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Zeitzeugen der Erdgeschichte. Mithilfe von Fossilien rekonstruieren Paläontologen die Entwicklung des Lebens auf der Erde. Das geplante Kulturgutschutzgesetz bedroht die Disziplin.

© picture alliance / dpa

Kulturgutschutzgesetz: Freiheit für Fossilien!

Das geplante Gesetz zum Schutz des Kulturguts bedroht die Paläontologie. Hobbysammler und Forscher an Museen fürchten um die Zukunft ihrer Disziplin. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Majestätisch ragen die Klippen aus dem Meer, leuchten in allen erdenklichen Schattierungen von Grau, Braun und Gelb. Die „Jurassic Coast“, der spektakuläre Abbruch Südenglands am Ärmelkanal, wird jedes Jahr von zahlreichen Touristen besucht. Sie schauen, staunen, fotografieren – und wühlen im Schutt. Am Fuß der Klippen findet man mit etwas Glück Fossilien. Wuchtige Ammoniten, skurrile Muscheln, Dinoknochen. 185 Millionen Jahre Erdgeschichte stecken in den Wänden, bei jedem Regenschauer und Frostbruch werden weitere Zeitzeugen herausgelöst und purzeln nach unten.

Auch deutsche Sammler reisen gern an die Jurassic Coast. Wenn sie an den ausgewiesenen Stellen suchen und nicht gerade mit der Spitzhacke ans Kliff herantreten, ist ihr Tun legal. Der Grenzübertritt mit den versteinerten Tieren indes könnte bald ein juristisches Nachspiel haben. Das geplante Kulturgutschutzgesetz umfasst nämlich nicht allein Kunstsammlungen und archäologische Schätze. Tritt es in Kraft, würde es mit einem Schlag auch naturkundliche Objekte wie Fossilien zum „Kulturgut“ erklären. Solches darf nur mit einer Ausfuhrgenehmigung des Herkunftsstaates nach Deutschland gebracht werden.

Im Ausland gibt es oft keine Stellen, die solche Papiere ausstellen

Grundsätzlich ist das eine gute Idee, um es Verbrechern und Terroristen zu erschweren, mit geraubten Schätzen Geld zu machen. Doch die Novelle des Gesetzes, die vergangene Woche vom Kabinett beschlossen wurde, schießt übers Ziel hinaus. Es unterwirft auch Fossilien den Einfuhrbestimmungen, ohne eine Wertgrenze festzulegen. Hobbysammler befürchten, dass ihnen selbst ein paar versteinerte Muscheln im Wert von wenigen Euro zum Verhängnis werden, wenn sie keine Ausfuhrgenehmigung haben. Nur, welche Behörde im Ausland soll diese Dokumente ausstellen – für Objekte, die dort jeder aufklauben darf? Sollen die Länder eine zusätzliche Bürokratie aufbauen, um die Sehnsucht der Deutschen nach Papieren zu befriedigen?

Es geht nicht nur um neue Funde, das Gesetz reicht 30 Jahre in die Vergangenheit. Wer beispielsweise in den frühen Neunzigerjahren einen fossilen Hai aus dem Sediment geborgen hat und diesen verkaufen oder einem Museum schenken will, muss künftig Papiere vorweisen, die er meist gar nicht haben kann. „Es ist absurd“, klagt ein Sammler. „Ich dürfte meine Sammlung zerstören, aber nicht verschenken und damit In-Verkehr-bringen.“

Private Sammler sind wichtig für Museen

Für Museen wäre es verheerend, wenn die Verbindung zu den Hobbypaläontologen geschwächt wird. Die Mitarbeiter haben kaum Zeit, selbst ins Gelände zu gehen. Bis zu 50 Prozent der Sammlungszuwächse sind daher Ankäufe oder Schenkungen von Privatleuten – Zukunft ungewiss. Auch der Austausch mit Museen und Forschern im Ausland wäre massiv bedroht. Es ist üblich und wissenschaftlich gewinnbringend, Objekte für eine zeitlang an Partnerinstitute zu geben, um sie dort auszustellen oder von Fachleuten bearbeiten zu lassen. Wenn Fossilien, aber auch botanische Proben oder etwa Insekten zu „nationalem Kulturgut“ werden (sofern sie wissenschaftlich bedeutend sind), sind dafür Genehmigungen nötig. Der Bürokratieaufwand stiege dramatisch, in den Museen wie in staatlichen Behörden, warnen Experten.

Offenbar haben die Gesetzesmacher die Menge unterschätzt: Es geht um mehr als 50 Millionen Fossilien, die plötzlich „nationales Kulturgut“ wären. Zählt man botanische und zoologische Objekte der großen naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen hinzu, sind es gut 140 Millionen Stücke.

Experten wurden anfangs gar nicht erst gefragt

Dabei hätten es die Juristen eher wissen können. Wenn sie Paläontologen und Naturkundler rechtzeitig gefragt hätten. Erst kurz vor Schluss wurden einige Experten ins Bundeskanzleramt geladen. Im Text indes ist wenig davon zu erkennen.

Es ist unsinnig, Millionen Naturgüter plötzlich zu Kulturgütern zu machen, auf diese Weise Laien wie Profis das Leben schwer zu machen und so die Zukunft einer ganzen Wissenschaftsdisziplin negativ zu beeinflussen. Unbestritten sind herausragende Stücke zu schützen, zudem ließe sich über eine Wertgrenze diskutieren, ab der Papiere nötig sind. Aber das Gros der urzeitlichen Schnecken, Knochen und Zweige sollte vom Regelungswahn verschont bleiben. Damit es weiter Menschen gibt, die Fossilien aufheben und bewahren. Ehe diese von der nächsten Sturmflut ins Meer gespült und zerstört werden.

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