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Wissenschaftler seien schon heute sehr kommunikativ, sagen unsere Autoren. Die sagten nicht: Was ich weiß, können Sie ja nachlesen!

© imago/Photocase

Kritik an Vorstoß der Bildungsministerin: "Öffentliche Intellektuelle"? - Sind wir doch längst!

Die Wissenschaftler sollen mehr mit "der Gesellschaft" kommunizieren, findet Ministerin Karliczek - und sitzt damit einem Irrglauben auf. Ein Gastbeitrag.

Christian Geulen ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte und ihre Didaktik an der Universität Koblenz-Landau. Michael Sommer ist Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Die Verfasser sind Delegierter beim beziehungsweise Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentags.

Im „Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Wissenschaftskommunikation“, veröffentlicht im November 2019, heißt es staatstragend: „Die Wissenschaft trägt in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels besondere Verantwortung.“ Als Schutzschild gegen Fake News und „Strömungen“, die sich in den neuen Medien breitmachten und dort „zunehmen Gehör“ fänden, eigne sich eine Wissenschaft, die sich „in den Diskurs“ einbringe. Wissenschaftler sollten, fordert das Papier, in die Rolle des „Public Intellectual“ schlüpfen, des öffentlichen Intellektuellen, der sich in gesellschaftliche Debatten einmischt und auch nicht davor zurückschreckt, die Erträge seiner Forschung in ihrer Komplexität soweit herabzuskalieren, dass sie außerhalb des Elfenbeinturms verstanden werden.

In der Wissenschaft müssten jetzt dringend „Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation“ aufgebaut werden, selbstverständlich unter tätiger Mithilfe des Bundesbildungsministeriums, das die Forschenden „befähigen und ermutigen“ möchte, das von ihnen Erwartete auch zu leisten. Aufhorchen lässt die Forderung nach neuen „Reputationslogiken“, die es wissenschaftsintern zu schaffen gelte, um, so ist zu mutmaßen, Wissenschaftskommunikation als sogenannte Third Mission neben Forschung und – der ohnehin vernachlässigten – Lehre zur dritten Arena indikatorengesteuerter Leistungsmessung zu machen.

Eigenartige Trennung der Gesellschaft

Doch wie misst man die Leistung eines öffentlichen Intellektuellen? Wer entscheidet, was gute Wissenschaftskommunikation ist und was nicht? Schreiben nicht viele Geisteswissenschaftler – im Gegensatz etwa zu Forschern in den Natur- und Lebenswissenschaften – längst auch für ein Publikum jenseits des Elfenbeinturms? Wie sinnvoll ist es, all jene, die nicht intrinsisch dazu motiviert sind, zu ihrem Glück zu zwingen? Wie immer man diese Fragen beantwortet: Hinter der ungelenken Prosa des Papiers von Bildungsministerin Anja Karliczek steckt eine Agenda, lauern Steuerungsmechanismen wie „Outreach“ und „Impact“, die aus der angelsächsischen Wissenschaftslandschaft sattsam bekannt sind.

Wie es derzeit viele bildungspolitische Akteure tun, vollzieht auch das Papier des Bildungsministeriums eine eigenartige Trennung der Gesellschaft von den Systemen, aus denen sie besteht: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und sogar Bildung werden hier als in sich geschlossene Bereiche oder Arenen präsentiert, die mehr für ihre Außenkommunikation tun müssen, um von „der Gesellschaft“ wahrgenommen zu werden und in sie hineinwirken zu können. In dieser Perspektive aber reduziert sich Gesellschaft in höchst problematischer Weise auf das außer- oder gar unterhalb dieser Systeme irgendwie vor sich hin existierende, ungebildete Volk. Ausgerechnet das, was dem populistischen Mythos von „denen da oben, die nur lügen“, entgegenwirken soll, nimmt die damit gemeinte Trennung zwischen dem vergessenen Volk (hier: die Gesellschaft) und den Etablierten (hier: die Wissenschaft) zunächst einmal beim Wort.

Bürgerbildung? Lehrerausbildung!

Dabei aber wird das gesamte Spektrum der Formen und Wege vergessen, durch die Wissenschaft längst mit der Gesellschaft vernetzt und verwoben ist. So spricht das Papier des Bildungsministeriums mehrfach davon, dass sich Wissenschaftskommunikation primär an Kinder, Jugendliche und junge Menschen zu richten habe. Hierfür sollen von der Politik zusätzliche Mittel und von der Wissenschaft neue Formate bereitgestellt werden. Warum aber werden diese Mittel und diese Energie nicht in die dringend notwendige Verbesserung jener Form des Wissenstransfers gesteckt, durch den die Wissenschaft immer schon direkt und umfassend auf die Gesellschaft und zumal die junge Generation einwirkt: die Bildung und Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern?

Angesichts der chronischen Überlastung der meisten Lehramtsstudiengänge, des dramatischer werdenden Lehrermangels und der jüngsten Pisa-Ergebnisse hat die Politik diesen Weg der „Wissenschaftskommunikation“ offenbar aufgegeben – zugunsten neuer Wege der direkten Bürgerbildung. Denkt man das zu Ende, können wir langfristig auf das Konzept allgemeiner Schulbildung auch verzichten.

Ebenfalls vergessen wird, dass zumindest die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften ihre Wissensproduktion immer schon in direkter Weise an die Gesellschaft richten. Sie müssen nicht mathematisch Modelle und Wahrscheinlichkeitsrelationen erst popularisierend in Grafiken und verstehbare Prognosen verwandeln, sondern präsentieren ihre Forschung in den allermeisten Fällen in einer narrativen Prosa, die (eine gewisse Bildung vorausgesetzt – siehe oben) von jedem gelesen werden können.

Ihre Veröffentlichungen, nicht selten in Publikumsverlagen, richten sich an eine lesende Öffentlichkeit. Die für die Vermittlung notwendige didaktische Reduktion gehört zum Alltag. Von einem aktuellen „Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft“ kann hier also keine Rede sein. Eine nicht kommunizierende Wissenschaft gibt es nicht.

Bessere PR hilft nicht gegen Bildungsverfall

Das alles bedeutet keineswegs eine Komplettverweigerung gegenüber der Idee, die Außenkommunikation der Wissenschaft zu verbessern. Wenn Wissenschaft aber prinzipiell von ihrer Außenkommunikation lebt (Forschung, Lehre und Veröffentlichung sind gesellschaftliche Kommunikationsformen), warum wird dann ein angeblich völlig neuer Aufgabenbereich erfunden, der den existierenden Kommunikationsformen Zeit, Energie und Geld wegnimmt? Oder meint man wirklich, dem derzeitigen Bildungsverfall oder den populistischen Subwelten pseudowissenschaftlicher Verschwörungstheorien mit besserer PR entgegenwirken zu können?

Sinnvoller wäre es, die Kommunikation und Vermittlung von Wissen selber zu einem Untersuchungsgegenstand interdisziplinärer Forschung zu machen, und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Schwierigkeiten, Grenzen und Gegenkräfte der Wissensvermittlung zu legen, um die eigentlichen Ursachen des heutigen Legitimationsverlusts wissenschaftlicher Aussagen zu ergründen. Diese liegen nämlich in der Gesellschaft und damit auch in der Wissenschaft, insofern sie ein Teil der Gesellschaft ist. Ganz sicher aber nicht darin, dass die Wissenschaft die Gesellschaft aus dem Blick verloren hätte.

Christian Geulen, Michael Sommer

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