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Team von Chirurgen, die im Krankenhaus arbeiten (Symbolbild).

© Santiago Nunez / Photocase

Kryo-Medizin: Notfall-OP am gekühlten Patienten

In den USA haben Ärzte erstmals versucht, Schwerstverletzte mit einer revolutionären Methode zu retten. Ob sie erfolgreich waren, ist unklar.

Eigentlich wollte Samuel Tisherman nur auf einem kleinen Fachsymposium einen kleinen Vortrag halten. Das Thema hieß „Wiederbelebungsmedizin“, und Kollegen sollten erste Daten aus seiner neuen Studie zu sehen bekommen. Doch was er dort in New York am vergangenen Montag sagte, wurde auch im Internet übertragen (im Link beginnt der Vortrag bei etwa Minute 60). Und auch Journalisten sahen zu, zumindest die des „New Scientist“.

Sie berichteten dann auch faktengetreu. Doch danach verselbständigte sich die Meldung. Die „Bild“-Zeitung etwa verlautbarte, ein tiefgekühlter Patient, der laut geltender Definition tot gewesen sei, sei von Tishermans Team ins Leben zurückgeholt worden.

Tatsächlich hat Tisherman nichts dergleichen gesagt.

Dem „New Scientist“ gegenüber hatte er auf Nachfrage nur eher einsilbig erklärt, dass er und sein Team im Rahmen einer Studie dies erstmals versucht hätten. Das wiederum ist weder eine Sensation noch eine Überraschung. Denn dass diese Studie am Krankenhaus der University of Maryland in Baltimore geplant war, war längst bekannt. Seit längerer Zeit hatte das Krankenhaus sogar Anzeigen geschaltet, damit alle, die im Falle einer Schwerstverletzung nicht auf diese Weise behandelt werden wollten, dies vorsorglich dokumentieren konnten.

Der Tagesspiegel hat versucht, von Tisherman direkt Antworten auf die entscheidenden Fragen zu bekommen: Wurde jemand tatsächlich erfolgreich wiederbelebt? Hat er oder sie auch weiter überlebt? Ist er oder sie auf dem Weg der Besserung? Gibt es Hirnschädigungen oder nicht?

Kein Kommentar

Tisherman bat höflich um Verständnis, dass er keine Details preisgeben könne. Das ist nicht überraschend. Er darf es gar nicht, es würde gegen die Regeln der Ethikkommission, die seine Studie genehmigt hat, verstoßen. Ergebnisse solcher Untersuchungen werden in festgelegtem Turnus oder erst nach komplettem Abschluss der Auswertungen öffentlich gemacht. Auf wissenschaftlichen Konferenzen werden aber dann doch gelegentlich Zwischenergebnisse vorgestellt oder zumindest angedeutet. Das hat den Vorteil, dass man vielleicht Input intelligenter Kollegen bekommt, aber auch, dass so zumindest dokumentiert ist, wer mit einer wissenschaftlichen oder medizinischen Leistung der oder die Erste war.

Zumindest derzeit ist also unklar, ob tatsächlich zuvor tiefgekühlte, definitionsgemäß „tote“ Menschen erfolgreich wiederbelebt wurden. Das wäre tatsächlich ein Meilenstein der Medizin und könnte in Zukunft viele Notfallpatienten retten.

Samuel Tisherman.
Samuel Tisherman.

© University of Maryland School of Medicine

Bekannt ist, wie die Methode selbst im Prinzip funktioniert. Tisherman und ein paar Kollegen beschrieben sie erstmals 2017 in einem Fachartikel: Patienten mit Herzstillstand und massivem Blutverlust – meist durch Stich- oder Schussverletzungen – wird so schnell wie möglich auch noch der Rest des Blutes abgepumpt. Ersetzt wird es durch sehr kalte Kochsalzlösung. Die Körpertemperatur sinkt auf etwa 15 Grad Celsius. Dabei geht die Hirnaktivität des Patienten fast auf Null – ein ethisches Problem, denn die Ärzte führen so eigentlich aktiv jenen definitionsgemäßen Todeszustand herbei. Sie haben nun ein bis zwei Stunden Zeit zu operieren.

Normalerweise stehen ihnen höchstens ein paar Minuten zur Verfügung, während das Gehirn aber kaum mit Sauerstoff versorgt wird. Sehr oft verstirbt der Patient oder trägt Hirnschädigungen davon. Nach der OP am gekühlten Patienten wird dieser kontrolliert erwärmt. Literweise Bluttransfusionen ersetzen die Salzlösung wieder. Per Reanimation wird sein Herz wieder in Gang gesetzt.

Rettung aus dem Eiswasser

Bekannt ist auch, dass das in Versuchen mit Hunden erfolgreich war. Und es gibt dokumentierte Einzelfälle, in denen Menschen, deren Körpertemperatur sehr schnell abgefallen war – etwa nach Sturz in eiskaltes Wasser – auch nach vergleichsweise langem Herzstillstand wiederbelebt werden konnten. Die schwedische Ärztin Anna Bågenholm etwa, die 1999 im Mai 80 Minuten in eiskaltem Wasser verbracht hatte, etwa 40 davon mit Herzstillstand, wurde sogar ohne größere Folgeschäden wieder gesund.

In Tishermans Studie ist geplant, zehn Patienten mit der neuen Methode zu behandeln. Die Resultate, etwa Überlebensrate, Ausmaß von möglichen Folgeschäden und dergleichen – sollen mit denen von zehn anderen Patienten verglichen werden. Das wären solche, die zu Zeiten, wenn das Spezialteam keinen Dienst hat, mit konventionellen Methoden behandelt werden. Eine wichtige Frage lautet, ob die Wiedererwärmung vielleicht doch Körper- und Hirnzellen schädigen kann.

Die Temperatur von Patienten herabzusetzen ist prinzipiell kein neuer Ansatz. So wird etwa bei bestimmten Infarktpatienten in spezialisierten Kliniken der Körper kontrolliert auf etwa 32 Grad heruntergekühlt. Das kann unter anderem Hirnschädigungen vermeiden oder mildern.

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