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Lebensgefährlich: Blutkrebszellen gelten als besonders tückisch.

© obs/Amgen GmbH

Kongress in Berlin: "Personalisierte" Krebsmedizin weckt Hoffnungen

Beim Deutschen Krebskongress werden derzeit die Hoffnungen auf eine „personalisierte“ Krebsmedizin diskutiert. Welche neuen Entwicklungen gibt es?

Zum Beispiel Lungenkrebs: Die Diagnose ist ein großer Schock. In vielen Fällen gibt es heute keine Chance auf Heilung. Vor allem, wenn der Krebs erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wurde. Doch wer in diesem Unglück ein Quäntchen Glück hat, kann heute wenigstens einige Jahre Lebenszeit gewinnen. Denn einige nicht kleinzellige Lungenkarzinome haben in ihrem Erbgut veränderte Enzyme, die man gezielt ausschalten kann, um ihr Wachstum zu bremsen, etwa mit EGFR- oder ALK-Hemmern. Ähnliche Wachstumsbremsen, die nur bei einer Gruppe von Patienten wirken, gibt es seit einiger Zeit auch für Schwarzen Hautkrebs und für Darmkrebs.

„Die Erfolge demonstrieren, dass die Entwicklung hin zu einer individuellen, die molekulargenetischen Besonderheiten des jeweiligen Tumors adressierenden Therapie richtungsweisend ist“, sagt Wolff Schmiegel, Ärztlicher Direktor der Uniklinik in Bochum und Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft.

Die Krebsbehandlung hat die Chance, zielgerichteter zu werden

Auf deren 32. Kongress geht es derzeit in Berlin auch um die „personalisierte“ Krebsmedizin. Der Begriff ist ambitioniert, schließlich sind mit ihm die individuellen Eigenarten des Tumors gemeint, nicht so sehr die Person des Kranken. Immerhin: Die Krebsbehandlung hat die Chance, in Zukunft zielgerichteter zu werden, weil schon eine Fülle von Untergruppen bekannt ist. „Die molekularen Erkenntnisse haben unser Weltbild verändert“, sagt Schmiegel erfreut.

Das liegt vor allem an dem Tempo, mit dem Analysen der Gesamtheit von Genen und Proteinen mittlerweile möglich sind, und an den gesunkenen Kosten dafür. „Besonders die Genomik hat dadurch in den letzten Jahren großen Auftrieb erfahren“, erklärt der Kongress-Vizepräsident Ulrich Keilholz von der Berliner Charité.

Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf das Verständnis des Neuroblastoms, eine der häufigsten Krebserkrankungen von Kindern. Die Tumore, die sich etwa im Nervengeflecht beidseits der Wirbelsäule breitmachen, bilden sich zum Glück vor allem bei Babys oft ganz von selbst zurück. In anderen Fällen nehmen sie aber einen aggressiven, oftmals tödlichen Verlauf. Warum das so ist, darüber forscht auch Kongresspräsidentin Angelika Eggert, die ebenfalls an der Berliner Charité arbeitet.

Ihr Kollege Matthias Fischer von der Uniklinik in Köln konnte beim Kongress berichten, dass die Detektivarbeit am Erbgut inzwischen erfolgreich war: Die aggressiven Neuroblastome tragen, wie man jetzt weiß, Erbinformationen in sich, die auf die eine oder andere Art das Enzym Telomerase aktivieren und ihre Zellen damit unsterblich machen – weil die Enden der Chromosomen, die Telomere, dadurch stabil gehalten werden. „Drei dieser Veränderungen weisen wir heute schon routinemäßig nach“, berichtet Fischer. Der Weg zur maßgeschneiderten und sicheren Therapie ist trotzdem noch weit.

Schon wegen der Vielfalt an Untergruppen, die es heute bei den verschiedenen Krebsformen gibt, sind Studien mit einer ausreichenden Teilnehmerzahl nämlich viel schwieriger zu realisieren, wie Schmiegel betont. „Dafür sind riesige Konsortien erforderlich.“

Auch nach der Zulassung neuer Medikamente seien zudem weitere Studien nötig. Und es müsse durch interdisziplinäre Tumorkonferenzen sichergestellt werden, dass die Qualität der Behandlung überall im Land gleichermaßen stimmt. Wenn alle anderen Mittel versagen, werden neue Medikamente auch „off-label“, also ohne offizielle Zulassung, eingesetzt. Das könne in vertretbarer Form nur geschehen, wenn die Daten gesammelt werden und so Erkenntnisfortschritte ermöglichen.

Der Onkologe forderte zudem von der Politik konkrete Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die personalisierte Krebsmedizin. So müsste klar geregelt werden, welche genetischen Tests die Krankenkassen bezahlen.

„Lasst uns Amerika zu dem Land machen, das Krebs ein für alle Mal heilt“, hatte der scheidende US-Präsident Barack Obama kürzlich in seiner letzten Rede zur Lage der Nation ausgerufen. Eine schöne Vision. Auf dem Deutschen Krebskongress ging es deutlich nüchterner zu – aus gutem Grund.

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