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Medizin: Die Nabelschnur als Stammzell-Spender

Eltern können Stammzellen aus der Nabelschnur ihrer Kinder einlagern lassen – aber ist das sinnvoll?

Nach der Geburt des Babys pulsiert sie noch ein wenig. Dann wird die Nabelschnur abgeklemmt und mit dem Mutterkuchen zusammen sang- und klanglos entsorgt. Aber das Blut darin ist Quelle für besonders vitale und verträgliche Blutstammzellen. Drei von 100 werdenden Eltern gehen deswegen heute anders vor: Das Blut aus der Nabelschnurvene wird im Kreißsaal gesammelt, etwa eine Kaffeetasse voll. Anschließend werden entweder das Vollblut oder die daraus isolierten Stammzellen bei einer Temperatur von unter Minus 130 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gelagert – als Spende oder für das eigene Kind.

Die Zellen können heute schon das Leben eines leukämiekranken Kindes retten. Studien haben gezeigt, dass sie unter Umständen sogar für erwachsene Patienten mit Blutkrebs ausreichen. Andere Anwendungen der wandlungsfähigen Multitalente sind noch Zukunftsmusik. Aber man kann nicht ausschließen, dass irgendwann etwa Patienten nach einem Infarkt oder zu Beginn einer Multiplen Sklerose standardmäßig mit verschiedenen Formen von Stammzellen behandelt werden. Stammzellen aus Nabelschnurblut sind dann vielleicht besonders begehrt, vereinen sie in sich doch die ethische Unbedenklichkeit körpereigener „adulter“ Gewebestammzellen (zu denen sie zählen) mit der Wandlungsfähigkeit der problematischeren embryonalen Stammzellen. Die Unreife der in ihnen enthaltenen Abwehrzellen macht sie zudem für fremde Empfänger verträglicher.

Die Mehrheit der jungen Eltern hebt sie jedoch heute für das eigene Kind auf – in der Hoffnung, damit eine Art biologische Lebensversicherung abgeschlossen zu haben. So wird bei der Firma „Vita 34“ in Leipzig, die diesen Service seit 1997 anbietet, inzwischen das Blut aus 60 000 Nabelschnüren für einen eventuellen therapeutischen Einsatz aufbewahrt. Das kostet die Eltern einmalig rund 2000 Euro, pro Jahr kommen noch einmal 30 Euro für die Lagerung dazu. Für einen ähnlichen Preis bieten die Firmen „StellaCure“ und „Eticur“ ihre Dienste an. Seit November ist die Rostocker Firma „Seracell““ dazugekommen, mit 180 Euro zuzüglich sechs Euro Lagerungsgebühr monatlich in den ersten zehn Jahren derzeit weltweit günstigster Anbieter. Kein Zweifel: Die Aufbewahrung von Stammzellen aus Nabelschnurblut ist zum boomenden Markt geworden.

Dabei gibt es auch eine Art, die kostbaren Stammzellen aufzubewahren, die die junge Familie überhaupt nichts kostet: In einer Nabelschnur-Stammzellbank. Hier werden sie gelagert, um sich eines Tages bei einem heute noch unbekannten Empfänger nützlich zu machen, ähnlich wie bei einer Knochenmarksspende. Fünf solcher öffentlichen Banken existieren in Deutschland. In Düsseldorf, Dresden, Mannheim, Freiburg und Erlangen.

Soll man das Nabelschnurblut nun für den Fall, dass das eigene Kind die Stammzellen wegen einer schweren Erkrankung einmal gebrauchen könnte, kostenpflichtig aufbewahren? Oder ist dieser Fall so unwahrscheinlich, dass man sie besser einer Nabelschnurbank zur Verfügung stellt? „Bei unseren Informationsabenden merken wir, dass die Eltern heute oft ratlos sind, welche Möglichkeit sie wählen sollen“, sagt Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Frauenklinik und Geburtshilfe am St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Tempelhof.

Wenn bei einer Leukämie heute eine Stammzelltherapie nötig ist, werden meist Zellen aus dem Knochenmark oder auch dem Nabelschnurblut von Spendern bevorzugt. „Das Nabelschnurblut der betroffenen Kinder selbst enthält dagegen oft schon Zellen, die Vorstufen von Krebs haben“, sagt der Kinderkrebsspezialist Bernhard Kremens von der Uniklinik in Essen. Der Gedanke an die kindlichen Leukämien sollte Eltern also eher motivieren, das Blut einer Spenderbank zu vermachen. Die im Fall eines Falles auch dem eigenen Kind helfen könnte.

Inzwischen gibt es jedoch auch allererste Berichte über andere Anwendungsgebiete von Stammzellen des eigenen Nabelschnurbluts. Acht kleine Kinder mit einem Diabetes vom Typ 1 wurden in einer Studie in Florida damit behandelt. Sie brauchten anschließend weiter Insulin, die Dosis konnte jedoch geringfügig reduziert werden.

Anette-Gabriele Ziegler von der Forschergruppe Diabetes am Städtischen Krankenhaus München-Schwabing, die ebenfalls einen Patienten in die Studie eingebracht hat, vermutet, dass Immunzellen aus dem Nabelschnurblut den Prozess der Zerstörung Insulin produzierender Betazellen in der Bauchspeicheldrüse eindämmen könnten. „Es ist aber nicht zu erwarten, dass der Diabetes durch diese Behandlung ganz verschwindet.“

Noch steckt die Forschung in winzigen Babyschuhen – Diabetes vom Typ 1 ist zudem ebenfalls eine seltene Erkrankung. „Wenn Eltern um eine familiäre Belastung wissen, könnte es aber sinnvoll sein, das Nabelschnurblut ihres Neugeborenen aufzubewahren“, meint Ziegler.

Noch mehr Grund dafür gibt es möglicherweise, wenn schon vor der Geburt bei einem Kind per Ultraschall ein schwerer Herzfehler diagnostiziert wurde. Herzchirurgen am Münchner Uniklinikum Großhadern experimentieren derzeit mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut, aus denen eines Tages mitwachsender Ersatz für defekte Herzklappen entstehen könnte. Auch hier handelt es sich aber um Einzelfälle.

„Mütter von gesunden Neugeborenen und ihre Familien sollen wissen, dass es nach dem heutigen Stand des Fachwissens kein Versäumnis darstellt, das Nabelschnurblut des Kindes nicht einzufrieren“, heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzell-Transplantation. Deren Mitautor Bernhard Kremens bezeichnet die Gefrierkonservierung als „hochspekulatives Investment“ der Eltern. „Das ist so, als würde man sicherheitshalber ein Grundstück auf dem Mond kaufen.“ Wer sich nicht dafür entscheide, brauche kein schlechtes Gewissen zu haben.

Auch Abou-Dakn findet es nicht richtig, wenn Einlagerungs-Firmen bei ihrer Werbung auf die diffusen Ängste setzen, die alle jungen Eltern umtreiben. In seinem Krankenhaus wurden werdende Eltern schon in den 90er Jahren zur Spende von Nabelschnurblut motiviert, später kam die Zusammenarbeit mit mehreren Anbietern der Eigenvorsorge dazu. Abou-Dakn möchte beides nicht gegeneinander ausspielen, er findet es wichtig, dass die kostbare Stammzellquelle überhaupt aufbewahrt wird.

„Vita 34“ und „Eticur“ machen inzwischen denn auch ein Kombi-Angebot: Wenn das Nabelschnurblut von Menge und Qualität dafür ausreicht und die Eltern das wünschen, wird es typisiert, die Informationen werden an eine Spenderbank weitergegeben. Falls später die Zellen ihres Kindes für einen Patienten genau passend sein sollten, können die Eltern (oder die inzwischen Volljährigen) sich entscheiden. Wenn sie spenden, werden die bisherigen Kosten zurückerstattet.

Auch bei „StellaCure“ werde ein solches Angebot derzeit vorbereitet, berichtet Sprecherin Susanne Engel-Hömke. „Schon heute unterstützen aber die Eltern, die bei uns Stammzellen aus Nabelschnurblut für ihre eigenen Kinder einlagern, damit indirekt die Fremdspende.“ Wenn schon nicht das Nabelschnurblut selbst, so fließt in diesem Fall nämlich ein kleiner Prozentsatz der Lagerungsmiete an die Spenderbank des DRK in Mannheim, mit der die Firma zusammenarbeitet.

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