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Schüler im Schulgarten der inklusiven Spandauer Schule am Grüngürtel.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Lehrerstudium: Klasse Pädagogen für Berlin

Das neue Berliner Lehrerstudium hängt wegen des Koalitionskrachs seit langem in der Warteschleife. Aber nicht nur über den „Einheitslehrer“ wird noch gestritten.

Eigentlich sollten Berlins Lehramtsstudierende im kommenden Herbst in ein reformiertes Studium starten. Doch daraus wird nichts. Die Koalition streitet über den „Einheitslehrer“. Frühestens kann es also im Herbst 2015 losgehen. Am heutigen Donnerstag suchen SPD und CDU weiter nach einem Kompromiss für das Lehrerbildungsgesetz. Der SPD-Abgeordnete Lars Oberg warnt allerdings vor zu großem Optimismus.

Während die CDU sich weiter am „Einheitslehrer“ reibt, nutzen andere Kritiker die Warteschleife, um weitere Veränderungen zu fordern. Hier ein Überblick über die wichtigsten geplanten Neuerungen und die Kritik daran.

„Einheitslehrer“

Nur noch ein Lehramt ist für die Oberschule vorgesehen: das des Studienrats. Der bisherige „Lehrer mit zwei Fächern (L-2)“, der nur bis zur zehnten Klasse unterrichten durfte und vor allem an der Haupt- und Realschule eingesetzt wurde, wird abgeschafft. Ohnehin wählten nach Auskunft der Unis weniger als zehn Prozent der Lehramtsstudierenden das „L-2“-Studium. Und Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) verweist auf die Berliner Schulreform: Haupt- und Realschulen gibt es nicht mehr, auch die neue Integrierte Sekundarschule (ISS soll) führt einen Teil ihrer Schüler zum Abitur. Darauf müssten die Lehrer vorbereitet werden.

Die Schulexperten der CDU gehen hingegen davon aus, dass Lehramtsstudierende, die später an einer ISS mit einer schwierigeren Schülerklientel arbeiten, mehr Pädagogik im Studium brauchen.

Ein Kompromiss bestünde darin, dass angehende ISS-Lehrer zwar nicht mehr Pädagogik studieren, aber Pädagogikkurse mit entsprechenden inhaltlichen Schwerpunkten belegen.

Besteht die Gefahr tatsächlich, dass angehende ISS-Lehrer zu wenig Pädagogik studieren, sollte die SPD bei ihren Plänen bleiben? Das ist nicht gesagt. Denn jedenfalls wird der Anteil an Pädagogik höher liegen als beim bisherigen „L-2“-Studium – nämlich um 25 Prozent höher, wie die Senatsverwaltung auf Anfrage mitteilt. Auch beim Studium der beiden Schulfächer legen die ISS-Lehrer gegenüber den alten „L-2“-Lehrern im Umfang deutlich zu: Sie kommen nun auf das Niveau der jetzigen Studienräte. Möglich wird das durch das um ein Jahr längere Studium.

Alle studieren gleich lang

Bislang studierten nur die angehenden Studienräte zehn Semester und gingen für 24 Monate ins Referendariat. Die „L-1“-Lehrer, die überwiegend in der Grundschule unterrichten, sowie die „L-2“-Lehrer studierten nur acht Semester, die Sonderpädagogen neun. Das Referendariat war jeweils nur ein Jahr lang. Die neuen Lehrämter werden aufgewertet. Das Studium dauert dann für alle Studierenden zehn Semester, das Referendariat immer 18 Monate. Das längere Studium erlaubt höhere Anteile sowohl in Pädagogik als auch in den Fachwissenschaften.

Wird der alte Studienrat dafür im fachlichen Niveau nach unten gezogen, wie von mancher Seite behauptet wird? An solchen Gerüchten ist der Senat selbst schuld. Denn im öffentlich zugänglichen Gesetzentwurf fehlen die Antworten auf solche bedeutenden Fragen. Vieles wird hinter den Kulissen in Rechtsverordnungen geregelt – auch zum Ärger der Opposition. Tatsächlich soll sich an dem bisherigen Studium der Studienräte überhaupt nichts ändern, wie die Senatsverwaltung auf Anfrage klarstellt. Es werde bei den bisherigen 175 Leistungspunkten bleiben, in den Fachdidaktiken bei je 30 Leistungspunkten. Damit liegt der fachwissenschaftliche Anteil des Berliner Studienrats wie gehabt weit über den Mindestanforderungen der Kultusministerkonferenz für Gymnasiallehrer (180 Punkte für die Fächer und ihre Didaktik).

Praxissemester

Bisher gab es neben dem ersten Praktikum im Bachelor nur zwei vierwöchige Unterrichtspraktika im Master. Das geplante Praxissemester erfüllt zwar den alten Wunsch der Studierenden nach längerem Kontakt zur Schule. Doch vorgesehen ist es erst im dritten Semester des Masters (im 9. Studiensemester), also unmittelbar vor dem Studienabschluss. Dieser späte Zeitpunkt gilt auch bei den Experten an den Unis nicht als ideal, selbst wenn die Studierenden fortan kompensatorisch schon im ersten Praktikum im Bachelor unterrichten sollen.

„Ein riesiges Potenzial wird hier verschenkt“, wirft Michael Nové dem Senat vor. Der Berliner Lehrer gehört selbst dem Fachausschuss „Stadt des Wissens“ der SPD an, der die Reform bereits heftig kritisiert hat. Kein Lehramtsstudierender dürfe in Berlin mehr die Uni verlassen, ohne ein Praktikum an einer Brennpunktschule absolviert zu haben. Dies ließe sich durchaus einrichten, wenn das Praxissemester auf ein Praxisjahr gestreckt würde, sagt Nové. Die Studierenden könnten dann ein Semester in einer Brennpunktschule absolvieren, das andere an einer Schule ihrer Wahl. Statt ein Semester lang wie geplant drei oder vier Tage pro Woche in der Schule zu verbringen, wären sie dann ein Jahr lang zwei Tage pro Woche in der Schule: „Dann würden die Mentoren entlastet und hätten zugleich länger Zeit, ihre Praktikanten zu beobachten“, meint Nové.

Aus der Senatsverwaltung heißt es dazu, natürlich gebe es bundesweit unterschiedliche Modelle für das Praktikum. In Berlin werde aber eine kompakte Lösung bevorzugt. Wären die Studierenden nur ein oder zwei Tage pro Woche in der Schule, kämen sie nicht aus ihrem Besucherstatus heraus. Das kompakte Praxissemester gebe ihnen die Chance, wirklich Teil des schulischen Alltag zu werden. Das zweite Mastersemester komme für das Praktikum mit Rücksicht auf die Schulen nicht infrage. Es falle in den Sommer, also in die Prüfungsphase der Schulen (Abitur, mittlerer Schulabschluss, „Vera“ und Berufsbildungsreife).

Inzwischen steht jedenfalls fest, dass die Senatsverwaltung eine Unterrichtsermäßigung für die Mentoren der Praktikanten wünscht: Pro Praktikant sollen zwei Stunden erlassen werden (pro Fach je eine). Das verursacht Kosten, die mit dem Haushalt für die Jahre 2016/2017 eingeplant werden müssen.

Sprachförderung

Viele Schüler haben Schwierigkeiten mit dem Deutschen, auch Muttersprachler. Darum soll „Sprachbildung/Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“ im Studium gestärkt werden. Statt sechs Leistungspunkte (vier Lehrveranstaltungen) sollen die Studierenden zwei Drittel mehr DaZ belegen (zehn Leistungspunkte). Kritiker vom Fachausschuss „Stadt des Wissens“ der SPD hätten sich aber gewünscht, dass DaZ als eigenes Fach gewählt werden kann. Dazu bräuchte Berlin aber eine DaZ-Professur. Aus der Senatsverwaltung heißt es, die Bedeutung von DaZ an den Unis werde sicher noch wachsen.

Inklusion

Auch in Berlin sollen immer mehr Schüler mit speziellem Förderbedarf in den Regelunterricht integriert werden („Inklusion“). Alle Lehramtsstudierenden sollen darum eine „Basisqualifikation“ erwerben müssen. Aus Sicht von Stefan Kipf, dem Leiter der „Professional School of Education“ der Humboldt-Uni, wird diese „Basisqualifikation“ wegen ihres geringen Umfangs aber keinen „professionalisierenden Charakter“ haben, sondern nur einen „informierenden Charakter“.

Die Inklusion soll als Querschnittsaufgabe in Pädagogik, Psychologie und Fachdidaktik verankert sein. Kipf weist allerdings darauf hin, dass den Fachdidaktiken bislang noch die Expertise dafür fehle.

Sonderpädagogik

Das neue Studium soll darauf reagieren, dass die auf Sonderpädagogik spezialisierten Lehrer zukünftig weniger in Förderschulen eingesetzt, sondern eng in den Betrieb der Regelschule eingebunden werden. Darum wird das eigene Lehramt Sonderpädagogik abgeschafft. Stattdessen studieren die Lehrkräfte Sonderpädagogik als einen Studienschwerpunkt. Befürchtungen von Kritikern, wonach es nun weniger Sonderpädagogik im Studium gibt, weist die Senatsverwaltung zurück: Schon die Anerkennung der Berliner Sonderpädagogen im gesamten Bundesgebiet verlange einen Studienanteil von 120 Leistungspunkten. Auch die angehenden Grundschulpädagogen werden Sonderpädagogik in diesem Umfang als Schwerpunkt wählen können, teilt die Senatsverwaltung auf Anfrage mit.

Neue Grundschullehrer

Umstritten ist auch das neue Lehramt für die Grundschule. Der bisherige „L-1“-Lehrer wurde zwar überwiegend an Grundschulen eingesetzt, war aber berechtigt, sein Zweitfach bis zur 10. Klasse zu unterrichten. Die GEW kritisiert, dass den Grundschullehrern diese Möglichkeit nun genommen wird, ihre fachliche Ausbildung werde beschnitten. Das stimmt – aber auch wieder nicht. Tatsächlich wird den Lehrern der Unterricht in der Oberschule nicht mehr möglich sein. Aber die fachliche Ausbildung wird an anderer Stelle gestärkt. Mathe und Deutsch müssen fortan in deutlich größerem Umfang studiert werden, auch der dritte Lernbereich soll im Studium gestärkt werden (wählbar sind Sachunterricht, erste Fremdsprache, Kunst, Musik oder Sport). Bislang waren Mathe und Deutsch nur in geringem Umfang als zwei von drei Lernbereichen des Faches Grundschulpädagogik Pflicht.

Die UdK sieht Kunst und Musik, bislang als Hauptfach neben Grundschulpädagogik studierbar, dadurch allerdings ins Hintertreffen geraten.

Besoldung

Studieren alle Lehrer gleich lang, werden sie auch gleich viel verdienen müssen, so sieht man es auch in der Senatsverwaltung. Der Hochschulverband argwöhnt, dass es dazu nicht kommen wird. Doch da die neu ausgebildeten Lehrer erst ab dem Jahr 2022 in den Schuldienst kommen, muss sich der Finanzsenator dazu nicht sofort äußern.

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