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Lähmungen: Wieder nach dem Handy greifen können

Berliner Mediziner lindern Folgen einer Querschnittslähmung. Bisher völlig gelähmte Muskelreste werden quasi durch die neu verlegten Stränge noch funktionierender Muskeln ersetzt. Muskeln werden dadurch gestreckt und haben mehr zu tun.

Ein Sturz vom Fahrrad, ein missglückter Sprung ins Schwimmbecken, ein Sportunfall. Verletzungen am Rückenmark schränken das Leben sofort und meist für immer ein. Jeder dritte der jedes Jahr rund 1000 neu Betroffenen kann nach einem Unfall nicht nur nicht mehr laufen sondern auch die Arme nicht mehr bewegen. Die Tetraplegie – tetra: zu Deutsch vier und plege: Schlag – ist eine Form der Querschnittslähmung, bei der alle vier Gliedmaßen gelähmt sind. Die Folgen sind für viele Patienten katastrophal: Alle drei Stunden kommt der Pflegedienst, hilft beim Essen, Waschen und Telefonieren; kaum etwas kann ein Tetraplegiker allein. Im Schnitt trifft es Patienten mit 23 Jahren.

Hoffnung kommt aus dem Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn: Wenigstens die Arme können Gelähmte nach einem aufwendigen und neuen Verfahren wieder einsetzen. Das Unfallkrankenhaus hat Fachleute aller nötigen Disziplinen in Sachen Tetraplegie an einen Tisch geholt: Orthopäden, Chirurgen und Neurologen. Schon ein Jahr nach dem Unfall, der zur Querschnittslähmung geführt hat, sollten die wenigen noch funktionierenden Muskeln der Betroffenen in zahlreichen Operationen umgelegt, verlängert und gedehnt werden. Wenn alles gut geht, führt eine intensive Reha zu neuer Beweglichkeit. Bisher völlig gelähmte Muskelreste werden quasi durch die neu verlegten Stränge noch funktionierender Muskeln ersetzt. So wie bei Heiko Paukert, der zwar im Rollstuhl sitzt, aber seit der Operation wieder mit der rechten Hand nach dem Handy greifen und sich fast selbstständig anziehen kann. „Nur noch einmal täglich kommt der Pflegedienst“, sagt Paukert. Vorher hatte er vier mal täglich Besuch von einem Helfer. Paukert ist einer von 13 Patienten des Unfallkrankenhauses, denen mit insgesamt 22 Operationen geholfen wurde.

Das größte Problem? „Die Angst vor dem Eingriff“, sagt Paukert. Was, wenn sich nach der OP selbst die wenigen Restfunktionen der Hand verschlechtern? Was, wenn die überforderten Muskeln aufgeben? Und wie soll man die Zeit unmittelbar nach dem Eingriff aushalten, in der man monatelang als kompletter Pflegefall im Elektrorollstuhl sitzen muss?

Keine leichte Entscheidung, doch Axel Ekkernkamp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und Ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses, hofft, dass sich diese Art der Behandlung bundesweit durchsetzten wird. Die Mediziner brauchen viel Erfahrung, vor allem für die Chirurgen sind die komplizierten Eingriffe in den gelähmten Armen eine Herausforderung. Bisher würden auf diesem Gebiet vor allem in Frankreich und Schweden gute Ergebnisse erzielt. Mit den Kollegen dort stehe man im regen Austausch.

Bis zu 60 000 Euro kostet die Behandlung – wenig im Vergleich zu den 15 000 Euro, die nach Auskunft der Klinik jedes Jahr durch weniger Pflegeaufwand gespart werden können.Hannes Heine

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