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Lenzen auf dem Sprung nach Hamburg: "Leistungsfähig und vergnügt"

Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität, zieht es an die Spitze der Uni Hamburg. Ein Programm hat er schon entworfen.

Der Präsident der Freien Universität, Dieter Lenzen, will an die Spitze der Universität Hamburg wechseln. Das stand am Donnerstagnachmittag fest. Allerdings endete die Wahl in einem Debakel: Am frühen Abend war klar, dass Lenzen auf keinen Fall wie geplant am gleichen Tag als neuer Präsident der Universität Hamburg präsentiert werden würde. Denn der Akademische Senat, der die Wahl des Hochschulrats mit einfacher Mehrheit zu bestätigen hat, entschied, sich am Donnerstag nicht mehr äußern zu wollen. Ob aus formalen Gründen oder weil eine Einigung auf den Kandidaten nicht möglich schien, ist unbekannt. Am Mittwoch sollen sich der Fakultätsrat Erziehung, Psychologie und Sport sowie der Fakultätsrat Geisteswissenschaften gegen Lenzen als Präsidenten ausgesprochen haben.

Das Verfahren wurde von lautstarken studentischen Protesten beeinträchtigt. Rund 800 Studierende waren zu der öffentlichen AS-Sitzung am Mittag gekommen. Mit ständigen Zwischenrufen kritisierten sie die Kandidatur Lenzens und das „intransparente“ Verfahren der Präsidentenwahl. Der Vorsitzende des Hochschulrats, Albrecht Wagner, verteidigte das Vorgehen: „Wir halten uns an die Statuten.“ Über eventuelle Änderungen müsse man nach der aktuellen Wahl diskutieren. Die AS-Sitzung wurde schließlich abgebrochen.

Um 18 Uhr nahmen die Senatsmitglieder aber an einer gemeinsamen Sitzung mit dem Hochschulrat teil, bei der Lenzen sich vorstellen sollte. Diese Versammlung drohte eine kleinere Gruppe von Studierenden zwischenzeitlich zu sprengen. Darum habe Lenzen von seiner Powerpoint-Präsentation abgesehen, sagten studentische Beobachter. So hätten die Teilnehmer der Sitzung lediglich über das weitere Prozedere entschieden. Ob der Hochschulrat am Abend noch an einem geheimen Ort zusammenkam, um Lenzen dennoch zu wählen, blieb offen. Studierende berichteten über Twitter, der AS werde am heutigen Freitag zusammen kommen.


Warum Lenzen die FU verlässt

Bislang hat Lenzen seine Motive für den Wechsel nicht offengelegt. So wird spekuliert. Lenzen habe für die Freie Universität keine Entwicklungsperspektive mehr gesehen, weil der Senat die Zuschüsse mit den neuen Hochschulverträgen nicht klar gesteigert hat, ist zu hören. Vielleicht bekomme Lenzen in Hamburg auch ein höheres Gehalt. Oder er habe erkannt, dass die nächsten Präsidentenwahlen an der FU schwierig für ihn hätten werden können und ziehe eine sichere sechsjährige Amtszeit in Hamburg vor. Eine weitere Idee: Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) habe ihm in Aussicht gestellt, Wissenschaftssenator der Stadt zu werden, sobald die politische Lage es erlaubt.

Die Risiken und Chancen seines Wechsels für die FU

Mit dem Weggang Lenzens müssen alle drei Berliner Universitäten eine neue Leitung suchen – und das unmittelbar im Vorfeld der nächsten Runde des Exzellenzwettbewerbs. Die Antragsskizzen müssen bis September 2010 eingereicht sein. Der Eindruck eines personellen Vakuums in Berlin muss für die Gutachter aber nicht entstehen. Die TU will im Januar wählen: entweder den Chemiker Jörg Steinbach oder den Mathematiker Martin Grötschel. Die HU will bis zum Sommer ein neues Präsidium gewählt haben. Es ist anzunehmen, dass sich die FU bemühen wird, zeitnah eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Lenzen zu präsentieren. Gehandelt werden bereits die Erste Vizepräsidentin Ursula Lehmkuhl und Peter-André Alt, der Leiter der Dahlem Research School für Doktorandenprogramme an der FU. Beide haben eine Kandidatur bislang nicht ausgeschlossen.

Mit dem plötzlichen Wechsel Jürgen Mlyneks von der Humboldt-Universität zur Helmholtz-Gemeinschaft im Vorfeld des ersten Exzellenzwettbewerbs, die ihm viele Professoren bis heute nicht verziehen haben, ist der Wechsel Lenzens jedenfalls nicht zu vergleichen, sagen FU-Professoren.

Lenzen habe die FU so gut aufgestellt, dass sie auch ohne ihn gute Chancen im Exzellenzwettbewerb haben werde. Die gleiche Meinung ist aus dem Umfeld des Berliner Senats zu hören. Die im Zuge des Exzellenzwettbewerbs geschaffenen strategischen Zentren leisteten bereits „beeindruckende Arbeit“. Die FU hat ein Zentrum für Clusterentwicklung aufgebaut, das hilft, die zukünftigen Schwerpunkte in der Forschung zu identifizieren. Die neue Dahlem Research School bündelt die Doktorandenausbildung, und ein Zentrum für internationale Kooperation unterstützt wissenschaftliche Kontakte mit dem Ausland.

Allerdings verliert die FU mitten in den noch anhaltenden Verhandlungen über die Hochschulverträge an Gewicht. Die Hochschulen können sich seit Wochen nicht auf Parameter einigen, nach denen ab 2012 die Mittel vom Land leistungsbezogen verteilt werden. Auch wird die FU vorerst bundespolitisch geschwächt. Lenzen ist ein Hans Dampf in allen Gassen und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz.

In Berliner Politikerkreisen sieht man in einem Wechsel jedoch die Chance, die bisherige politische Stärke der FU, nämlich den breiten Konsens im Akademischen Senat, für die Zukunft abzusichern. Denn zwar war Lenzen im Vorfeld des Exzellenzwettbewerbs, im Sommer 2007, noch einmal mit großer Mehrheit wiedergewählt worden. Und auch hatte sich der Akademische Senat öffentlich hinter den Eliteantrag gestellt. Doch mittlerweile grummelt es an der Basis. Nicht in Exzellenzprojekten tätige Wissenschaftler fühlen sich zum Teil übergangen und von oben gegängelt. Eigentlich verfügt Lenzen über großes Kommunikationsgeschick. Er kann ein zugewandter, offener und auch humorvoller Gesprächspartner sein. Möglich, dass er von seiner Fähigkeit an der FU aber seit längerem nicht mehr so viel Gebrauch gemacht hat – aus Zeitmangel, oder weil ihm seine Erfolge zu Kopf gestiegen sind. Eine neue Leitung könnte die frustrierten Professoren, andere Wissenschaftler, Verwaltungsangestellte und Studierende wieder mit einbinden, sagt ein externer Kenner der FU.

Jedenfalls Lenzens Gruppe im Akademischen Senat, die „Vereinte Mitte“, hat sich bei der Sitzung des Gremiums am Mittwochabend öffentlich hinter Lenzen gestellt. Professoren wie der Germanist Alt, der Psychologe Arthur Jacobs und der Staatsrechtler Philip Kunig wenden sich gegen die studentische Kampagne „Not my President“, die Lenzen vorwirft, durch seinen Führungsstil dem Wohl der FU zu schaden. Dies sei „absurd und diffamierend“, erklären die Professoren. Das Gegenteil sei der Fall: Lenzen habe die Uni „in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Mitgliedern der Universität und den Gremien in einer schwierigen Situation nach vorne gebracht“. Es sei in erster Linie Lenzens Verdienst, „dass die Freie Universität heute im nationalen und internationalen Vergleich zu den Top-Universitäten gehört“. Die Professoren sind offen für Kritik. Dem persönlich verletzenden und hoch aggressiven Ton dieser Studierendengruppe treten sie aber entgegen.


Was Lenzen in Hamburg vorhat

Seine Bewerbungsrede in Hamburg hat Lenzen schon vor genau einem Monat gehalten: dezent als Festrede zum 90. Gründungsjubiläum der Universität getarnt. Lenzen sprach im Festsaal des Hamburger Rathauses vor geladenen Gästen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft und klang dabei so, als ob er noch viel vorhat in Hamburg. Die „alte Dame“ Universität Hamburg habe immer wieder Krisenzeiten erlebt, bei allem stehe jedoch fest: „She is a lady“, schmeichelte Lenzen. Er beschrieb die Aufgaben der Universität mit Zitaten großer Philosophen und Soziologen des 20. Jahrhunderts. Von Karl Jaspers „Die Universität gehört dem ganzen Volk“ über Schelskys Bildungsbegriff, nach dem die Universität Lernenden und Lehrenden „Raum für Souveränität“ verschaffen muss, hat Lenzens Rede den Hamburgern offensichtlich gefallen. Sie sei „ausgesprochen lebendig und mitreißend“ gewesen, erklärte die Unileitung. Lenzen benutzte dabei für seine Ausführungen über Hamburg bereits das Personalpronomen „wir“: Mit den Maximen der zitierten Philosophen „kommen wir auch zum 100. Geburtstag“, sagte Lenzen etwa.

Wilhelm von Humboldt zitierte er aus einem Brief an seine Frau Caroline von 1804: „Wer, wenn er stirbt, sich sagen kann: ,Ich habe so viel Welt, als ich konnte, erfasst und in meine Menschheit verwandelt‘, hat getan, was im höheren Sinn des Wortes Leben heißt.“ Dieses Weltbürgertum bezog Lenzen auf eine „Internationalisierungsstrategie“, die er für die Uni Hamburg skizzierte. Hamburg mit der Elbe als „hundert Kilometer langem Tor zur Welt“ sei dafür bestens geeignet.

In Zeiten knapper Kassen müsse die Uni „synergetische Effekte“ erzeugen und dabei „leistungsfähig und vergnügt“ bleiben. Bei der Umstellung auf Bachelor und Master solle man „mit den Kollateraleffekten liberal umgehen“ und „nicht jeden Atemzug eines Studenten bewerten“. Das Hamburger Hochschulgesetz müsse einer Revision unterzogen werden. Mit dem Struktur- und Entwicklungsplan für das Jahr 2012, den die Uni Hamburg im Juli dieses Jahres formuliert hat, kann Lenzen aber leben: „Diese Pläne sind gut durchdacht“, lobte der Kandidat. Die Rede mündete in Lenzens Vision für die Zukunft der Uni Hamburg: Nach dem Ende des zweiten Exzellenzwettbewerbes im Jahr 2019 „werden hier zwei bis drei Cluster und eine Handvoll Graduiertenschulen entstanden sein“.

Was Lenzen für die FU getan hat

Seit 32 Jahren ist Lenzen an der Freien Universität Professor für Erziehungswissenschaft. Zum Präsidenten wurde er im Mai 2003 gewählt. Die FU hatte mit ihren Präsidenten auch in der Vergangenheit schon gute Griffe getan, und als Lenzen das Amt antrat, waren wichtige Weichen bereits gestellt. Angesichts der neuen Konkurrenz durch die Humboldt-Universität verzichteten die Gremien auf politische Kämpfe.

Ende der neunziger Jahre nutzte die FU ihre neue Chance im Hochschulgesetz und verschlankte ihre Entscheidungswege. Lenzen, damals Erster Vizepräsident, schloss mit sämtlichen Fachbereichen Zielvereinbarungen ab. Als Präsident fand Lenzen also eine ordentliche Substanz vor, auf der sich aufbauen ließ.

Lenzen ging allerdings mit einer Energie ans Werk, die die der meisten anderen Unileiter übertrifft. Die Liste seiner Aktivitäten und Erfolge ist lang und nötigt selbst seinen Kritikern Respekt ab. Lenzen hat der FU ein neues Gesicht gegeben, ein modernes Image, das ihre vielen wissenschaftlichen Erfolge nach außen erst richtig zur Geltung bringt.

Lenzen ist ein begnadeter Netzwerker. Er hat es verstanden, die einst als linke Gammeluni verpönte FU bei Wirtschaftsvertretern hoffähig zu machen. Mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit kann Lenzen so gut wie mit Bundesbildungsministerin Schavan. Im Ausland, in New York, Moskau, Peking und Neu Delhi, sind Verbindungsbüros entstanden, die internationale wissenschaftliche Kontakte erleichtern.

Lenzen verdankt die Freie Universität auch frischen Wind bei Berufungen. Unter seiner Leitung hat die FU so viele Professorinnen berufen wie keine andere Uni.

Lenzens großer Präsidialstab wird in der FU als Doppelstruktur zur Verwaltung kritisiert – funktionstüchtig ist er aber wohl: Schnell, freundlich und kompetent tritt er in Erscheinung. Davon scheint das Management der Uni Hamburg weit entfernt.

Nach außen wirkt die FU viel offener als früher. Das reicht von dem preisgekrönten Internetauftritt der Uni über die achtmal im Jahr erscheinende Tagesspiegel-Beilage der FU bis zum Fundraising-Dinner in New York. Vor der Mensa in der Silberlaube, früher nur eine ungastliche Halle, gibt es nun einen Service-Point für Studierende und einen Shop mit FU-Devotionalien. Frisch immatrikulierte Studierende hat Lenzen mit einem FU-Rucksack beschenkt, um ihre Identität als FU-Mitglieder zu stärken. Er hat ein Hotel mit Tagungszentrum auf dem Campus und einen Beachvolleyballplatz errichtet.

Lenzens Erfolg gipfelt in dem Überraschungssieg im Elitewettbewerb, der die Freie Universität unter die neun Siegerinnen bundesweit führte. Von ihren Forschungsleistungen her, ihrer großen Geschichte und ihrem Ort in der Mitte der Stadt galt die Humboldt-Universität als Favoritin. Doch Lenzen konnte das Ruder mit dem in einem internen Wettbewerb klug vorbereiteten weit solideren Antrag herumreißen: die FU wird sich zur „Internationalen Netzwerkuniversität“ entwickeln, in den nächsten fünf Jahren kann sie dafür 105 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Schon Jahre vorher hatte Lenzen begonnen, die Forschung der Freie Universität in Clustern, also großen Schwerpunkten zusammenzuführen, um mehr „kritische Masse“ zu erreichen.

In der Lehre bemüht Lenzen sich schon seit den Studierendenprotesten 2003/2004 darum, mit den Fachbereichen Verbesserungen bei den Stundenplänen im Bachelor zu erreichen. Seine umstrittene Malusregelung, wonach allzu langsamen Studierenden die Exmatrikulation drohte, musste er zurücknehmen.

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