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Billige Lösung. In Berlin bekommen Lehrbeauftragte im Schnitt 30 Euro pro gehaltener Unterrichtsstunde. Vorbereitung und Betreuung der Studierenden, die ein Vielfaches an Zeit beanspruchen, werden aber nicht vergütet.

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Lehrbeauftragte an Universitäten: Professor Prekär

Lehrbeauftragte sichern den Unibetrieb, doch sie bleiben unterbezahlt: Ihr Honorar entspricht nicht einmal dem geplanten Mindestlohn. Helfen will ihnen dennoch kaum jemand.

Für Hochschulen sind Lehrbeauftragte ein Glücksfall. Da ist der Doktorand, der sein Expertenwissen in einem Masterkurs aufbereitet. Da ist die promovierte Kulturwissenschaftlerin, die seit Jahren ein Methodenseminar unterrichtet, das sonst niemand anbietet. Da ist die Konzertpianistin, die froh ist, ein paar Stunden an der Musikhochschule geben zu können, um ihre Miete zu bezahlen. Sie alle sind hoch qualifiziert und werden gern eingesetzt: Denn Lehrbeauftragte verhindern, dass trotz steigender Studierendenzahlen an den chronisch unterfinanzierten Unis die Lehre zusammenbricht. Man kann sie semesterweise engagieren und sie sind unschlagbar günstig: Ob in einem Kurs 15 oder 90 Teilnehmer sitzen – pro Unterrichtsstunde bekommen freie Dozenten in Berlin im Schnitt 30 Euro. Gerade ist an der Humboldt-Universität (HU) zu hören, dass Einsparungen bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern mit dem verstärkten Einsatz von Lehrbeauftragten aufgefangen werden sollten.

Der Lohn: Zwei Euro pro Stunde

Der emeritierte Politikwissenschaftler der Freien Universität (FU), Peter Grottian, hat ausgerechnet, dass das tatsächliche Honorar von Lehrbeauftragten nicht einmal dem geplanten Mindestlohn von 8,50 Euro entspricht, zumindest wenn man den Aufwand für ein Seminar berücksichtigt – von der Literaturrecherche über die Betreuung von Studierenden bis zur Hausarbeitenkorrektur. Auf zwei Euro pro Stunde kommt Grottian.

Viele Lehrbeauftragte unterrichten an mehreren Orten, um über die Runden zu kommen. Eine Dozentin, die seit Jahren an der Alice Salomon Hochschule (ASH) Sozialarbeiter ausbildet, sagt, sie sei erschöpft vom „ständigen Existenzkampf“. Sie lehrt wie viele ihrer Kollegen hauptberuflich, oft bis zu acht Semesterwochenstunden, also so viel wie Professorinnen – allerdings ohne Urlaubsanspruch oder Fortbezahlung bei Krankheit. Vom Mindestlohn für Angestellte, den die große Koalition demnächst beschließen will, werden die selbstständig arbeitenden Lehrbeauftragten nicht profitieren.

Die Unis wollen das Problem nicht wahrhaben

An den Hochschulen wollen die meisten das Problem nicht wahrhaben. Obwohl viele Institute Lehrbeauftragte brauchen, um grundständige Lehre abzudecken, fühlt sich kaum jemand zuständig für sie. Bei der Hochschulrektorenkonferenz heißt es: „Lehrbeauftragte werden als Selbstständige vergütet und können demzufolge nicht als Beschäftigte der Hochschulen Ansprüche für ihre Tätigkeit ableiten.“ Die HU begründet ihre häufig sogar unbezahlten Lehraufträge mit der „hohen Motivation von Drittmittelbeschäftigten“, für die der „Erwerb von Lehrerfahrungen eine gravierende Rolle für weitere Karriereschritte“ spiele. Die ASH lässt wissen, dass Lehrbeauftragte „aus der Praxis“ Studierenden Kontakt zur Berufswelt ermöglichten. „Diese Gruppe verdient ihren Lebensunterhalt im Rahmen anderer Stellen.“ Lehrbeauftragte der ASH gehen allerdings davon aus, dass bis zu 60 Prozent von ihnen ausschließlich von Dozentenjobs leben. Auf Nachfrage gibt die ASH zu, dass sie diese Daten nicht erfasst.

Bundesweit gibt es 90000 Lehrbeauftragte

Offizielle Studien zur Situation von Lehrbeauftragten gibt es nicht. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung sagt, es könne dazu „keine validen Aussagen treffen“, weil ihre Fallzahlen zu gering seien. Tatsächlich arbeiteten 2012 laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit 90 000 Lehrbeauftragte. Die FU zählt im laufenden Wintersemester knapp 700, die Hochschule für Wirtschaft und Recht 847 freie Dozenten, dort decken sie 38 Prozent der Kurse ab. An der HU werden Lehraufträge „vorrangig zur Sicherstellung des in den Prüfungsordnungen vorgeschriebenen Lehrangebotes erteilt“.

Es scheint unwahrscheinlich, dass die Hochschulen solch große Anteile ihrer Lehre mit Praktikern und Nachwuchswissenschaftlern bestreiten, die für ihre Mühe nur eine Aufwandsentschädigung verlangen. Schon bei der freien Künstlerin, die sich mit Zeichenstunden über Wasser hält, schwankt der Mythos vom Ehrenamt. Doch anstatt sich für diejenigen einzusetzen, die unter prekären Bedingungen die Lehre sichern, hält die Politik am Idealtypus des Lehrbeauftragten fest.

Der SPD-Bildungspolitiker Lars Oberg möchte, dass „Praktiker weiter in geringem Umfang ihre Expertise teilen“. Wer hingegen „kein reguläres Beschäftigungsverhältnis hat, darf auch keinen Lehrauftrag bekommen“. Auch die rot-rote Regierung in Potsdam will Berufslehre abschaffen. Im Entwurf des neuen Brandenburgischen Hochschulgesetzes schlägt sie deshalb vor, Lehraufträge auf vier Semester zu begrenzen.

Gefordert werden neue Dauerstellen

Die Landesarbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Beschäftigten und Lehrbeauftragten in Brandenburg (LAG WLB) kritisiert das. „Damit wäre das Land fein raus“, sagt Sahra Damus, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität in Frankfurt/Oder. „Die Politiker könnten sagen, sie hätten die prekäre Beschäftigung eingedämmt, aber die, die von dem Modell leben, stünden auf der Straße.“ Die LAG WLB fordert „Dauerstellen für Daueraufgaben“, etwa an Sprachzentren. Alle anderen Aufträge müssten angemessen vergütet werden, „mindestens zum Mindestlohn“. So würden Stellen automatisch teurer, so dass es nicht mehr so viele Anreize gäbe, Lehrbeauftragte anzustellen. „Dann kann man auch gleich eine feste Stelle schaffen. Dafür brauchen die Hochschulen aber ausreichend Geld vom Land.“

Das Land Berlin hat versucht, solche Stellen zu schaffen, indem es neue Personalkategorien für Lehrkräfte einrichtete. Mit der „Qualititätsoffensive für die Lehre“ stellt Berlin zudem jährlich zehn Millionen Euro bereit, die Hochschulen auch für Lehrbeauftragte ausgeben könnten. Wie die Hochschulen das Geld nutzen, entscheiden sie selbst, doch sie setzen Mitarbeiter mit Lehrschwerpunkt nur zurückhaltend ein. Die Hochschulen kritisieren, dass die Lehrbelastung auf solchen Stellen zu hoch sei. Jan Konst vom Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der FU befürchtet, dass für diese Lehrkräfte kaum Zeit für eigene Forschung bliebe.

Viele leisten keinen Widerstand - sie sind auf die Kurse angewiesen

Lehrbeauftragte sehen das anders: Eine freie Dozentin, die sich an der ASH semesterweise um einen Kurs bewirbt, sagt, es würde vorausgesetzt, dass sie immer auf dem aktuellen Forschungsstand sei. Lehrbeauftragte stehen unter ständigem Leistungsdruck. Aufstiegschancen gibt es dagegen kaum. An der FU werden zum Beispiel „keine personellen Entwicklungsmöglichkeiten“ für Lehrbeauftragte angeboten, da sie nicht zum hauptberuflichen Personal gehören.

Warum tut sich das jemand an? Sie lehre gerne, sagt die Dozentin der ASH, eine Quereinsteigerin, die nie eine wissenschaftliche Karriere plante. „Aber ich hatte keine Ahnung, wie sehr man kämpfen muss.“ Nun sei sie hoch spezialisiert, doch ihre Lehrerfahrung werde andernorts kaum gebraucht. „Irgendwann kommt man aus der Schleife nicht mehr raus.“ Matthias Jähne von der Wissenschaftsgewerkschaft GEW warnt davor, Lehrbeauftragten ihre Situation vorzuwerfen. Promovierende etwa würden häufig von betreuenden Professoren um einen Kurs gebeten, seien also abhängig.

Weil die Lehrbeauftragten aus finanziellen oder Karrieregründen auf die Kurse angewiesen sind, leisten sie kaum Widerstand. Sie kennen sich selten gegenseitig, haben keine Büros und kaum Interessenvertreter an den Hochschulen. Der Politologe Peter Grottian bezeichnet die Gruppe als völlig marginalisierten, wissenschaftlichen „Outcast“.

An der ASH haben sich die Lehrbeauftragten immerhin einen Platz in den Gremien erkämpft, hier wissen selbst Studierende, wie prekär deren Lage ist. Geplant ist dort auch eine Beratung für Dozenten, die ihnen Perspektiven in der Wissenschaft aufzeigt. Die Hochschulen müssten endlich anerkennen, dass Lehre mehr ist als eine abgehaltene Stunde, sagt die Dozentin. „Man kann in der Lehre nur ebenbürtig zusammenarbeiten, wenn gleiche Leistung auch gleich bezahlt wird.“

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