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Medizin: Der nicht so kleine Unterschied

Medikamente wirken bei Frauen häufig anders als bei Männern - doch viele Ärzte erfahren von diesen Unterschieden nichts,

Dem Herzinfarkt vorbeugen können Männer mit niedrig dosierter ASS („Aspirin“). Frauen dagegen können keinen Infarkt damit verhindern, dafür nutzt das Mittel aber zur Prävention des Schlaganfalls – nicht jedoch den Männern. Manche Arzneimittel wirken schwächer bei Frauen, viele aber stärker, sie haben bei ihnen aber auch mehr Nebenwirkungen als bei Männern. Zahlreiche, auch tierexperimentelle Forschungen der letzten Zeit ergaben geschlechtstypische Unterschiede in der Arzneitherapie.

Beim jährlichen interdisziplinären Forum der Bundesärztekammer in Berlin befasste sich die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft mit den unterschiedlichen Reaktionen von Mann und Frau. Diese Unterschiede wurden lange ignoriert. Dass die pharmakologische Forschung die biologische Andersartigkeit des weiblichen Organismus übersah, mussten Frauen mit teils tödlichen Arzneimittelschäden bezahlen.

Allmählich ändert sich dieser Missstand. Noch bis 1990 fand die erste Erprobung neuer Substanzen so gut wie nie an weiblichen Versuchspersonen statt, berichtete die Pharmakologin Petra Thürmann (Witten und Wuppertal). Heute werden in Arzneimittelstudien mehr als ein Drittel Frauen einbezogen. Auch fahndet man in schon abgeschlossenen Studien nachträglich nach unterschiedlichen Ergebnissen (sofern das Geschlecht überhaupt dokumentiert ist).

Der Zyklus beeinflusst die Verarbeitung der Medikamente

So fanden die Forscher zum Beispiel heraus, dass blutdrucksenkende Mittel Frauen weit weniger nützen als Männern und ihnen eher schaden können. Überhaupt haben sehr viele Medikamente bei Frauen mehr Nebenwirkungen als bei Männern, etwa Leberschäden oder schwere Hautreaktionen.

Besonders betroffen sind betagte Frauen. Ihr oft leichter Körper und seine Veränderungen wie eine verringerte Nierenfunktion würde eine Dosisreduktion erfordern. Und weil sie oft mehrere Krankheiten haben, wäre auf schädliche Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Mitteln zu achten, sagte die Arzneispezialistin. Medikamente sind für Frauen jeden Alters oft relativ überdosiert, schon weil sie im Durchschnitt kleiner und zehn bis 20 Kilo leichter sind als Männer. Ihr Körper hat weniger Muskelmasse und mehr Fett, der Wassergehalt schwankt mit dem Zyklus. Arzneistoffe werden deshalb anders verarbeitet und oft langsamer abgebaut, etwa Schmerzmittel wie ASS oder Paracetamol.

Die geschlechtstypischen Besonderheiten der Pharmakokinetik (Aufnahme, Verteilung, Umwandlung, Abbau und Ausscheidung von Arzneistoffen) im weiblichen Organismus sind mittlerweile gut bekannt. Die (riskante ) höhere Konzentration hängt oft mit den Sexualhormonen zusammen. Sie beeinflussen jene Enzyme, die am Abbau der Arzneimittelsubstanzen beteiligt sind. So haben Frauen bei gleicher Dosis zum Beispiel 40 Prozent mehr Metoprolol (ein blutdrucksenkender Betablocker) im Blut als Männer, und wenn sie die „Pille“ nehmen, steigt die Metoprolol-Konzentration nochmals um 50 Prozent.

Ärzte erfahren wenig von Wirkungsunterschieden

Zu solchen quantitativen Unterschieden kommen die noch wenig erforschten geschlechtsspezifischen Differenzen der Wirkungsweise. Warum wachen Frauen eher aus der Narkose auf und sind früher ansprechbar? Warum brauchen Männer gegen starke Operationsschmerzen 40 Prozent mehr Morphin als Frauen? Das hängt offenbar mit Unterschieden an den Andockstellen (Rezeptoren) für Schmerzmittel auf der Zelloberfläche zusammen – sie sind bei Mann und Frau verschieden empfindlich.

Bei Herz-Kreislauf-Mitteln sind die Unterschiede zwischen Patienten und Patientinnen besonders gravierend. Wie Vera Regitz-Zagrosek (Charité) mitteilte, werden zum Beispiel herzstärkende Digitalis-Präparate bei Frauen öfter als bei Männern so stark überdosiert, dass es zu Todesfällen kommt. Auch ACE-Hemmer und andere Bluthochdruckmittel, Medikamente zur Prävention und zur Auflösung von Blutgerinnseln und Mittel gegen Herzrhythmusstörungen sind für Frauen risikoreicher. Bislang kommen die Informationen über Geschlechtsunterschiede in der Arzneibehandlung jedoch noch zu wenig bei den Ärzten an, wurde auf der Tagung kritisiert. 

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