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Das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.

© mauritius images

Machtmissbrauch in der Wissenschaft: Max-Planck-Forscherin nennt Vorwürfe „haltlos“

Mobbing von Mitarbeitern? Tania Singer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, gibt lediglich kommunikative Probleme unter Stress zu.

Tania Singer ist Expertin für Empathie. Seit acht Jahren ist die renommierte Neurowissenschaftlerin und Psychologin Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, wo sie gemeinsam mit ihrem Team die Grundlagen für menschliches Sozialverhalten und Emotionen wie Mitgefühl und Fairness untersucht. Doch ihrem Team gegenüber hat sich die 48-jährige Spitzenwissenschaftlerin angeblich nicht immer fair verhalten. Elf ehemalige und aktuelle Mitarbeiter werden ihrer Chefin systematisches Mobbing vor.

Wie das Magazin „Science“ und „BuzzFeed News Deutschland“ berichteten, soll Singer die Wissenschaftler der Abteilung für Soziale Neurowissenschaft über Jahre hinweg schikaniert haben, indem sie sie anschrie, ihnen drohte und ihre Fähigkeiten abwertete. Ihr wird außerdem vorgeworfen, sie habe ihr Team dazu angehalten, „hypothesenkonform“ zu arbeiten und Mitarbeitende beschimpft und teilweise entlassen, wenn ihre Ergebnisse nicht mit vorher definierten Thesen übereinstimmten.

"An den Kräften zehrende Aufgaben"

Singer bezeichnet diese Vorwürfe gegenüber dem Tagesspiegel als „haltlos“. In einem Statement, das auf Anfrage von ihrer Anwältin übermittelt wurde, bestreitet sie insbesondere wissenschaftliches Fehlverhalten und betont, dass die wissenschaftliche Arbeit ihres Instituts stets als exzellent bewertet wurde. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) bestätigt dies in einem Statement, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Singer gibt allerdings zu, dass die Arbeit an ihrer Studie gemeinsam mit anderen, „an den Kräften zehrenden“ Aufgaben zu einer „schweren persönlichen Belastung“ geführt habe. Daraufhin hätten sich „auf kommunikativer Ebene Schwierigkeiten in Problemsituationen ergeben“. „Es ist mir auf dieser Ebene nicht gelungen, stets jedem Einzelbedürfnis aller Forscher als alleinige Verantwortliche für dieses Großprojekt gerecht zu werden“, so Singer. Sie habe sich hierfür im Rahmen eines 2017 eingeleiteten Mediationsprozesses entschuldigt.

Tania Singer, ehemalige Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.
Tania Singer, ehemalige Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.

© picture alliance / Jan Haas

Auch die MPG betont, dass den Vorwürfen eines Fehlverhaltens in zahlreichen Gesprächen nachgegangen wurde. Dabei sei deutlich geworden, dass „Maßnahmen ergriffen werden müssen, unter anderem um das Vertrauen zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihrer Direktorin sowie eine wieder gut funktionierende Arbeitsumgebung herzustellen“.

Eine weitere Direktorin steht in der Kritik

Es ist nicht das erste Mal, dass die MPG derartige Negativschlagzeilen macht. Im Februar berichtete „Der Spiegel“ über systematisches Mobbing und Machtmissbrauch an einem Institut der MPG. Im Juni identifizierte „BuzzFeed News Deutschland“ die Direktorin des Instituts für Astrophysik in Garching, Guinevere Kauffmann, als Quelle des Mobbings. Gegenüber dem Magazin „Nature“ hat Kauffmann die Vorwürfe teils bestritten, teils aber auch ein Fehlverhalten zugegeben. Sie ist weiterhin als Direktorin am Institut tätig.

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Das Mobbing-Problem der MPG ist Kritikern zufolge auch ihrem Aufbau geschuldet. Ihr sogenanntes Harnack-Prinzip garantiert den Abteilungsdirektoren der Institute maximale wissenschaftliche Freiheit. Die renommiertesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Welt können frei über Ressourcen und Forschung bestimmen. Das Prinzip macht die MPG attraktiv für Spitzenwissenschaftler, es bedeutet aber auch, dass keine höhere Instanz die Direktoren beaufsichtigt. Sie können also schalten und walten, wie sie wollen. Mit der Leitung einer Gruppe von Doktoranden scheinen aber einige überfordert zu sein.

Doktoranden-Netzwerk: "Nur die Spitze des Eisbergs"

Als Reaktion auf die Missstände hat das bundesweite Netzwerk von Doktorandinnen und Doktoranden der Max-Planck-Institute „PhDnet“ jetzt ein Positionspapier zu Machtmissbrauch und Konfliktlösung veröffentlicht. Die Vorwürfe gegen Singer nennt das PhDnet „nur die Spitze des Eisbergs“.

In dem Papier kritisieren sie im Namen der über 5000 Max-Planck-Doktoranden steile Hierarchien, Abhängigkeiten, hohen Publikationsdruck und fehlendes Training der wissenschaftlichen Führungspersönlichkeiten in Personalführung. Diese Kritikpunkte beträfen nicht nur die MPG, sondern den gesamten Wissenschaftsbetrieb. Um die strukturellen Probleme anzugehen, schlagen die Doktoranden vor, einen Verhaltenskodex zu definieren.

Zur Prävention von Machtmissbrauch fordert das PhDnet eine flächendeckende Einsetzung von Promotionskomitees, so dass mehrere unabhängige Mitglieder für die Betreuung von Doktorarbeiten zuständig sind. Direktoren sollen regelmäßige Führungstrainings absolvieren, ihre absolute Macht etwa über Vertragsverlängerungen soll eingeschränkt werden. Die MPG soll im Konfliktfall bei der Suche nach neuen Betreuenden helfen und den Promovierenden müssen Anstellung, Bezahlung und Zugriff auf ihre eigenen Forschungsdaten zugesichert werden.

Forderung: Keine Betreuung von Promovierenden nach Mobbing

Zur Konfliktschlichtung fordert das PhDnet die Einsetzung eines unabhängigen Komitees durch die MPG, das auf Grundlage des Verhaltenskodexes einzelne Fälle untersucht und bewertet. Falls es weiterhin zu Mobbing und Machtmissbrauch kommt, müsse es Konsequenzen für die Täterinnen und Täter geben, von verpflichtenden Trainings bis hin zu einem Verbot, Promovierende zu betreuen.

Die Max-Planck-Gesellschaft beteuert in ihrem Statement, dass sie Vorwürfe von Mobbing „sehr ernst“ nehme und diesen „verantwortungsbewusst“ nachgehen würde. „Notwendige strukturelle und organisatorische Maßnahmen zur Erkennung, internen Erörterung und Verhinderung eventueller Fehlentwicklungen sind von der MPG eingeleitet worden“, heißt es weiter.

Sabbatical - und danach eine kleinere Arbeitsgruppe

Der Fall Singer aber scheint erst einmal auf Eis gelegt. 2017 wurde Singers Bitte nach einem Sabbatical unterstützt, „um die Situation zunächst einmal zu beruhigen“, so die MPG. Die einflussreiche Wissenschaftlerin nutzt die Zeit, um an einem Buch zu schreiben. Im Anschluss an das Sabbatical soll Singer 2019 eine deutlich kleinere Arbeitsgruppe für Soziale Neurowissenschaften leiten, die Details würden derzeit besprochen. Diese Maßnahmen erfolgen auf ihren eigenen Wunsch, wie sowohl die MPG als auch Tania Singer betonen.

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