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Wissen: Mann der Pflicht

Warum Bernhard Bueb will, dass Schulleiter ihre Lehrer stärker „führen“

Er mag Reizwörter, und Reizwörter prangen auch, dramatisch rot oder schwarz auf weißem Hintergrund, auf den Umschlägen seiner Bücher. Disziplin! Pflicht! Führen! Holla, das klingt konservativ. Dazu noch das Bild eines 70-Jährigen, der aussieht, wie ein Schulleiter in den 60ern ausgesehen haben könnte. Und schon ist ein Klischee geboren: „Deutschlands strengster Lehrer“, so wurde Bernhard Bueb bereits tituliert. Bueb, ausgesprochen übrigens weder „Büb“ noch „Buub“, sondern leicht diphtongiert „u-e“, macht es denen, die nur die Umschläge seiner Bücher lesen, leicht, ihn misszuverstehen.

Wer den ehemaligen Assistenten Hartmut von Hentigs und langjährigen Leiter der Internatsschule Schloss Salem persönlich erlebt, ist dann erstaunt: Er trifft auf einen ruhigen, beinahe sanften, höflichen Menschen, der mit voller, erprobter Stimme spricht, sie aber kaum jemals leidenschaftlich erhebt – das ganze Gegenteil eines Eiferers. Kein Politiker, kein Dompteur, sondern einer, der, neben den Reizwörtern, auch andere Wörter gebraucht, die sonst in pädagogischen Debatten selten zu hören sind: „Güte“, „Lebensglück“, „Liebe“. Oder: „Sinn des Lebens“. Es ist keine hasserfüllte Auseinandersetzung mit den 68ern, die Bueb führt. Eher sind es Gedanken eines vom humanistischen Gymnasium geprägten Pädagogen, der zwar ein wenig altmodisch wirkt und spricht, inhaltlich aber auf einer Linie liegt mit dem, was in aktuellen Debatten um die Rolle des Schulleiters, die Notwendigkeit von Teamarbeit unter Lehrern oder Regeln in der Erziehung zu hören ist.

Bernhard Buebs Grundkritik am deutschen Schulwesen, die er in seinem neuen Buch „Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung“ ausführt, lautet: Der Unterricht findet hinter verschlossenen Türen statt, seine Qualität ist nicht messbar. „Wenn ein Lehrer mit einer Klasse nicht zurechtkommt, wird er nicht davon erzählen oder sich Hilfe holen.“ Auch der Schulleiter oder die Schulleiterin kann nur über das Getuschel anderer Lehrer oder der Schüler einen vagen Eindruck von der Qualität der Arbeit bekommen, denn Unterrichtsbesuche sind nur begrenzt aussagekräftig: „Sobald ich da persönlich auftauche, verändert sich der Unterricht, das Klima in der Klasse ja schon.“ Eigentlich, spitzt Bueb zu, müssten in Klassenzimmern „die Türen ausgehängt werden“ – damit Schulleiter und andere Lehrer mitkriegen, was passiert. Und die Lehrer sollten „Jahrgangsteams“ bilden, die ihren Unterricht aufeinander abstimmen und sich gegenseitig unterstützen.

Die weit verbreitete Geheimniskrämerei um den Unterricht ist schlecht für die Schüler, denn im schlimmsten Fall erhalten sie jahrelang schlechten Unterricht. Sie ist aber auch schlecht für die Lehrer selbst: Sie entbehren die „Segnungen der Führung“, wie Bueb es ausdrückt. Führung, das würde bedeuten: Der Schulleiter müsste um die Probleme wissen, dem Lehrer Gespräche und Rat anbieten, ihn zu Fortbildungen oder Coachings schicken können – und ihn, wenn alle Mittel versagen, auch entlassen können. Der Schulleiter, der nach Buebs Willen nur auf fünf Jahre bestellt und dann bestätigt werden sollte, müsste mehr Kompetenzen in der Auswahl seiner Lehrer haben und auch mehr Möglichkeiten, gute Lehrer zu belohnen – auch mit Gehaltszulagen.

Wie aber soll der Schulleiter wissen, welcher Unterricht gut ist und welcher schlecht? Dafür schwört Bueb auf eine Methode, die in der Schweiz mit Erfolg angewandt wird: „Die Schüler füllen jedes Jahr einen – sorgfältig ausgearbeiteten – Fragebogen über jeden Lehrer aus. In der Schweiz hat sich gezeigt, dass die Schüler erstaunlich fair über ihre Lehrer urteilen.“ Wichtig dabei ist: Die Schüler müssen mit Namen zu ihrer Aussage stehen, und: Die Fragebogen gehen nicht an den Lehrer, der Schüler für ihre Aussagen bestrafen könnte, sondern an den Schulleiter. Der kann sich dann aus der Vielzahl der Antworten über eine längere Zeit hinweg ein einigermaßen klares Bild verschaffen.

Auch andere Forderungen Buebs passen nicht zu dem Bild des Altkonservativen, das vor allem durch den Titel seines Bestsellers von 2006 „Lob der Disziplin“ entstanden ist. Er fordert die flächendeckende und verbindliche Einführung von Ganztagsschulen: „Das wäre gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten ein Segen. Die Lehrer würden sie anders kennenlernen: nicht nur als Mehmet, der im Matheunterricht stört, sondern nachmittags auch als Mehmet, der wunderbar Fußball spielen oder Streit schlichten kann.“

Und er wünscht sich – genau wie seine Kollegin Enja Riegel, die ehemalige Leiterin der preisgekrönten Helene-Lange- Schule in Wiesbaden und Autorin des Buches „Schule kann gelingen!“ – , dass das Spiel eine größere Rolle einnimmt: „Beim Theaterspielen können sich auch Kinder beweisen, die sonst Schwierigkeiten haben.“ Wie das zur „Führung“ passt? Ganz einfach: Führung sei immer in erster Linie darauf ausgerichtet, „das Selbstbewusstsein der zu Führenden zu stärken“.

Gerne erzählt Bueb auch Geschichten, wie er selbst gescheitert ist: als junger Lehrer, der mit hohem moralischem Anspruch auftrat, aber erfahren musste, dass die Schüler mit ihm machten, was sie wollten. Oder als Vater, der seine Töchter nicht dazu bringen konnte, regelmäßig wie verabredet den Hund auszuführen. Es ist, das weiß Bueb genauso gut wie alle Eltern und Lehrer, verdammt schwer, immer das Vorbild zu sein, das man gerne wäre. Und gerade bei Lehrern ist die Vorbildfunktion ja nicht nur auf das Unterrichten beschränkt. „Wie sagen Sie einem Lehrer, dass er sich besser anziehen sollte?“ Das fällt auch einem Schulleiter schwer.

In jedem Falle sollte der Schulleiter viel im Haus unterwegs sein, meint Bueb, nach dem Prinzip des „management by wandering around“. Was er dabei zum Beispiel bemerken könnte, ist dass auch Lehrer einfache menschliche Umgangsregeln nicht immer beherzigen. Eine Losung in Schloss Salem lautete daher: „Grüßt die Putzfrauen!“ Denn, fragt Bueb: „Wie sollen die Schüler die sanften Tugenden lernen, wenn die Lehrer andere Menschen, die nicht auf ihrer Hierarchiestufe stehen, wie Luft behandeln?“

Bernhard Bueb: Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung. Ullstein Verlag, 171 Seiten, 18 Euro.

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