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Auswärts essen. Fettschwalme fliegen für die begehrten Ölfrüchte durchaus 100 Kilometer weit.Foto: laif

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Wissen: Mal so richtig ausschlafen

Überraschende Entdeckung: Fettschwalme kehren nur alle drei Tage in ihre Höhle zurück. Offenbar ist es ihnen dort zu laut

Bereits der zweite Tag seines Freilandexperimentes bereitete Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell ziemliches Kopfzerbrechen. Gemeinsam mit Kollegen von der Universität in Caracas und der US-Universität Princeton hatte er in einer Karsthöhle in der Nähe der Stadt Caripe in Venezuela ein paar der dort lebenden Fettschwalme gefangen und mit einem kleinen Flugschreiber versehen wieder freigelassen.

Tagsüber schlafen diese knapp ein Pfund schweren Vögel in einer Karsthöhle und füttern ihre Jungen. Nachts fliegen sie durch den Regenwald Südamerikas und fressen die öligen Früchte von Palmen und Lorbeerbäumen. Am nächsten Morgen warteten jedoch die Forscher vergeblich auf die Rückkehr Tiere. „Behindert der Sender die Tiere vielleicht zu sehr?“ Wikelski wusste es nicht, vielleicht sollte man das Experiment abbrechen? Schließlich wollen die Forscher die Vögel beobachten, aber keineswegs gefährden.

Als die Tiere auch am zweiten Morgen nicht zu ihrer Höhle zurückkamen, konnten sie die Fettschwalme immer noch nicht von ihren Sendern befreien. Erst am dritten Morgen tauchten die Vögel wieder auf und die Sorgen der Biologen entpuppten sich als falsch. Die Fettschwalme waren ziemlich munter und hatten auch ihre Sender noch dabei. Nur die Lehrbücher waren falsch.

Die gehen zum Teil noch auf Alexander von Humboldt zurück, der die Tiere 1799 in der gleichen Höhle fand, in der Wikelski die Vögel mit Flugschreibern ausrüstete. 15 000 Fettschwalme leben dort, steht seither in den Zoologiebüchern. Und dass sie jeden Morgen dorthin zurückkehren, um ihren Nachwuchs mit den Ölfrüchten zu füttern. Jedes Jahr töteten die Bewohner des Regenwaldes damals rund die Hälfte der Jungvögel und kochten aus ihnen Öl heraus. Im Englischen heißen die Tiere daher „oilbird“.

Um ihre Lebensweise zu studieren, setzten Wikelski und sein Team kleine Sender ein, die nur wenige Prozent des Körpergewichtes der Tiere wiegen. Über Satellitenortung zeichnen sie auf, wo sich die Vögel gerade aufhalten, und messen gleichzeitig die Beschleunigung. „Starke Beschleunigung deutet auf kräftige Flügelschläge hin“, erläutert Wikelski. Bewegen sich die Tiere zwar, kommen dabei aber nicht vom Fleck, schreien sie vermutlich.

Bei der Auswertung der Daten stellte sich heraus, dass die Fettschwalme nach Verlassen der Höhle geradewegs zu einem Baum mit Ölfrüchten fliegen, der durchaus 100 Kilometer entfernt sein kann. Sie stopfen sich den Bauch voll, fliegen dann aber nicht zur Höhle zurück, sondern zu einem Baum, in dem sie tagsüber schlafen und der wiederum weitere 80 Kilometer entfernt sein kann. Dort verdauen sie das nächtliche Mahl und spucken die Samen aus. Am nächsten Abend geht es dann oft wieder zum selben Fruchtbaum, der Schlafbaum am nächsten Morgen kann aber auch ein anderer sein. Weshalb sie nicht in die Höhle zurückfliegen, die ja kaum weiter entfernt ist, ahnte der Forscher bisher nur: „In der Höhle wachen die Tiere jede Nacht bis zu 15-mal auf und schreien sehr laut“, sagt Wikelski. „Vielleicht suchen sie im Freien nur einen ungestörten Schlaf.“ Am dritten Morgen kehren die Fettschwalme endlich zur Höhle zurück, schließlich müssen sie den dort wartenden Nachwuchs versorgen.

Die Daten der Flugschreiber hatten also eine verbreitete Fehleinschätzung aufgedeckt. Aber nicht nur in Bezug auf die Reisegewohnheiten der Vögel. Bisher nahm man an, in der großen Höhle würden 15 000 Fettschwalme jeden Tag verbringen. Wenn sie aber nur jeden dritten Tag dort hinkommen, leben dort dreimal so viele Tiere wie bisher angenommen.

Wichtiger ist wohl die zweite Schlussfolgerung: Wenn die Tiere in zwei von drei Nächten an jeweils anderen Schlafbäumen die Samen der Ölfrüchte ausspucken, verbreiten sie diese Pflanzen über große Strecken. Damit leisten die zwischen Panama und Bolivien lebenden Vögel einen wichtigen Beitrag für die Artenvielfalt im Regenwald. Roland Knauer

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