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Jede Minute zählt. Die Berliner Rettungskräfte waren rasch und nach Plan zur Stelle.

© Fabrizio Bensch, REUTERS

Krankenhäuser und der Terror: Ist Deutschland medizinisch auf Terroranschläge vorbereitet?

Das heimtückische Attentat auf einem Berliner Weihnachtsmarkt stellte für die Notfallversorgung in der Hauptstadt einen historischen Ernstfall dar, schreibt unser Gastautor - und sieht Nachholbedarf.

Seit den Anschlägen von Paris vor einem Jahr gilt die französische Metropole als Vorbild für die medizinische Notfallversorgung nach Terroranschlägen. In Paris hatten die Behörden und Stellen zuletzt am Morgen der Attentate geübt. Nachdem der Krisenstab den Notfall ausgerufen hatte, wurden mehr als 40 Krankenhäuser für mehr als 250 Verletzte in Bereitschaft versetzt. Zehn Helikopter standen sofort zu Verfügung, um Verletzte zu transportieren. In einem Krankenhaus wurde ein psychologisches Notfallzentrum eingerichtet. Nur wenige Stunden nach den Anschlägen wurden Dutzende von lebensrettenden Operationen durchgeführt.

Auch Berlin reagierte nach dem Attentat rasch und nach Plan: Schon wenige Minuten nach den ersten Meldungen vom Anschlag erreichten Rettungswagen von Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen den Weihnachtsmarkt im Zentrum der Hauptstadt. Seit Monaten bereitet man sich hier auf den Ernstfall vor. Die Berliner Kliniken sind dabei einbezogen. So konnte am Montag wohl noch Schlimmeres verhindert werden. Dennoch ist zu konstatieren, dass die deutschen Großstädte generell noch nicht ausreichend auf Ereignisse wie Paris oder Brüssel vorbereitet sind.

Der Grund ist banal: Schuss- und Explosionsverletzungen werden im Medizinstudium nicht gelehrt. Die Mehrheit der deutschen Chirurgen verfügt über keine bis unzureichende Kenntnisse. Viele Verletzungen infolge von Bomben- oder Sprengstoffexplosionen sind innere und kaum sichtbar und Terroropfer erleiden in der Regel schwerere Verletzungen als die Opfer anderer Schadensereignisse. In den Kliniken benötigen sie mehr Ressourcen und mehr Platz. Ein Kongress von Chirurgen mit der Spitze des Sanitätsdienst der Bundeswehr auf dem Campus der Berliner BG-Klinik hat vor wenigen Tagen auf die Notwendigkeit einer besseren Vorbereitung auf Terroranschläge in Deutschland hingewiesen und eine enge Zusammenarbeit von militärischen und zivilen Medizinern vereinbart.

Das Szenario "Terroranschlag" wird nicht geübt

Was sind die entscheidenden Ziele und Faktoren im Umgang mit Terroranschlägen? Es geht um Organisation, Führungsstrukturen, Kontrolle, Kommunikation und Koordination. Konkret braucht man erstens eine zentrale Stelle für die Koordination der Vorbereitungen und des Einsatzes im Ernstfall, zweitens klare Vorbereitungsziele, drittens die Definition von Standard Operating Procedures auf allen Ebenen der Organisation, viertens eine Erhöhung der Reservekapazitäten, fünftens die schnelle Verstärkung der Notaufnahme durch zusätzliches Personal, sechstens die Verteilung schwer verletzter Opfer zwischen nahe gelegenen Kliniken und die Definition des nächstgelegenen Krankenhauses als sogenannte Triage-Klinik, wo die Verletzungen begutachtet werden, und siebtens Schulungen und Übungen für das medizinische Personal auf allen Ebenen. 

Solche Übungen sind in Deutschland vorgesehen. So gab es erst vor wenigen Wochen in Berlin einen Probealarm mit mehreren Hundert „Verletzten“. Geübt wird aber hierzulande bisher nicht speziell für einen Terroranschlag. Ein Anfang ist gemacht: Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie hat ihre Kliniken jüngst aufgefordert, ihre Alarm- und Einsatzpläne zu überprüfen, Übungen durchzuführen und ausreichend OP-Material vorzuhalten. Mit dem Traumanetzwerk aus 600 Zentren verfügt Deutschland zudem über ein gut funktionierendes Netz für die Versorgung von Schwerverletzten.

Nicht erst seit Montag wissen wir: Auch Deutschland steht im Visier des internationalen Terrorismus. Zu einer umfassenden Strategie im Umgang mit Terroranschlägen gehört deshalb auch die medizinische Versorgung der Opfer. Ihre Qualität ließe sich steigern, wenn sich geeignete Kliniken in Deutschland und Europa auf Massenanfälle von Terrorverletzten spezialisieren würden. Wenn wir von Paris, Brüssel und aktuell Berlin lernen wollen, brauchen wir einen nationalen wie europäischen Notfallplan für die medizinische Versorgung von Terroropfern.

Axel Ekkernkamp ist Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin und ordentlicher Professor für Unfallchirurgie an der Universitätsmedizin Greifswald.

Axel Ekkernkamp

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