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Kaum noch kontrollierbar. Klebsiella pneumoniae hat bereits Varianten entwickelt, gegen die gar kein oder nur ein altes Reserveantibiotikum hilft.

© RKI, Gelderblom

Kolumne "Was Wissen schafft": Zwischen Hoffnung und Hype

Forscher haben in nasser Erde ein neues Antibiotikum entdeckt und wurden dafür geradezu als Heilsbringer gefeiert. Dafür ist es noch zu früh, meint unsere Autorin.

Noch in diesem Jahrhundert könnte eine Ära beginnen, in der wir Infektionen nicht mehr mit Antibiotika behandeln können, warnte die Weltgesundheitsorganisation im vergangenen Jahr. Ähnlich drastisch formulierten es Forscher in einem Bericht für die britische Regierung. 2050 könnten Killerkeime weltweit zehn Millionen Menschen töten – mehr als derzeit Krebs.

Angesichts solcher Horrorszenarien wurden in der vergangenen Woche Wissenschaftler aus Boston und Bonn geradezu als Heilsbringer gefeiert. Ein Team um Kim Lewis von der Northeastern University hat einen Wirkstoff entdeckt, der Krankenhauskeime wie MRSA, den Durchfallerreger Clostridium difficile oder multiresistente Tuberkulose sehr erfolgreich beseitigt. Noch besser: Die Bakterien haben kaum eine Chance, dagegen resistent zu werden. „Ein Durchbruch“, jubelten viele Journalisten. Forscher sind vorsichtiger. Sie finden das neue Antibiotikum allenfalls „vielversprechend“.

Mikroben entwickeln seit Milliarden Jahren Waffen, um sich gegenseitig auszuschalten. Das Bodenbakterium Eleftheria terrae ist offenbar besonders wehrhaft. Es produziert Teixobactin. Der Stoff heftet sich an zwei Fettbausteine an, die andere Bakterien brauchen, um ihre Zellwände aufzubauen und vor dem Einsturz zu bewahren. Der Doppelschlag sitzt, zeigten die Forscher im Labor. Wo Teixobactin ist, kann eine ganze Gruppe von Bakterienarten nicht gedeihen. Sie können nicht einmal zu ihrem Schutz die Struktur der Fettbausteine verändern. Die Resistenzbildung könnte deshalb mehr als 30 Jahre dauern, hoffen die Forscher. Anders als befürchtet tötet Teixobactin auch nicht wahllos. Säugetierzellen lebten in der Petrischale normal weiter; Mäuse erlitten ebenfalls keine schweren Nebenwirkungen.

Teixobactin ist kein Wundermittel

Trotzdem ist Teixobactin nicht das Wundermittel, das uns vor der post-antibiotischen Ära bewahrt. Erstens wissen wir bereits, dass es gegen die gefährlichsten Keime nichts ausrichten kann. Klebsiella pneumoniae zum Beispiel – ein Bakterium, gegen das teilweise höchstens ein uraltes Reserve-Antibiotikum hilft – hat wie der Bodenkeim Eleftheria terrae eine zusätzliche, für das Mittel undurchdringliche Schutzschicht. Beide Mikroben gehören zu den mehrfach umhüllten Erregern. Leider ist das jene Bakteriengruppe, gegen die es ohnehin nur wenige Antibiotika gibt.

Zweitens ist ungewiss, ob Teixobactin Menschen helfen kann. Bisher hat es nur Mäuse geheilt, die mit MRSA oder Tuberkulose infiziert waren. Frühestens in zwei Jahren darf der erste Mensch das Mittel in einer Studie bekommen, sofern bis dahin alle Tests wie erhofft verlaufen. Das schafft normalerweise einer von 1000 Wirkstoffen. Danach wird die Effektivität und Verträglichkeit bei Patienten überprüft. Das dauert noch einmal Jahre und ist eine Hürde, die nur wenige Mittel überwinden.

Sollte es zugelassen werden, muss sich drittens immer noch das Verhalten der Menschen ändern. Es dürfen nur die Patienten ein Antibiotikum bekommen, die es dringend brauchen. Hygieneregeln einzuhalten, muss selbstverständlich sein. Sonst wird irgendwann jede Waffe stumpf. Auch wenn sie noch so gut ist.

Bodenmikroben gedeihen dank der neuen Technik im Labor

Spannender als Teixobactin ist die Technik, mit der die Forscher es buchstäblich im Dreck – genauer: in nasser Erde unter einem Rasenstück in Maine – fanden. Bis 1962 wurden 20 Antibiotikaklassen entdeckt, danach nur noch zwei. Seit Mitte der 80er Jahre herrscht praktisch Stillstand. Das Problem ist nicht nur, dass die Suche teuer und die Gewinnaussichten für die Pharmafirmen minimal sind. Synthetische Stoffe beseitigen Bakterien nicht so effektiv wie jene, die die Natur erzeugt. Doch 99 von 100 Bodenmikroben lassen sich nicht in der Petrischale für die Menschen einspannen. Sie vermehren sich einfach nicht.

Die Forscher können ihnen nun mit dem „iChip“ vorgaukeln, dass sie weiter in ihrer gewohnten Umgebung sind. Sie tauchen die fünf Zentimeter lange Platte in Erde und verdünnen sie dann so lange, bis in jedem der 306 kleinen Kanäle nur eine Mikrobe übrig ist. Dann werden die Löcher mit einer halbdurchlässigen Membran überzogen und erneut mit Erde bedeckt. Die Bakterien bekommen alle Nährstoffe, die sie brauchen; etwa die Hälfte der Arten überlebte das. Die Forscher fanden so 25 mögliche Antibiotika. Teixobactin war erst der Anfang. Das ist die wirklich gute Nachricht.

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