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Universalmolekül: Verabreicht wird immer Ribonukleinsäure (RNS), erst die Abfolge der Bausteine entscheidet, welches Medikament im Körper daraus wird.

© Mauritius/Alamy Stock Photo

Krebstherapie: Selbst ist der Patient

Krebsarzneien sind teuer. Aber nicht, wenn der Körper der Kranken sie selbst herstellen könnte. Jetzt konnten Forscher mit dem RNS-Bauplan eines Antikörpers Mäuse von Tumoren befreien.

Viele Medikamente gegen Krebs und andere Erkrankungen müssen biotechnologisch von Zellkulturen produziert werden. Die Kosten dafür können leicht 500 Millionen Euro pro 100 Kilogramm eines Wirkstoffes erreichen – einer der Gründe für die hohen Preise für Krebsmedikamente und andere „Biologika“, Arzneien auf Proteinbasis.

All das könnte man sich sparen, wenn die Zellen der Patienten die benötigten Medikamente einfach selbst produzieren würden. Dazu müsste man nur den Bauplan für die Arznei verabreichen: Ribonukleinsäure-Moleküle (RNS). Sie dienen den Zellen als Vorlage für den Zusammenbau des Wirkstoffs. Jetzt ist es tatsächlich gelungen, einen gängigen Wirkstoff (einen Antikörper) gegen Krebs so zu ersetzen, schreiben Forscher der Universität Mainz und der Biotech-Firma Biontech im Fachblatt „Nature Medicine“. Mäuse, die Tumore aus menschlichen Zellen trugen, konnten mit einem RNS-Wirkstoff geheilt werden.

Milliardeninvestitionen in neues Therapiekonzept

Nun wäre das allein kein Anlass, hellhörig zu werden, denn schon viel zu oft wurden Mäuse vom Krebs befreit, ohne dass die Heilsversprechen beim Menschen gehalten werden konnten. Der Ansatz der Mainzer Firma Biontech ist aber Teil eines jungen Forschungsfelds, das in den vergangenen Jahren nicht nur ermutigende Forschungsergebnisse präsentiert hat, sondern auch bemerkenswertes Interesse von Investoren weckt. So hat die Bostoner Firma Moderna Therapeutics, die auf RNS als Therapeutikum setzt, im vergangenen Jahr insgesamt 920 Millionen US-Dollar von Risikokapitalinvestoren eingeworben. Mit 310 Millionen Euro vom kalifornischen Biotechkonzern Genentech kann Biontech für die Entwicklung von RNS-Therapien rechnen. Und bei der Tübinger Biotechfirma Curevac, die seit 2000 und als erste die therapeutischen Möglichkeiten von RNS auslotet, ist 2015 sogar der Microsoft-Gründer Bill Gates persönlich mit 46 Millionen Euro eingestiegen.

All das ist Folge der Vision, die billig zu produzierende RNS könnte in Zukunft die teuren Fabriken für die Herstellung therapeutischer Proteine ersetzen. In diesem Szenario benutzen Pharmafirmen nur noch RNS-Moleküle, deren Bausteinabfolge immer so angepasst wird, dass der Körper das gewünschte therapeutisch wirksame Protein selbst produziert.

Taugt als Wirk- und Impfstoff

Solche RNS-Therapien beflügeln aber nicht nur Investorenphantasien, sondern haben auch Vorteile für den Patienten. Weil bestimmte Proteinwirkstoffe nicht immer für lange Zeit stabil sind, sie gekühlt werden müssen, verklumpen oder bei der Herstellung verunreinigt werden können, dauert es mitunter Jahre, bis ein Produktions- und Lieferprozess etabliert ist, der allen Sicherheitsstandards entspricht. Mit RNS-Molekülen, deren chemische Eigenschaften immer gleich und die auch ohne Kühlung ewig haltbar sind, stünden Patienten Therapien schneller zur Verfügung – auch als Impfstoff in tropischen Ländern. Deshalb unterstützt die Bill und Melinda Gates-Stiftung Curevac bei der Entwicklung von Vakzinen.

Ein weiterer Vorteil der RNS-Wirkstoffe für Patienten ist, dass sie wochenlange Antikörper-Infusionen überflüssig machen könnten. „Eine wöchentliche Injektion von RNS wäre gegenüber dieser Behandlungsmethode eine enorme Erleichterung für den Patienten“, sagt Ugur Sahin, Forscher an der Universität Mainz und Gründer und Geschäftsführer von Biontech. Bislang muss beispielsweise der Antikörper Blinatumomab gegen Blutkrebs per Infusion verabreicht werden, der sowohl an Krebszellen als auch Immunzellen bindet und so die Körperabwehr direkt zu den entarteten Blutzellen lotst. Den Forschern gelang es, mit RNS, die in den Zellen zu Antikörpermolekülen übersetzt wurde, mindestens vergleichbare Tumorrückbildungen zu erreichen wie mit solch einem Antikörper selbst.

Klinische Tests am Menschen in Vorbereitung

Ob sich das Ergebnis so einfach beim Menschen wiederholen lassen wird, ist offen, schränkt Sahin ein: „In unserer Studie wurden Mäuse eingesetzt, denen menschliche Tumorzellen und Immunzellen eingesetzt wurden. Das natürliche Immunsystem des Menschen ist aber natürlich komplexer und das Ergebnis kann deshalb nicht direkt übertragen werden.“ Dennoch geht Sahin von einer „vergleichbaren Funktionalität“ im Menschen aus. Eine klinische Studie, in der Dosis und Verträglichkeit der RNS-Therapie überprüft werden soll, sei in Vorbereitung.

Auch die Curevac AG, der 2016 bereits ein Patent auf den Ersatz von Antikörpern mittels RNS erteilt wurde, will im kommenden Jahr einen RNS-Wirkstoff erstmals als Antikörper-Ersatz testen, sagt Ulrike Gnad-Vogt, medizinische Direktorin der Firma. Erst in solchen klinischen Tests könne ausgelotet werden, was die wirksamste und am besten verträgliche Dosis ist – kein triviales Problem. Denn während die Dosis eines Antikörpers genau planbar ist, kann ein RNS-Molekül hundert- oder tausendfach als Bauplan verwendet (translatiert) werden. „Die Translationseffizienz im Menschen muss erst noch untersucht werden, sie kann besser oder schlechter als in der Maus sein“, sagt Sahin. Das hängt von der Überlebensdauer des Moleküls aber auch von den Zellen ab, in denen die RNS für die Wirkstoffproduktion herangezogen wird. „Das hat man nicht genau in der Hand, wie viel Antikörper von einer RNS gemacht wird. Deshalb muss man die erreichten Konzentrationen im Blut genau überprüfen und daraus lernen“, sagt Gnad-Vogt. Ebenso müsse für jede RNS-Therapie kontrolliert werden, ob Nebenwirkungen auftreten. „Das wird nicht nur von der RNS und dem Transportsystem, mit dem sie in die Zelle gebracht wird, sondern immer auch von dem daraus translatierten Antikörper abhängen.“

So universell die RNS-Therapie ist, weil sie immer das gleiche Molekül als Ausgangsstoff einsetzt, wird trotzdem jede einzelne gesondert auf unerwünschte Effekte hin überprüft werden müssen. Dennoch hofft Sahin auf „eine enorme Zeitersparnis von der Forschung und Entwicklung bis zur Anwendung“ und dass sich der mit proteinbasierten Therapien verbundene Aufwand reduzieren lässt. „Eine Vielzahl von Patienten, die auf eine spezifische Therapie ihrer Erkrankung warten, würden davon profitieren.“

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