zum Hauptinhalt
Teilnehmende einer Pegida-Demonstration halten ein Schild mit der Aufschrift "Jedem Volk sein Land, nicht jedem Volk ein Stück Deutschland".

© Arno Burgi/picture alliance/dpa

Krise der Demokratie: „Erreichte Standards werden in Zweifel gezogen“

Wie reagiert die politische Bildung auf die Krise der Demokratie? Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale, will zu den Argumenten zurückfinden.

Herr Gill, die von Ihnen geleitete Berliner Landeszentrale für politische Bildung hat sich für das Winterhalbjahr vorgenommen, in einem Veranstaltungsformat so ziemlich alle Großthemen anzusprechen, die die politische Bildung derzeit umtreiben. Wie passen Demokratiefeindlichkeit, Antifeminismus, antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus in der postmigrantischen Gesellschaft zusammen?

Wir fassen die ganze Thematik unter der Frage „Rückfall in eine autoritäre Zukunft?“. Es wird um ein Politikangebot gehen, das man nicht nur als Rechtspopulismus oder mit religiös motivierten Fundamentalismen beschreiben kann. Demokratiefeindlichkeit, Antifeminismus oder auch Antisemitismus werden von Akteuren propagiert, deren Politikverständnis suggeriert: Wir haben die Antwort. Diese enthält aber immer ein hohes Maß an Ausgrenzung von Menschen, die als „anders“ markiert werden. Demokratische Politiker haben etwa zur Zuwanderung vielschichtige und abwägende Antworten, die oft in Frageform daherkommen. Dadurch sind sie gegenüber massiv vorgetragenen Antworten in Form von Parolen immer im Nachteil.

Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
Thomas Gill leitet die Berliner Landeszentrale für politische Bildung seit 2014.

© Kai-Uwe Heinrich

Den drohenden „Rückfall in eine autoritäre Zukunft“ sehen Sie nicht als Diagnose, sondern versehen ihn mit einem Fragezeichen.

Wir schließen damit an eine internationale Debatte zur „Regression“ an, nach der erreichte demokratische und menschenrechtliche Standards öffentlich in Zweifel gezogen oder untergraben werden. Der „Dialektik der Aufklärung" zufolge ist der vermeintliche Fortschritt immer dann gefährdet, wenn bestimmte Grundannahmen nicht mehr reflektiert werden. Das ist der Fall, wenn wir die Verwobenheit der wohlmeinenden demokratischen Zivilgesellschaft mit Herrschaft, die andere ausgrenzt, nicht kritisch hinterfragen. Darüber werden wir am 7. Januar mit HU-Professorin Rahel Jaeggi diskutieren.

Und warum das Fragezeichen?

Es steht dafür, dass die aktuelle Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft nicht dieselbe ist wie beispielsweise im Nationalsozialismus. Das wäre zu unterkomplex. Wir wollen mit unseren Vortragenden und unserem Publikum etwa darüber diskutieren, wer heute das politische Subjekt ist. In Berlin geht die alte Formel, nach der Demos und Ethnos gleich sind, nicht mehr auf. Eine Dreiviertelmillion Einwohner hat keine deutsche Staatsbürgerschaft, darf nicht wählen, ist Objekt der Politik des Senats und des Bundes. Selbst eine Regierung, die eher zuwanderungsfreundlich ist, tut sich schwer, angemessen auf die Menschen zu reagieren, die neu ankommen. Wie also können wir die Alteingesessenen und die Neuankommenden gleichermaßen zu Subjekten der Politik machen?

Erreichen Sie auch Bürger, die von solchen Fragen verunsichert sind?

Wir richten uns an Leute, die einen Ort suchen, sich über die Krise der Demokratie auszutauschen. Nach einem Input der Experten und Expertinnen und einigen Nachfragen auf dem Podium gibt es ausreichend Zeit für Fragen und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum. Aber uns ist schon klar: Mit Formaten, in denen wir in die Stadtteile oder in die Schulen gehen, erreichen wir mehr Menschen, die nicht von sich aus zu uns kommen. Wobei wir die Reihe zu den autoritären Politikkonzepten gemeinsam mit Kiga, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, veranstalten. Kiga macht sehr engagiert politische Bildung für die Migrationsgesellschaft – und bringt ein teilweise neues Publikum mit.

Gibt es ein gemeinsames Konzept der 16 Landeszentralen für Politische Bildung zum Umgang mit der Krise der Demokratie?

Nein, aber zum Beispiel die Frage der sozialen Ungleichheit der politischen Teilhabe ist ein Thema, das alle Landeszentralen und auch die Bundeszentrale umtreibt. Ebenso die Frage des Populismus. Im vergangenen Jahr gab es hierzu eine gemeinsame Tagung. In unserer Reihe berichtet Johannes Hillje von seinem Projekt, bei dem Studierende 500 Haustürgespräche mit Menschen aus strukturschwachen Regionen führten, die sich häufig „von der Politik verlassen“ fühlen.

Wie lautet Ihr Rezept, um autoritären Politikkonzepten entgegenzutreten?

Es ist eher ein lautes Nachdenken, das schon ein Teil der Lösung ist. Bestimmte Vorannahmen müssen wir reflektieren, beispielsweise zum „muslimischen Antisemitismus“. Der Beitrag von Sina Arnold am 1. April wird diese Zuschreibung hinterfragen und auf die dabei mitschwingenden Ausgrenzungen eingehen. Jüdische und muslimische Menschen werden dabei im öffentlichen Diskurs gegeneinander in Stellung gebracht. Wir wollen wegkommen vom Austausch von Parolen und zu den Argumenten zurückfinden.

Das Gespräch führte Amory Burchard. Die Veranstaltungsreihe der Berliner Landeszentrale für Politische Bildung zum Thema „Rückfall in eine autoritäre Zukunft?“ beginnt am Montag, dem 3. September: Die Politikwissenschaftlerin Claudia Ritzi (Universität Trier) stellt Thesen zur „Kritik der Demokratie“ zur Diskussion. Am Montag, 1. Oktober, geht es im Vortrag von Juliane Berg (Uni Marburg) um Antifeminismus. Am 5. November spricht Uffa Jensen vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin über Zornpolitik. Die Veranstaltungen finden jeweils von 18.30 bis 20.30 Uhr in der Berliner Landeszentrale, Hardenbergstraße 22-24 (Amerikahaus), in 10623 Berlin-Charlottenburg statt. Der Eintritt ist frei, eine Online-Anmeldung wird erbeten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false