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Aidsviren

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Medizin: Hoffnung auf ein Leben ohne Aids

Mit einer aufwendigen Stammzellbehandlung bekämpfen Berliner Ärzte die Immunschwäche. Von "Heilung" sprechen die Charité-Ärzte selbst wohlweislich nicht.

Gero Hütter, 39, war der Star des Nachmittags. Der junge Arzt vom Franklin-Klinikum der Berliner Charité – Jeans, Turnschuhe, randlose Brille, Arztkittel – lächelte tapfer in das Blitzlichtgewitter und die Fernsehkameras. Hütter habe eine „Aids-Heilung“ vollbracht, hatte die „Bild“-Zeitung behauptet. Deshalb waren die Journalisten am Mittwoch scharenweise zu Hütter und seinen Kollegen an die Charité gekommen. Denn eine völlige Aids-Heilung ist bislang noch niemandem geglückt.

Von „Heilung“ sprachen die Charité-Ärzte selbst wohlweislich nicht. In ihrer Pressemitteilung war vorsichtiger davon die Rede, dass ein Patient das Aidsvirus „besiegt“ habe. Bei dem Mann sei der Erreger seit 20 Monaten nicht mehr nachweisbar. Einen Beweis, etwa eine wissenschaftliche Veröffentlichung, legten die Mediziner bisher nicht vor. Aber sie sind sich ziemlich sicher, die Krankheit vertrieben zu haben.

Der Patient, um den es geht, ist 42 Jahre alt und Amerikaner, seit mehr als zehn Jahren mit dem Aidserreger HIV infiziert. Vor drei Jahren ließ er sich wegen akuter myeloischer Leukämie – einer Form von Blutkrebs – am Franklin-Klinikum behandeln. Nach einem ersten Behandlungsversuch mit Zellgiften (Chemotherapie) meldete der Krebs sich zurück.

Hütter und sein Chef Eckhard Thiel entschlossen sich zur Stammzelltransplantation, einer aufwendigen und riskanten Behandlung. Dabei wird das blutbildende System des Patienten im Knochenmark, und damit hoffentlich der Blutkrebs, zerstört und danach mit gesunden blutbildenden Stammzellen eines passenden Spenders ersetzt.

Aber Hütter ging noch einen Schritt weiter. Er wählte als Stammzellspender eine Person mit einer besonderen genetischen Veranlagung aus, die gegenüber dem Aidsvirus weitgehend immun macht. Hütter verpflanzte seinem Patienten also nicht nur neues blutbildendes Knochenmark, sondern übertrug ihm auch weltweit erstmals einen Schutz gegen Aids – gleichsam eine doppelte Behandlung.

Der Patient hatte großes Glück, denn unter 80 Stammzellspendern, die in- frage kamen, wurden die Charité-Mediziner bei einem fündig. Der Spender hatte die gesuchte genetische Veränderung (Mutation) in der mütterlichen und der väterlichen Kopie der Erbanlage für das CCR5-Eiweiß. CCR5 ist eine Andockstelle für das Aidsvirus auf jenen Abwehrzellen, die der Erreger mit Vorliebe befällt. Das CCR5 ist also eine Art Türöffner für HIV. Ist CCR5 mutiert, gewissermaßen „verkrüppelt“, kann sich der Erreger nicht in seine Wirtszellen einschmuggeln. Oder nur sehr viel schwerer.

Etwa jeder zehnte Europäer ist Träger einer mutierten Genkopie für CCR5 (vom Vater oder der Mutter), rund jeder hundertste besitzt zwei mutierte Genvarianten, eine von der Mutter und eine vom Vater. „Menschen mit dieser Mutation besitzen einen natürlichen Schutz gegen HIV“, sagte Jürgen Rockstroh, Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, dem Tagesspiegel.

Nach der Stammzelltransplantation nahm der Patient keine Aidsmedikamente mehr ein, um die empfindlichen Spenderzellen nicht zu gefährden. Trotzdem kehrte der Erreger bisher nicht zurück. Hütters Strategie war aufgegangen. Über das Befinden des Patienten machte die Charité keine Angaben. Es sei jedoch „unseriös“, aufgrund dieses Einzelfalls „Millionen von HIV-Infizierten Hoffnung auf Heilung“ zu versprechen.

Die Behandlung sei ein bahnbrechender Erfolg, sagte Rudolf Tauber, Prodekan für Forschung. Aber für die breite Anwendung sei es noch viel zu früh. Die Blockade des HIV-Türöffners CCR5 gilt als erfolgversprechender Ansatz in der Aidsbehandlung, etwa für eine zukünftige Gentherapie. Mittlerweile ist auch ein Medikament mit Namen Celsentri auf dem Markt, das CCR5 hemmt.

Fachleute sind jedoch skeptisch, ob es jemals gelingen wird, HIV vollständig aus dem Körper zu vertreiben. Das liegt daran, dass der Erreger sehr wandlungsfähig ist und viele Zelltypen befällt. So „überwintern“ manche Viren im Gehirn.

„Eine völlige Heilung gibt es nicht“, sagte Rockstroh. Selbst eine Mutation des CCR5-Gens biete keine Sicherheit, denn HIV kann irgendwann selbst diese Hürde überwinden. Rockstroh, der an der Bonner Uniklinik forscht, hat Fälle erlebt, bei denen zehn Jahre lang kein Aidsvirus mehr im Blut nachweisbar war. Bis es wieder auftauchte.

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