel auswirkt. Die Hühnchen starben wie die Fliegen. Die Virusproben, die die Forscher von der Grippeabteilung der CDC bekommen hatten, waren mit dem gefährlichen Vogelgrippevirus H5N1 verunreinigt. Ende Mai meldeten sie das der CDC. Es dauerte noch einmal anderthalb Monate, bis dort die Führungsebene über die Panne informiert wurde.

Der Direktor der CDC untersagte daraufhin seinen Hochsicherheitslaboren, biologisches Material mit anderen Laboren auszutauschen. Er hat eine interne Untersuchung angeordnet, er will aus den Fehlern lernen und eine "Kultur der Laborsicherheit" etablieren. Außerdem plädiert er dafür, die Zahl der Hochsicherheitslabore auf ein Mindestmaß zu begrenzen. In den USA hatte sich ihre Zahl nach dem 11. September verdreifacht. Er werde alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt, sagte Tom Frieden einem Ausschuss des US-Kongresses.

Virologen sind auch nur Menschen. Sammelwütig, vergesslich, nachlässig, gestresst. Deshalb gibt es strenge Regeln für den Umgang mit hochinfektiösen Erregern, deshalb wird alles doppelt und dreifach gesichert. Das schützt Forscher und Allgemeinheit vor Pannen, die im schlimmsten Fall eine Pandemie auslösen können. Doch die Regeln müssen beachtet, ihre Durchsetzung immer wieder kontrolliert werden.

Es ist nichts passiert, niemand hat sich infiziert. Trotzdem sei die Pannenserie ein Weckruf, dass selbst in den besten Laboren Unfälle geschehen, meint eine Gruppe von 20 besorgten Wissenschaftlern. Die "Cambridge Working Group" nutzen die Vorfälle, sie wünscht sich eine neue Debatte über Biosicherheit und die Experimente, bei denen (Grippe-)Viren zusätzlich angeschärft werden. Die Risiken und der erwartete Nutzen für die globale Gesundheit sollen sorgfältig und realistisch abgewogen werden, schreiben sie. Der Haken ist nur: Eine einfache Formel gibt es dafür nicht.

Die Pannen betreffen uns doch gar nicht, tönte es daraufhin aus den umstrittenen Vogelgrippelaboren. Bei uns kommt so etwas nicht vor! Das mag sein, schließlich werden diese Labore mit Argusaugen beobachtet. Wenn andere dem Vorbild nacheifern, könnte das ganz anders aussehen. Die forschen Antworten tragen auch nicht dazu bei, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Biosicherheit zu stärken. Vielleicht würde schon etwas Bescheidenheit helfen.

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