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Vorstandsmitglieder der Bewegung libertärer Studierender Europas, korrekt gekleidet in Anzug, Kleid oder Kostüm.

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Kongress libertärer Studierender in Berlin: Grenzenlos korrekt

Sie wollen dass alle Grenzen eingerissen werden, die Zahl der Gesetze reduziert und überhaupt mehr Freiheit gewährt wird. An diesem Wochenende treffen sich Europas libertäre Studierende in Berlin.

Egal wann und wo, auf eines kann man sich bei Aleksander Pruitt verlassen: Er wird ein Plädoyer für Liberalismus halten. Ob während der Mittagspause auf dem Sonnendeck des Vorlesungsgebäudes, zwischen Kommilitonen, die müde in die Sonne blinzeln, oder um ein Uhr nachts vor der Bar, auf seiner eigenen Geburtstagsparty. Mit tadellos geknüpfter Krawatte wird er, wahlweise Bierflasche oder Smartphone in der einen Hand, mit der freien Hand seine Ansichten unterstreichen. Von somalischer Selbstjustiz bis zum Prostitutionsgesetz in Schweden – kaum ein Thema ist ihm fremd. Der Tenor: Weniger Gesetze, mehr Freiheit, der Rest regelt sich von allein.

Die Examensfrage nach eigenen Ideen für Entwicklungspolitik beantwortete Pruitt schlicht: alle Grenzen abschaffen. Er ist Teil einer Generation, für die Grenzen immer unwichtiger werden. Als Kind einer dänischen Mutter und eines amerikanischen Vaters wuchs er in England auf, studierte in den USA und Schweden und zog für seinen Master in Internationalen Studien nach Dänemark. An diesem Wochenende wird er in Berlin auf bereitwillige Zuhörer treffen. Bei der dreitägigen Konferenz von „European Students for Liberty“ (ESFL), die am heutigen Freitag beginnt, kommen libertäre Studenten aus ganz Europa an der Humboldt-Universität zusammen, um freiheitliche Ideen zu diskutieren und Gleichgesinnte zu treffen. Bei den Rednern ist vom Wirtschaftsprofessor über die Feministin bis zum Hacker alles dabei.

"Das Recht auf einem anderen Fleck seiner Wahl zu leben"

Mitorganisator Carlo von Hanstein strahlt vor Vorfreude. Der 23-jährige HU-Student war schon bei den ersten beiden Konferenzen in Leuven dabei, jetzt ist er mitverantwortlich für Räume, Caterer und alle anderen Details, die noch geregelt werden müssen. Demnächst schreibt er sein juristisches Staatsexamen, danach geht es für den Abschluss als „Europäischer Jurist“ nach London und Paris.

Trotz Prüfungs- und Organisationsstress – Müdigkeit ist ihm nicht anzumerken, wenn er irgendwann zwischen zehn und elf Uhr abends nach seinem Lieblingsthema gefragt wird. Auch Hanstein ist für weniger Grenzen, erklärt souverän verschiedene Modelle. Das Thema stehe nach der Diskussion um die Flüchtlinge auf Lampedusa ganz oben auf der libertären Agenda. „Ich denke, dass jeder ein Ungerechtigkeitsgefühl empfindet, wenn jemand, nur weil er auf einem bestimmten Fleck der Erde geboren ist, nicht das Recht hat, auf einem anderen Fleck seiner Wahl zu leben.“

Es ist dieses Gefühl der Ungerechtigkeit und Unfreiheit, das die Bewegung antreibt. „Alle Jungs und Mädels, mit denen ich hier zusammenarbeite, brennen für die Sache“, sagt von Hanstein. Libertarismus ist nicht nur ein Hobby für ihn, es ist eine Überzeugung, die zuweilen an Religion erinnert. Er zitiert Tom Palmer, einen libertären Publizisten aus den USA, der auch bei der Berliner Konferenz auftritt: Einmal am Tag soll man etwas tun für seine Überzeugung, sei es im Gespräch mit anderen oder durch Taten. Auch das Sendungsbewusstsein der Libertären kommt beinahe religiös daher. Nur dass sie aus den Fehlern fanatischer Prediger gelernt haben. Zuhören ist die Devise, offen sein, positive Ausdrücke benutzen.

Die Meinungen sind divers, geteilt wird eine Abneigung gegen Parteipolitik

„Erfahrungsgemäß sind unsere Mitglieder eher weniger Studenten aus den naturwissenschaftlichen Studiengängen“, sagt Frederik Roeder, Kommunikations- und Marketingdirektor von ESFL Deutschland. Politikwissenschaften, Philosophie, Jura, die „ideologienahen“ Fächer hätten die höchste Affinität für libertäre Ideen. Auch wenn die Meinungen innerhalb der Bewegung recht divers sind, teilen die Libertären eine Abneigung gegen Parteipolitik und das „Geschacher“ um Posten. Carlo von Hanstein bekam die Anregung, eine ESFL-Gruppe in Berlin zu gründen, gleichwohl von einem Mentor der FDP-nahen Naumann-Stiftung.

In Europa ist die so etabliert wirkende Bewegung noch jung. Kurz nachdem er 2011 in London einen amerikanischen Aktivisten von Students for Liberty kennenlernte, gehörte Roeder zu den Mitbegründern der europäischen libertären Studentenvereinigung. „Es hat schon etwas von Start-up“, sagt er. „Man fängt in der Garage an, dann nimmt es relativ schnell größere Ausmaße an.“ Dieser Vergleich zu Unternehmerbiografien wie etwa der von Bill Gates passt zur ESFL-Geschichte: Von zehn auf 240 Gruppen europaweit in zwei Jahren, von einem Zweigverband auf Freiwilligenbasis zu einer Institution mit goldglänzendem Internetauftritt und zwei Dutzend Vollzeitbeschäftigten. Finanziert werde das alles aus privaten Spenden, erklärt Hanstein. Kein Spender trage mehr als zehn Prozent des Gesamtbudgets.

„Leadership“ nennt er als wichtigen Bestandteil des ESFL-Programms. Rhetoriktraining ist ein Teil davon, die ständige Überzeugungsarbeit, in der die Aktivisten ihre Argumente schleifen, ein anderer. In Berlin beginnt die Bewegung gerade zu sprießen, neben der HU und der TU sollen bald auch Gruppen an der FU und der Uni Potsdam aktiv werden.
Hier geht es zum Programm des ESFL-Kongresses.

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