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Peter-André Alt ist Präsident der Freien Universität. Soeben wurde er auch zum Präsidenten der Deutschen Schillergesellschaft gewählt

© Thilo Rückeis

Literatur und Wissenschaft: "Nachlässe werden immer teurer“

Der Germanist Peter-André Alt wacht als neuer "Schatzkanzler der deutschen Literatur" über das Erbe großer Autoren

Herr Alt, als „Schatzkanzler der Germanistik“ hat der verstorbene Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott das Amt des Präsidenten der Deutschen Schillergesellschaft bezeichnet. Was kommt auf Sie zu?

Der Präsident der Deutschen Schillergesellschaft hat ein Ehrenamt inne. Allerdings nehme ich in dieser Position eine Art Aufsicht über die Geschäfte des Deutschen Literaturarchivs (DLA) Marbach wahr, dessen bedeutende Sammlungen inzwischen von immerhin 200 Mitarbeitern betreut werden. Meine Aufgabe wird sein, den Direktor des DLA, Ulrich Raulff, zu unterstützen, nicht zuletzt bei Grundsatzentscheidungen über den Erwerb von Vor- oder Nachlässen. Aber ich werde auch Fundraiser sein, denn das DLA braucht ausreichend Finanzmittel zur Anschaffung von Nachlässen. Wir sind ständig mit neuen attraktiven Angeboten konfrontiert.

Ist der Markt für Vor- und Nachlässe stärker in Bewegung als früher?

Ja, es werden mehr Vorlässe angeboten, weil Autoren sich mit ihren Schriften auch auf diese Weise finanzieren wollen. Vor- und Nachlässe sind in den vergangenen Jahrzehnten in ihrem Wert erheblich gestiegen, was sie sehr teuer macht ...

... weshalb Marbach gerade erst den Nachlass von Uwe Johnson an die Universität Rostock verlor.

Die Zeit der echten Auto- und Typografen geht zu Ende. Die Schriftsteller hören auf, Briefe auf Papier zu schreiben. Sie mailen lieber, und was sie schreiben, verschwindet sofort. Das ist ein echter Verlust. Auch bedeutende Wissenschaftler hinterlassen keine Briefe mehr. Der Komparatist Gert Mattenklott war noch ein großartiger Briefschreiber, seinen Nachlass betreut das DLA sowie die außerordentlich originellen Schriften von Friedrich Kittler.

Aufsehen erregt hat unlängst der Streit des DLA mit der Nationalbibliothek in Israel um Manuskripte von Kafka aus dem Nachlass von Max Brod. Israel will die Schriften im Land halten. Die Philosophin Judith Butler hat nationalistische Töne auf beiden Seiten kritisiert.

Max Brods Erbinnen wollen, dass der Nachlass nach Marbach geht und im dortigen literarischen Kontext erschlossen wird. Das wünscht sich auch die Community der Kafka-Forscher. Im Übrigen fühlt Marbach sich für jüdische Traditionspflege durchaus zuständig, dort werden Manuskripte von Hannah Arendt, Paul Celan oder Gershom Scholem aufbewahrt. Es wäre ein Gebot der wissenschaftlichen Vernunft, die Kafka-Manuskripte nach Marbach zu geben.

Der Wissenschaftsrat hat das DLA euphorisch für seine Leistungen in der Forschung gelobt und es als einen „der bedeutendsten Orte des nationalen Gedächtnisses in Deutschland“ bezeichnet. Scharf kritisiert haben die Experten aber, dass die unprofessionellen Organisationsstrukturen dazu nicht passen. Wie wurde reagiert?

Wir haben unsere Hausarbeiten gemacht. Mit der neuen Satzung vom März 2012 hat der Direktor des DLA deutlich mehr Gewicht gewonnen. Er kann finanzielle Entscheidungen bis zu einer bestimmten Höhe ohne Zustimmung des Kuratoriums treffen, und er erhält Stimmrecht im Vorstand. Das Kuratorium wurde verkleinert, die Zuwendungsgeber erfahren dadurch eine Stärkung.

Der Wissenschaftsrat hat auch vorgeschlagen, das DLA mit der Stiftung Weimarer Klassik und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in einem Verbund zusammenzuführen, um ihre herausragende Bedeutung für die deutsche Literatur sichtbarer zu machen. Was ist seitdem geschehen?

Eine Fusion streben die drei Einrichtungen selbstverständlich nicht an. Dafür sind wir zu unterschiedlich. Die Bibliothek in Wolfenbüttel sammelt Barock-Literatur, Weimar pflegt die Nachlässe von Goethe und Schiller, und in Marbach steht die Literatur des 19. beziehungsweise des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart im Mittelpunkt, besonders, seit vor zwei Jahren auch noch die Suhrkamp-Insel-Sammlung hinzukam. Wir wollen aber enger miteinander kooperieren, Vorbild kann die gemeinsam herausgegebene „Zeitschrift für Ideengeschichte“ sein. Denkbar ist auch, ein übergreifendes Doktorandenkolleg für Archivforschung aufzubauen, etwa in Kooperation mit den Universitäten in Tübingen und Stuttgart sowie mit der Freien Universität und der Humboldt-Universität.

Wie wollen Sie Ihre Aufgaben als FU-Präsident mit ihrem neuen Amt vereinbaren?

Ich war schon vorher Sprecher des wissenschaftlichen Beirats und Mitglied im Vorstand der Schillergesellschaft des DLA. Dabei war ich involviert in die Auswahl der Stipendiaten, eine sehr aufwendige Arbeit, die jetzt entfällt. Im Übrigen lassen sich manche Aufgaben für die Schillergesellschaft auch in Berlin erledigen.

Die Fragen stellte Anja Kühne

PETER-ANDRÉ ALT, 52, ist Germanist und Präsident der FU. Jetzt wurde er zum Präsidenten der Deutschen Schillergesellschaft gewählt, die das Deutsche Literaturarchiv Marbach trägt

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