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Medizin: Nervenzellen aus Bindegewebe erzeugt

Umweg über Stammzellen nicht erforderlich: Wissenschaftlern der Stanford-Universität im kalifornischen Palo Alto ist es gelungen, aus Bindegewebszellen (Fibroblasten) von Mäusen direkt Nervenzellen (Neuronen) zu erzeugen.

Die Forschergruppe um Markus Wernig und Thomas Vierbuchen vom Institut für Stammzellbiologie und Regenerative Medizin kam dabei ganz ohne Stammzellen als „Umsteigebahnhof“ aus, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“ berichten.

„Wenn sich das bestätigt, ist es ein Supererfolg“, urteilt der Stammzellforscher Daniel Besser vom Max Delbrück Centrum (MDC) in Berlin-Buch. Der jetzige Erfolg basiert auf dem Durchbruch des japanischen Stammzellforschers Shinya Yamanaka. Er hatte als erster im August 2006 reife Körperzellen mit Hilfe verschiedener „Verjüngungsgene“ in unspezialisierte Multitalente (induzierte pluripotente Stammzellen, iPS) zurückverwandelt.

Aus den iPS, die vermutlich über die Fähigkeiten von embryonalen Stammzellen verfügen, ohne jedoch wie sie ethische Bedenken hervorzurufen, lassen sich inzwischen spezialisierte Zellen züchten. Sie gelten als Hoffnungsträger in der Behandlung bisher unheilbarer Leiden. So ist es im letzten Jahr dem Team um Rudolf Jänisch vom Whitehead-Institut in Massachusetts erstmals gelungen, aus iPS Nervenzellen zu bilden, die Dopamin produzieren, einen Botenstoff, der Parkinson-Patienten fehlt.

Um den Zellen von Gewebe aus dem Schwanz der Versuchstiere den Weg in die gewünschte Entwicklungsrichtung anzugeben, schleusten Wernig und Vierbuchen in der Petrischale Gene in sie ein. Diese Erbanlagen waren schon zuvor als „Übersetzungshilfen“ in Richtung Nervenzellen bekannt. Um die Gene in die Zellen einzuschleusen, bedienten sich die Forscher weitgehend „entschärfter“ Viren. Diese schleusten die Erbanlagen in die Zellen ein, dienten als „Gen-Taxis“.

Drei von 19 getesteten Genen reichten schließlich aus, um aus den Mäuseschwanz-Fibroblasten im Reagenzglas auf dem direkten Weg Neuronen zu erzeugen. Die Forscher bezeichnen diese Nervenzellen aus dem Labor in Analogie zu den iPS als iN-Zellen (induzierte neuronale Zellen). Die aus Bindegewebszellen erzeugten Nervenzellen waren in der Lage, sich in bestehende neuronale Netzwerke einzufügen. Außerdem schafften sie es in Versuchen auch, sich miteinander zu verknüpfen.

Die Verfasser der „Nature“-Studie heben als Pluspunkte der iN-Zellen hervor, dass sie schnell und effizient gewonnen werden können. Für das neue umweglose Verfahren spricht ihrer Ansicht nach auch, dass es die Chance auf weniger riskante Therapien eröffnet. Denn Stammzellen tragen als Multitalente immer ein gewisses Risiko in sich, eine Fehlentwicklung zur Tumorzelle durchzumachen. Solange die entscheidenden Übersetzungsgene mit Virenfähren in die Zelle geschleust werden müssen, ist die Krebsgefahr allerdings nicht gebannt.

Noch hat es mit dem direkten Weg von der Haut- zur Hirnzelle zudem nur bei Mäusen geklappt. Nun müssen Studien folgen, in denen menschliche iN-Zellen gewonnen werden. Eine weitere Herausforderung wird sein, aus Bindegewebszellen gezielt Nervenzellen mit verschiedenen Spezialisierungen zu erzeugen. „Und es wäre wunderbar, wenn wir auf diesem Weg in absehbarer Zeit auch andere Zellen gewinnen könnten, zum Beispiel für Leber oder Bauchspeicheldrüse“, sagt Besser. Adelheid Müller-Lissner

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