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Gefährlich oder nicht? Eine Studie zu möglichen Risiken von Handystrahlung war offenbar gefälscht.

© picture alliance / dpa

Kontroverse um Charité-Doktorarbeit: Manipulationsvorwürfe gegen Handystudie

Eine Charité-Doktorarbeit zu möglichen Gefahren von Handy-Strahlung soll drastische Fehler enthalten. Nun schaltete die Klinik einen Ombudsmann ein.

Geborstene Erbgutstränge, verschmorte Genome – es war offenkundig gruselig, was die Forscher der „Reflex“-Studie über die Effekte ganz normaler Handystrahlung und von schwachen Magnetfeldern herausgefunden hatten. 2005 veröffentlichten sie wesentliche Ergebnisse im Fachblatt „Mutation Research“.

Was Genugtuung unter Mobilfunkgegnern auslöste, weil es Schäden durch Handystrahlung zu belegen schien, fand nicht das Wohlwollen der Fachwelt. Die Ergebnisse der von der EU und der Zigarettenindustrie gesponserten Studie des Wiener Arbeitsmediziners Hugo Rüdiger und seiner Mitarbeiter ließen sich in anderen Labors nicht wiederholen. Dafür erhärteten sich Fälschungsvorwürfe, eine Kommission der Wiener Universität untersuchte die Vorgänge, von schwerem wissenschaftlichen Fehlverhalten war schließlich die Rede.

Nun hat der Fallout der „Reflex“-Studie auch die Berliner Charité erreicht: Eine im Dunstkreis des Reflex-Projekts entstandene Doktorarbeit soll ebenfalls auf manipulierten Daten beruhen. Das behauptet der Biologe Alexander Lerchl von der Bremer Jacobs-Universität, der bereits die Ungereimtheiten der Reflex-Studie aufdeckte. Die Doktorarbeit war bis vor kurzem im Internet einsehbar, jetzt ist sie aus dem Netz genommen worden.

In der Arbeit geht es um die Auswirkungen von elektromagnetischen Wellen auf die Erbsubstanz menschlicher Zellen des Typs HL-60. Verfasst wurde sie in den Jahren 1999 bis 2006 im heutigen Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Pathobiochemie der Charité. Das Institut war auch beim „Reflex“-Projekt beteiligt. Vor etwa einem Jahr wies Lerchl die Leitung des Instituts auf Unstimmigkeiten in der Doktorarbeit hin. Er ist seit 2005 auch Mitglied der Strahlenschutzkommission und auf die Wirkungen elektromagnetischer Felder spezialisiert. Seit September 2010 werden nun an der Charité die Originaldaten der Arbeit überprüft, als externer Gutachter wurde Lerchl Ende Juni mit der Erstellung eines gerichtsfesten Gutachtens betraut. „Die Einladung zur weiteren Teilnahme am Verfahren nahm Prof. Lerchl dankenswerter Weise an“, heißt es von der Charité.

In der verdächtigen Charité-Doktorarbeit wurden ebenso wie in der Reflex-Studie Strangbrüche der Erbinformation DNS gefunden. Ein Effekt, der im Extremfall zu genetischen Mutationen und schließlich zu Krebs führen kann. Trotz des alarmierenden Befunds unterblieb die sofortige Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Vermutlich, weil der Institutsleiter selbst den Ergebnissen nicht ganz traute, wie Lerchl anmerkt. Denn Grund zur Skepsis gab es. Die elektromagnetische Strahlung, die auf die Zellen einwirkte, war so gering, dass sie unterhalb des zulässigen Grenzwerts lag. Um Strangbrüche im Erbgut hervorzurufen, müsse die abgestrahlte Energie millionenfach höher liegen, sagt Lerchl. Das ist etwa bei Röntgenstrahlung der Fall, die tatsächlich DNS zerteilen kann.

„Mich machten nicht allein die drastischen Effekte stutzig, die in der Arbeit gefunden wurden, sondern auch die Tatsache, dass bestimmte Zahlen nicht zueinander passten“, sagte Lerchl dem Tagesspiegel. Genauso wie in der Reflex-Studie fielen Lerchl auch bei der Berliner Dissertation Merkwürdigkeiten in einem Testverfahren namens Comet-Assay auf. Bei dieser Technik werden Zellen in der Petrischale zunächst erbgutschädigenden Substanzen oder einer bestimmten Strahlendosis ausgesetzt. Dann wird das Erbgut in ein Gel eingebettet und einem elektrischen Feld ausgesetzt. Ist die DNS geschädigt, wandern Bruchstücke im elektrischen Feld und setzen sich von der kreisförmigen intakten DNS ab, ähnlich einem Kometenschweif. Daher der Name des Verfahrens.

Lerchl wies den Institutsleiter Rudolf Tauber auf Unstimmigkeiten bei der Auswertung des Comet-Assays hin, bekam aber zunächst nur unbefriedigende Antworten. Schließlich erhielt er die Originaldaten – und wurde fündig. „Die Originaldaten hatten mit den Informationen in der Dissertation nichts zu tun, das war eine grobschlächtige Manipulation“, sagt Lerchl. Nun schaltete die Charité einen Ombudsmann für gute wissenschaftliche Praxis ein.

Alexander Lerchl bohrte tiefer und bekam „Rohdaten“ in Form von Excel-Tabellen und Bildern der Comet-Assays. Auch hier förderte er Merkwürdiges zutage. So waren die Excel-Daten nicht von der Doktorandin, sondern von Richard Gminski erstellt worden, einem ehemaligen Mitarbeiter in Taubers Institut. Gminski war auch am „Reflex“-Projekt beteiligt und forscht jetzt an der Uni Freiburg.

Wie Lerchl herausfand, waren die Comet-Bilder nicht nur wissenschaftlich unbrauchbar, was der Hersteller des Comet-Assays ihm bestätigte, sondern auch noch manipuliert und mehrfach verwendet worden. „So etwas nennt man Datenfabrikation“, kommentierte das „Laborjournal“.

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