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Suche nach Dunkler Materie. Der Teilchendetektor AMS auf der Internationalen Raumstation (im Bild vorn rechts) hat möglicherweise Spuren der rätselhaften Substanz eingefangen.

© dpa

Kosmologie: Spuren aus einer anderen Welt

Ein Teilchendetektor auf der Internationalen Raumstation hat möglicherweise Hinweise auf Dunkle Materie gefunden. Verdichten sich die Anzeichen, wäre das ein Durchbruch. Doch es gibt Kritik an der Interpretation.

Von Rainer Kayser, dpa

„Fundamentale Erkenntnisse über unseren Kosmos“ versprachen die Forscher im Frühjahr 2011, als ihr zwei Milliarden Dollar teures Messgerät in den Weltraum flog. Der „Alpha Magnetic Spectrometer“ (AMS), ein großer Teilchendetektor an der Internationalen Weltraumstation ISS, sollte dort unter anderem nach der geheimnisvollen Dunklen Materie suchen. Nun präsentieren die Wissenschaftler erste Daten. Ein Beweis für die rätselhafte Substanz ist nicht dabei, aber starke Hinweise darauf – meinen zumindest die Wissenschaftler um den Nobelpreisträger Samuel Ting.

Die Messwerte des Detektors zeigen, dass im hochenergetischen Bereich von 10 bis 250 Gigaelektronenvolt eine bestimmte Art von Teilchen in wesentlich größerer Menge aus dem Weltall in Richtung Erde fliegt als erwartet. Bei den Partikeln handelt es sich um Positronen, das sind positiv geladene Antiteilchen der Elektronen, die – möglicherweise – aus Dunkler Materie hervorgegangen sind. Aus den Daten der ersten anderthalb Betriebsjahre des Instruments geht hervor, dass der Positronenüberschuss zeitlich nicht variiert und in allen Richtungen gleich stark ist, berichtet das AMS-Team im Fachblatt „Physical Review Letters“.

„Zusammen deuten diese Eigenschaften auf die Existenz eines neuen physikalischen Phänomens hin“, schreiben Manuel Aguilar vom europäischen Forschungszentrum Cern in Genf und seine Kollegen, vorsichtig eine Interpretation des Ergebnisses vermeidend. Die Pressemitteilung des Cern ist da deutlicher: „Diese Ergebnisse sind in Übereinstimmung damit, dass die Positronen aus der Paarvernichtung von Teilchen der Dunklen Materie im Weltall stammen“, steht dort. Allerdings mit der Einschränkung: „Noch reichen die Daten nicht aus, andere Erklärungen auszuschließen.“

Ein Nachweis Dunkler Materie durch das AMS wäre sensationell. Seit Jahrzehnten sind Forscher dem geheimnisvollen Stoff auf der Spur. Modellrechnungen zufolge besteht das Universum zu 27 Prozent aus Dunkler Materie, das ist fünfeinhalb Mal so viel wie normale Materie. Der Rest, 68 Prozent, ist Dunkle Energie. Sie ist für die beschleunigte Ausdehnung des Alls verantwortlich. Die Dunkle Materie hingegen hält mit ihrer Schwerkraft Galaxien und Galaxienhaufen zusammen. Aber noch weiß niemand, woraus diese rätselhafte Substanz besteht. Theoretische Modelle sagen jedoch voraus, dass Teilchen der Dunklen Materie sich gegenseitig vernichten können, dabei entstehen unter anderem Positronen. Und diese Positronen müssten – wie beobachtet – gleichmäßig aus allen Richtungen zu uns kommen, wenn das All voller Dunkler Materie ist.

Doch auch andere astrophysikalische Phänomene kommen als Produzenten von Positronen infrage. So können Neutronensterne mit starken Magnetfeldern, sogenannte Pulsare, Paare von Elektronen und Positronen erzeugen. Allzu weit kommen die Positronen aber nicht, denn sie verlieren rasch an Energie. Die Quelle der Positronen dürfte deshalb höchstens einige hundert bis tausend Lichtjahre entfernt sein. Ein naher Pulsar sollte sich dabei durch eine Vorzugsrichtung des Positronenüberschusses verraten. Doch andererseits können bei einer gleichmäßigen Verteilung von Pulsaren in unserer kosmischen Umgebung die Positronen auch nahezu gleichmäßig bei uns eintreffen. Die mit AMS gemessene, aus allen Richtungen gleich starke Positronenstrahlung reicht deshalb nicht aus, um zwischen beiden Szenarien zu entscheiden.

Ein anderes Kriterium könnte dafür besser geeignet sein. Entstehen die Positronen aus Teilchen der Dunklen Materie, so müsste es eine deutliche Obergrenze für die Energie der Positronen geben. Tatsächlich deuten die AMS-Daten darauf hin, dass oberhalb einer Energie von 250 Gigaelektronenvolt dieser Überschuss nicht mehr vorhanden ist. Weitere Messungen könnten hier Klarheit bringen. Der Detektor ist auf eine Lebensdauer von über zehn Jahren ausgelegt. Er wird den Forschern also noch ein Vielfaches der jetzt ausgewerteten Daten liefern und so vielleicht auch eine energetische Obergrenze der Positronen finden.

Nicht an der AMS-Mission beteiligte Wissenschaftler sind allerdings skeptisch. „Diese Modelle besitzen derart viele Knöpfe, es würde mich nicht überraschen, wenn sich jedes Ergebnis auch mit einer anderen astrophysikalischen Quelle erklären ließe“, sagt Gregory Tarle von der Universität Michigan. Auch bei Pulsaren könne es eine energetische Obergrenze für die Positronen geben, je nach Größe der Region, in der die Antiteilchen entstehen.

Wenn sich in den AMS-Daten tatsächlich eine Obergrenze der Positronen-Energie abzeichnet, könnte ein anderes Großgerät die Entscheidung bringen. Dann nämlich müsste der Teilchenbeschleuniger LHC in Genf nach seiner nächsten Aufrüstung die Partikel der Dunklen Materie direkt nachweisen können.

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