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Krebs: Ein Strichcode für Tumoren

Krebs entsteht im Erbgut. Biologen arbeiten nun an einem genetischen „Täterprofil“ wuchernder Zellen.

In Tumorzellen geht es wild zu. Sie haben nicht nur jede Hemmung verloren und teilen sich ohne Rücksicht auf die Signale des Körpers. Auch das Erbgut im Kern der Zelle ist außer Kontrolle. Stücke einzelner Chromosomen können verdoppelt, verschoben und umgekehrt werden oder gleich ganz verschwinden. Für Forscher, die die genetischen Ursachen für Krebs untersuchen, ist das ein großes Problem. Sie müssen unter den zahllosen genetischen Veränderungen diejenigen finden, die die Krebserkrankung verursachen.

„Nur wenn wir diese Mutationen erkennen und damit die entscheidenden Gene, können wir verstehen, was bei Krebszellen schiefläuft, und neue Medikamente entwickeln“, sagt Mike Stratton vom Sanger-Institut in Hinxton bei Cambridge. In einer Studie im Fachblatt „Nature“ haben er und sein Team das Erbgut von 750 Krebszellen untersucht. Das Ergebnis: Manche Erbgutstücke, die immer wieder in Krebszellen verschiedener Patienten fehlen, sind nicht Ursache der Krankheit. Sie liegen nur an Stellen, die besonders leicht brechen und dadurch eher verloren gehen.

Aber auch solche Veränderungen im Erbgut, die den Tumor nicht verursacht haben, könnten Ärzten in Zukunft helfen. Denn wie dieseVeränderungen genau aussehen, das ist von Krebspatient zu Krebspatient unterschiedlich. Das wollen sich amerikanische Forscher zunutze machen – als eine Art Fingerabdruck des Krebses.

So ein Fingerabdruck hätte große Vorteile, glauben sie. Mit seiner Hilfe könnten in Blutproben Spuren von Tumorerbgut nachgewiesen werden. Ihre Menge würde eine Aussage darüber erlauben, ob der Tumor wächst, schrumpft oder gar ganz verschwindet.

Der Fingerabdruck würde es also ermöglichen, den Fortschritt einer Therapie genau zu begleiten. Bisher waren Mediziner darauf angewiesen, biologische Markierungen, Biomarker, zu benutzen, die für eine bestimmte Krebsart als typisch gelten. „Diese Biomarker funktionieren aber nicht bei jedem Patienten, und für viele Tumoren wie etwa Brustkrebs gibt es gar keine Marker“, sagt der Krebsforscher Victor Velculescu.

Ihm und seinen Kollegen am Johns- Hopkins-Kimmel-Krebszentrum in Baltimore ist es nun gelungen, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Tumor-Biomarker zu erstellen. Dafür untersuchten dieWissenschaftler das Erbgut der Tumorzellen von vier Darmkrebs- und zwei Brustkrebspatienten. Sie zerteilten das Erbgut in Fragmente, Fäden mit einer Länge von etwa 1400 Buchstaben, und entschlüsselten jeweils die Buchstabenfolge an den beiden Enden dieser Schnipsel. Jede dieser Buchstabenfolgen ließ sich genau einem der 46 Chromosomen des Menschen zuordnen. So, wie sich ein bestimmter Satz aus Darwins „Vom Ursprung der Arten“ einem bestimmten Kapitel des Buches zuordnen lässt.

In einigen Fällen aber stammte die Sequenz an einem Ende des Fragmentes von einem Chromosom, die am anderen Ende aber von einem anderen Chromosom. In der Tumorzelle waren die beiden Chromosomen zerbrochen und hatten sich falsch wieder zusammengesetzt, so, als hätte jemand einige Seiten in einem Kapitel herausgerissen und in einem anderen wieder eingeklebt. Im Durchschnitt fanden die Wissenschaftler in den Tumorzellen eines Patienten neun solcher Brüche.

Zusammengenommen sind sie eine Art Strichcode, der den Krebs genau identifiziert. „Pare“ nennen die Forscher ihn, das steht für „personalisierte Analyse rearrangierter Enden“. Hat man den Strichcode einmal gefunden, lässt er sich relativ leicht nachweisen, etwa im Blut eines Patienten. „Wir hoffen, dass das uns erlaubt, die Patienten herauszufinden, die nach einer Operation wirklich geheilt sind, und ihnen die Strapazen einer Chemotherapie zu ersparen“, sagt Luis Diaz, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Außerdem erlaube derAnsatz es, eine Therapie viel genauer zu begleiten, sagt Velculescu und spricht von einem Meilenstein im Kampf gegen Krebs. „Wir können so erkennen, ob eine Therapie erfolgreich ist – oder auch nicht.“ Durch eine statistische Analyse der entzifferten Erbgutschnipsel konnten die Forscher auch noch unauffälligere Veränderungen innerhalb eines Chromosoms finden, bei denen nur kleine Abschnitte verändert waren. „Wir haben für jeden Patienten viel mehr Markierungen gefunden, als wir brauchten“, sagt Velculescu.

Noch ist die neue Methode allerdings aufwendig. Pro Patient seien fast 200 Millionen kurze Erbgutschnipsel sequenziert worden, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science Translational Medicine“. Kostenpunkt: 5000 Dollar. Für einen Einsatz im Krankenhaus noch zu teuer, sagt Stephen Chanock. Um irgendwann im Klinikalltag nützlich zu sein, müsse der Strichcode eines Tumors „leicht, schnell, billig und verlässlich nachweisbar sein“, schreibt der Krebsforscher in einem Kommentar mit seiner Kollegin Ludmila Prokunina-Olsson.

Velculescu ist allerdings zuversichtlich: „Natürlich haben wir jetzt nur bewiesen, dass dieses Prinzip grundsätzlich funktioniert.“ Während es bei Medikamenten aber häufig noch zehn Jahre und länger dauere, bis sie dann auf den Markt kämen, sei es bei seiner Methode womöglich schon in zwei Jahren so weit. „Der Fortschritt ist erstaunlich schnell. Das Sequenzieren des Erbguts wird immer billiger“, sagt er.

Es gibt dennoch einige Fragen, die noch geklärt werden müssen. Etwa, ob die Methode wirklich bei allen Krebsarten funktioniert. „Wir gehen davon aus, aber natürlich müssen wir noch Tests mit viel mehr Menschen und anderen Tumoren machen“, sagt Velculescu. Und auch die Zahl an genetischen Besonderheiten, die für einen Marker nötig sind, gewissermaßen die Zahl der Striche im Strichcode, ist noch unklar. So besteht zum Beispiel die Gefahr, dass ein bestimmter Sprung im Erbgut im Laufe einer Tumorerkrankung auch wieder verschwindet. Eine Tumorzelle aber hört schließlich nicht plötzlich auf, wild zu sein.

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