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Heilsame Attacke. Wie mit riesigen Krakenarmen hat eine Fresszelle des Immunsystems gelb eingefärbte Krebszellen eingefangen und ist dabei, sie zu verschlingen. Solche Prozesse sollen durch Krebsimpfungen stimuliert werden.

© mauritius images

Krebs: Dem Körper helfen, sich selbst zu heilen

Nach etlichen Rückschlägen gibt es wieder Hoffnung bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Krebs. Es geht darum, die Selbstheilungskräfte anzustacheln.

Es ist eine jener Meldungen, die fast zu schön sind, um wahr zu sein. Am Montag veröffentlichten amerikanische Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Medicine“ eine Studie, in der sie einen neuartigen Impfstoff gegen Brustkrebs vorstellten. Bisher hat die Impfung ihre Wirksamkeit nur bei Mäusen bewiesen, aber Tests am Menschen sind geplant. Obwohl es zum Jubeln noch zu früh ist, zeigt dieses Beispiel, dass nach einer Zeit herber Rückschläge beim Impfen gegen Krebs Erfolge zu verzeichnen sind. Mittlerweile ist in den USA sogar ein Impfstoff für die Behandlung von Prostatakrebs zugelassen worden.

Das Prinzip der Krebsimpfung ist einfach. Es geht darum, die Selbstheilungskräfte anzustacheln, um aggressiv wuchernde Tumorzellen zu stoppen und zu zerstören. Vorbild sind Impfungen gegen Krankheitskeime, bei denen dem Immunsystem ein Eiweißbestandteil aus dem Erreger präsentiert wird, um die Abwehrzellen des Körpers „scharf zu machen“.

Nach diesem Grundsatz funktioniert auch die vorbeugende Impfung gegen Brustkrebs. Das Immunsystem wird auf das Milcheiweiß Alpha-Lactalbumin „abgerichtet“. Lactalbumin wird vorrangig von Brustkrebszellen gebildet, Ausnahme: Milchbildung in der Brustdrüse während und nach der Schwangerschaft. „Wir glauben, dass dieser Impfstoff eines Tages Brustkrebs bei erwachsenen Frauen auf die gleiche Weise verhütet, wie herkömmliche Impfstoffe das bei vielen Kinderkrankheiten tun“, sagte der Studienleiter Vincent Tuohy von der Cleveland-Klinik in Ohio. „Wenn es bei Menschen so wie bei Mäusen wirkt, wird es ein monumentaler Erfolg. Wir könnten Brustkrebs aus der Welt schaffen.“

Allerdings befindet sich der Impfstoff erst in einem frühen Stadium der Entwicklung. Dementsprechend skeptisch ist der Gynäkologe Rolf Kreienberg vom Universitätsklinikum Ulm. „Das ist ein wahnsinnig spannender Ansatz, aber ob er sich in der Praxis bewährt – da wäre ich sehr vorsichtig“, sagte Kreienberg.

Tatsächlich gibt es bereits zwei zugelassene Impfstoffe, die das Potenzial haben, vor Krebs zu schützen. Der eine ist gegen das Hepatitis-B-Virus gerichtet und senkt das Leberkrebs-Risiko, der andere gegen Humane Papillomaviren. Er verringert die Gefahr von Gebärmutterhalskrebs.

Die meisten Krebsimpfstoffe sollen jedoch nicht vorbeugen wie „normale“ Impfungen, sondern den Tumor heilen. Sie kommen erst dann infrage, wenn bereits eine Geschwulst festgestellt wurde. Seit rund 30 Jahren wird nun an solchen „therapeutischen“ Impfstoffen gegen Krebs geforscht, schätzt Rolf Kreienberg. Die Ergebnisse waren bisher bescheiden.

Noch 2005 herrschte Hochstimmung bei den Herstellern. Mehr als zehn Krebsimpfstoffe hatte es in die letzte Phase der Zulassung geschafft und wurden in Phase-III-Studien an vielen Patienten getestet. Ein paar Jahre später dann die Ernüchterung. Einige Impfungen hatten komplett versagt, und zugelassen wurde bisher von den Aufsichtsbehörden nur ein einziger therapeutischer Impfstoff. Im April gab die US-Arzneimittelbehörde FDA nach jahrelangem Tauziehen ihr Plazet für „Provenge“ zur Behandlung von Prostatakrebs.

„Provenge“, hergestellt von der Firma Dendreon, hat rund 20 Jahre Entwicklung mit etlichen Hochs und Tiefs hinter sich. Die offizielle Zulassung ist ein hoffnungsvolles Signal an Patienten, Ärzte und Industrie, dass die Impfung gegen Krebs funktioniert. Zumindest grundsätzlich. Die Substanz verlängert das Leben von Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs im Mittel um vier Monate. Für einen beachtlichen Preis, denn eine Impfkur kostet 93 000 Dollar (73 000 Euro).

Ein Grund für die horrenden Kosten ist die aufwendige Herstellung des Impfstoffs in einer biotechnischen Manufaktur. Zunächst werden aus dem Blut des Patienten spezielle Abwehrzellen herausgefiltert. Diese dendritischen Zellen werden dann mit einem Eiweiß namens prostataspezifische saure Phosphatase konfrontiert. Es ist typisch für Prostatakrebs. Anschließend werden die „abgerichteten“ dendritischen Zellen dem Patienten zurückgegeben. Sie sollen nun den Krebs attackieren.

Ein wesentliches Problem bei der Entwicklung eines Impfstoffs sind die Tumor-Antigene, also jene Eiweißbestandteile der Krebszelle, die das Immunsystem auf die Fährte führen sollen. Denn Tumoren verlieren solche Antigene häufig im Lauf der Zeit, die Impfstoff-Attacke geht ins Leere. Damit schützt sich die Geschwulst vor dem Immunsystem. „Der Krebs wird für die Körperabwehr unsichtbar“, erläutert der Gynäkologe Kreienberg. „Stellen Sie sich vor, überall auf den Straßen patrouillieren Polizisten – aber sie können die Verbrecher nicht erkennen, weil diese Tarnkappen tragen.“ Entgegen weitläufiger Meinung funktioniert das Immunsystem von Frauen mit Brustkrebs zumindest zum Beginn der Erkrankung ganz normal, sagt Kreienberg. Es ist nicht geschwächt und braucht keine Stärkung, sondern ist ganz einfach ausgetrickst worden.

Um den Krebszellen die Tarnung herunterzureißen, verfolgen Impfstoffentwickler verschiedene Ansätze. Einige Hersteller konzentrieren sich auf Antigene, die nur auf Tumorzellen gefunden werden. So entwickelt der Pharmakonzern Pfizer zusammen mit der Biotech-Firma Celldex einen Impfstoff gegen das Glioblastom, einen aggressiven Hirntumor, auf der Basis eines Proteins mit dem Kürzel EGFRvIII. Es findet sich in veränderter (mutierter) Form auf Glioblastom-Zellen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Impfstoff mit einer herkömmlichen Chemotherapie zu kombinieren. Die „Chemo“ tötet sich schnell teilende Zellen, wie sie typisch für Krebs sind. Die „Trümmer“ der Tumorzellen stimulieren das Immunsystem dann zusätzlich.

Zudem kann die Krebsimpfung durch eine biochemische Brille geschärft werden. Dazu dient etwa Interleukin-2, ein nachgebautes körpereigenes Eiweiß, das die T-Zellen der Körperabwehr anregt. Bereits seine alleinige Gabe lässt bei 15 Prozent der Patienten mit schwarzem Hautkrebs (Melanom) oder Nierenkrebs die Tumoren schrumpfen. Einen ähnlichen Weg verfolgt der Hersteller Bristol-Myers Squibb mit dem Antikörper „Medarex“. Er ist gegen ein Molekül des Immunsystems gerichtet, das die Körperabwehr herunterdimmt.

Je weiter ein Krebsleiden voranschreitet, umso vielgestaltiger und damit schwerer fassbar werden die Krebszellen und umso schwächer wird das Immunsystem. Deshalb setzen manche Mediziner auf eine möglichst frühe Behandlung, um noch Erfolge mit dem Impfstoff zu erzielen. Ein Beispiel dafür ist eine Lungenkrebs-Impfung, die vom britischen Hersteller GSK getestet wird.

Trotz mancher Fortschritte wird es noch dauern, bis Impfstoffe den richtigen und wohldosierten Mix aus Antigen und Verstärker enthalten und der richtige Zeitpunkt der Impfung klar ist. Aber vielleicht wird, was so lange währt, endlich gut.

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