zum Hauptinhalt
Blind im Zentrum. Bei der Makuladegeneration werden ausgerechnet jene Sinneszellen des Auges zerstört, die das Zentrum des Sehens ausmachen. Auf dem Netzhaut-Foto ist zu sehen, dass bei diesem Kranken ein großes Areal bereits verblasst und abgestorben ist.

© Your_Photo_Today

Langzeittest der Retortenzellen: Augen auf für Stammzellen

Lange war unklar, ob Stammzelltherapien sicher sind. Eine erste Langzeitstudie an blinden Patienten deutet jetzt darauf hin.

Etwa 25 Millionen Menschen sind weltweit an der Augenkrankheit Makuladegeneration erkrankt. Dabei gehen die lichtempfindlichen Zellen in der Netzhaut verloren, der Patient erblindet langsam aber sicher, denn Hoffnung auf Heilung gab es bislang nicht. Doch nun kann ein blinder 75-jähriger Pferdezüchter aus Kansas, USA, nach einer experimentellen Stammzelltherapie wieder genug sehen, um ausreiten zu können. Andere der insgesamt 18 Patienten in dieser Studie können die Uhr wieder lesen oder den  Computer benutzen. Doch viel bemerkenswerter als diese Einzelschicksale ist, dass die Studie aus dem Fachblatt „Lancet“ zum ersten Mal beweist, dass Zelltherapien auf Basis von Stammzellen keine langfristigen Schäden verursachen.

18 Patienten mit Retortenzellen behandelt

Als James Thomson 1998 zum ersten Mal menschliche embryonale Stammzellen in seinem Labor an der Universität von Wisconsin züchten und vermehren konnte, überschlugen sich die Erwartungen von Medizinern und Patienten für neue Therapien. Da sich aus diesen Zellen prinzipiell jeder Zelltyp des Körpers züchten lässt, schien der Jungbrunnen für frische, gesunde Ersatzzellen für altersschwache, degenerierte Organe nah. Doch dann stellte sich heraus, dass Stammzelltherapien auch Gefahren mit sich bringen. Was, wenn unter den hunderttausenden und Millionen Zellen, die den Patienten gespritzt werden, ein paar sind, die zu Krebszellen heranwachsen können? Was passiert, wenn sie sich nicht in die gewünschten Nervenzellen entwickeln, die Parkinson-Patienten helfen sollen, sondern im Hirn plötzlich Knorpel oder Bindegewebe bilden?

Um solchen Fragen nachzugehen, züchtete das Team des Stammzellforschers Robert Lanza von der Biotechfirma Advanced Cell Technologies in Marlborough, Massachusetts aus menschlichen embryonalen Stammzellen Netzhautzellen. 2010 begann er, sie neun Patienten mit Makuladegeneration und neun Patienten mit der ähnlichen Makuladystrophie in eines ihrer Augen zu spritzen. Der Pferdezüchter aus Kansas konnte bereits nach einem Monat wieder sehen. Insgesamt zeigten Sehtests bei zehn der 18 Patienten eine Verbesserung, bei einem aber auch eine deutliche Verschlechterung. Vor allem aber beobachtete Lanza bis zu 37 Monate nach der Transplantation keine Nebenwirkungen der Zellen. Soweit von außen erkennbar, vermehrten sich die Zellen nicht unkontrolliert, wie es Krebszellen tun würden, oder entwickelten sich in anderes Gewebe.

Zellen verhalten sich normal

„Wir können jetzt sagen, dass Stammzelltherapie sicher ist – zumindest im Auge, nicht mehr und nicht weniger“, sagt James Adjaye, Stammzellforscher an der Universität Düsseldorf. Wie sich andere Retorten-Zellen an anderen Orten im Körper verhalten, lasse sich mit dieser Studie allerdings noch nicht sagen. Außerdem wurden hier nur 50 000 bis 150 000 Zellen in die Netzhaut gespritzt. Bei anderen Krankheiten wie Parkinson oder Multipler Sklerose sind mehrere Millionen von Zellen nötig, damit eine realistische Chance auf therapeutischen Nutzen besteht. „Und je mehr Zellen man einsetzt, umso größer ist die Gefahr, dass ein paar falsche dabei sind“, sagt Adjaye. Einer Zellselektionsmethode, die falsche Zellen zu 99,9 Prozent aussortiert, würden also bei zehn Million Zellen 10000 entwischen. Diesem Problem könne bislang nur damit begegnet werden, möglichst nur so viele künstlich gezüchtete Zellen zu verabreichen wie unbedingt nötig.

"Augenöffner" für die Politik

Inwieweit embryonale Stammzellen an anderen Orten des Körpers einsetzbar sind, ist auch deshalb offen, weil transplantierte Zellen im Auge (und Gehirn) vor der Immunabwehr geschützt sind. Überall sonst im Körper greift es die Zellen an, weil sie nicht die gleichen Gene tragen wie der Patient. In Japan wird deshalb derzeit eine Patientin mit Makuladegeneration am Kobe City Medical Center General Hospital mit einer ips-Zelltherapie behandelt – diese induzierten pluripotenten Stammzellen werden aus Hautzellen des Patienten hergestellt und deshalb vom Immunsystem toleriert.

Adjaye, der als einer der Ersten in Deutschland mit ips-Zellen arbeitete, ist überzeugt, dass die Stammzellforschung langsam den Kinderschuhen entwächst: „Es war naiv zu glauben, binnen fünf oder zehn Jahren Stammzelltherapien möglich machen zu können, doch jetzt haben wir viel mehr Erfahrungen mit den Zellen.“ Im nächsten Jahr will er in Kooperation mit der Düsseldorfer Augenklinik ips-Zellen in Netzhautzellen verwandeln. „Das Rezept für die Herstellung der Zellen ist nicht schwierig“, sagt der Forscher. Von Tests an Patienten könne jedoch noch keine Rede sein.

Der Politik in Deutschland sollte die Studie ein „Augenöffner“ sein, dass sich menschliche embryonale Stammzellen für die Therapie eignen, sagt Adjaye. Die aus ethischen Gründen lange favorisierten adulten Stammzellen seien als Therapie gegen Makuladegeneration jedenfalls nicht geeignet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false