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Wissen: Kürzer benebelt

Alter und chronische Krankheiten sprechen nicht mehr gegen eine Narkose

Vor allem Hochbetagte sind nach dem Erwachen aus einer Vollnarkose häufig desorientiert und für längere Zeit verwirrt. Ausgerechnet das Edelgas Xenon („das Fremde“) könnte dafür sorgen, dass einige von ihnen sich nach einer Operation weniger fremd fühlen auf der Welt. „Unsere Erfahrungen an mehr als 400 Patienten zeigen, dass Xenon Verwirrtheitszustände nach Operationen abmildern kann“, sagte beim Hauptstadtkongress für Anästhesie und Intensivmedizin Stephan-Matthias Reyle-Hahn, Anästhesist am Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau. Dort wurde das Narkosegas schon vor zehn Jahren bei Hüftgelenksoperationen eingesetzt, im Vergleich mit einem gebräuchlichen Narkosegasgemisch. Die Ergebnisse dieser und anderer Studien führten dazu, dass es 2005 seine Zulassung für Deutschland bekam.

Ein Fremder blieb das einschläfernd wirkende Edelgas, das schon 1951 erstmals für eine Narkose eingesetzt wurde, bis Ende der 90er Jahre schon deshalb, weil es kostbar und teuer ist: Xenon, vor allem bekannt als Füllmittel für Lampen, liegt zwar in der Luft, doch sein Anteil an der Atmosphäre beträgt nur 0,0000087 Prozent, es daraus zu gewinnen ist energieaufwändig. Für sparsamen Verbrauch sorgen geschlossene Narkosesysteme, bei denen das ausgeatmete Gasgemisch nicht verloren geht. In Reyle-Hahns Augen ist wichtig, dass die Geräte sich einfach auf andere Verfahren umschalten lassen und nicht zusätzlich im Operationsraum stehen. „Wir wollen die Xenon-Narkose schließlich nicht bei jedem Patienten machen, sondern bei den ein bis zwei Prozent, die davon wirklich profitieren.“

Wer das ist, war eines der Themen des Kongresses im Berliner ICC. Nützen könnte die Xenon-Narkose etwa Patienten mit einer Herzschwäche. Schon länger ist bekannt, dass der Blutdruck mit dieser Methode während des Eingriffs stabil bleibt. Peter Kienbaum von der Uni Düsseldorf und seine Arbeitsgruppe konnten in einer Studie an gesunden Freiwilligen zeigen, dass das für den Kreislauf zuständige sympathische Nervensystem unter Xenon wie im Wachzustand arbeitet. „Das könnte die Ursache dafür sein, dass der Kreislauf stabil bleibt.“

Ein zweiter Einsatzbereich sind extrem Übergewichtige mit Begleiterkrankungen, die zur Gewichtsabnahme einen Magen-Bypass bekommen. Wie Christian Wunder von der Uni Würzburg berichtete, ist bei ihnen oft die Atmung beeinträchtigt. „Durch seine relativ hohe Dichte scheint Xenon für den Gasaustausch dann von Vorteil zu sein.“ Eine Studie hat zudem gezeigt, dass die Patienten schneller zu sich kommen, wenn sie eine Xenon-Narkose bekommen.

Stabiler Kreislauf, weniger Verwirrtheitszustände: Das sind auch Argumente, die in Krankenhäusern der Routineversorgung für eine Xenon-Narkose sprechen. Etwa bei einer Operation an der Hüfte bei einer 113-jährigen Dame nach einem schweren Sturz, über die Thilo Schöllhorn von der Stadtklinik im pfälzischen Frankenthal berichtete.

Früher haben sich Chirurgen und Anästhesisten an Operationen bei derart Hochbetagten nicht herangetraut. „Heute ist jeder Patient narkosefähig“, sagte Gabriele Nöldge-Schomburg, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin von der Uniklinik Rostock. Allerdings sind die Risiken höher. Während nur vier von einer Million Operierten ohne Begleiterkrankung im Zusammenhang mit der Narkose sterben, sind es bei alten Patienten mit Begleiterkrankungen 55 von 100 000. Um die Sicherheit zu erhöhen, hat die europäische Fachgesellschaft der Anästhesisten ein Zehn-Punkte-Programm beschlossen. „Studien zeigen, dass es dramatische Verbesserungen für die Patienten zur Folge hat, wenn Checklisten und Fehlermeldesysteme genutzt werden“, sagte Hugo van Aken von der Uniklinik Münster. Adelheid Müller-Lissner

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