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Medizin: Neues Studium für die Charité

Lernen am Patienten: Medizinstudierende sollen besser mit Kranken umgehen können – und früh an die Wissenschaft herangeführt werden. Die Berliner Charité baut dafür zum Wintersemester ihr Studium komplett um.

Gute Ärztinnen und Ärzte sind mehr als nur Naturwissenschaftler. Sie können ihren Patienten zuhören, mit ihnen verständlich und einfühlsam über Krankheiten reden. Nie sollte ein Patient bei ihnen das Gefühl haben, möglichst schnell aus dem Behandlungszimmer verabschiedet zu werden. Gute Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Team, auch mit dem nichtärztlichen Personal auf Station. Und sie bilden sich regelmäßig fort: In der Medizin von heute ändern sich therapeutische Erkenntnisse immer schneller.

So sieht Annette Grüters-Kieslich, die Dekanin der Berliner Charité, das moderne Arztbild. Doch das Studium bereitet angehende Mediziner oft nur unzureichend auf diese Anforderungen vor. Spät erst kommen sie in Kontakt mit Patienten. Viel Theorie steht stattdessen gerade in den ersten Jahren auf dem Lehrplan. Die Charité will das jetzt ändern: Sie führt zum Wintersemester wie berichtet für alle Studierende einen neuen „Modellstudiengang“ ein. Darin sollen „Ärztinnen und Ärzte für die Anforderungen von morgen“ vorbereitet werden, sagte Grüters-Kieslich, als jetzt die Pläne vorgestellt wurden. Europaweit soll das Charité-Studium ein Vorbild für die moderne Medizinerausbildung sein. 600 Erstsemester werden jedes Jahr immatrikuliert, so viele wie bisher.

Vereint werden in dem neuen Angebot die beiden bisherigen Studiengänge der Charité: Der alte Regelstudiengang, den die meisten Studierenden belegen und der in der oft kritisierten Tradition des theorielastigen Lernstudiums steht. In dem neuen Modell geht auch der seit zehn Jahren bestehende praxisorientierte, kleinere Reformstudiengang auf. Aus ihm sollen alle Elemente übernommen werden, mit denen „wir ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis herstellen können“, wie Grüters-Kieslich sagte. Schon in der zweiten Woche beginnen künftig alle Studierenden einen ersten Untersuchungskurs – bisher steht er für die meisten erst im fünften Semester auf dem Programm. Kommunikations- und Teamfähigkeit werden von Beginn an geschult. Anstatt starr die einzelnen medizinische Fächer abzuarbeiten, orientiert sich der Lehrplan an Organen und Krankheiten. Die Studierenden erarbeiten Themen wie „Blut und Immunsystem“, „Infektion als Krankheitsmodell“ oder „Geschlechterspezifische Erkrankungen“. Bis zu 20 Disziplinen tragen zu den Lehreinheiten bei. Die Grenze zwischen der theoretischen Vorklinik sowie dem späteren klinischen Teil, die die konventionelle Medizinerausbildung prägt, soll so aufgehoben werden. Der neue Ansatz spiegele sich in den Prüfungen wider, sagte Manfred Gross, Prodekan für Lehre. Auch ärztliche und kommunikative Fähigkeiten sollen abgeprüft werden: Die Studierenden müssen etwa zeigen, wie sie Patienten untersuchen oder schlechte Nachrichten überbringen.

Verstärkt sollen die Studierenden an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt werden. Das habe auch im bisherigen Reformstudiengang gefehlt. Noch immer hinge es an den medizinischen Fakultäten oft vom „Zufallsprinzip“ ab, welche Studierenden eine akademische Karriere einschlagen, sagte Grüters-Kieslich. Nicht ganz zu Unrecht würde der Medizinerausbildung manchmal vorgeworfen, nicht wissenschaftlich genug zu sein. Die Charité müsse den Anspruch haben, „Talentscouting für die Forschung“ zu betreiben. Künftig sollen Studierende schon früh bei Arbeitsgruppen in hochkarätigen Forschungsprojekten hospitieren.

Anfang 2009, kurz nach Beginn ihrer Amtszeit, hatte Grüters-Kieslich gesagt, für die Charité sei „vorstellbar“, Bachelor und Master in der Medizin einzuführen. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Gross bekräftigte zwar, dass er Bachelor und Master „persönlich eher offen gegenübersteht“. Der Lehrplan sei prinzipiell „bolognakompatibel“. Eine Umstellung mache aber wenig Sinn, solange es für Medizin-Bachelors keine richtigen Berufsfelder gebe. Als Ärzte könnten sie nicht praktizieren, da die Approbationsordnung dafür ein Studium von sechs Jahren vorschreibt. Offenbar hat die Charité auch Angst, gegen den Willen breiter Medizinerkreise vorzupreschen. Der medizinische Fakultätentag, die Bundesärztekammer und Gesundheitsminister Philipp Rösler lehnen den Bachelor vehement ab.

1,6 Millionen Euro kostet die Umstellung allein in diesem Jahr. Der Senat habe zugesagt, diese Summe zu übernehmen, sagte Grüters-Kieslich. Die Charité-Vertreter versuchten Zweifel zu zerstreuen, sie würden den Lehrbetrieb überhastet umbauen und so ein großes Chaos auslösen, was intern befürchtet wird. Es gebe einen „klaren Plan, wie alle Veranstaltungen gestaltet werden“, sagte Harm Peters, der für die Studiengangssteuerung verantwortlich ist. Die ersten beiden Semester würden „bis auf Details“ stehen. Die Studierenden seien eng in die Konzeption einbezogen.

Probleme für auswärtige Studierende, die künftig in höheren Semestern in den Modellstudiengang wechseln wollen, lassen sich aber bereits absehen. Die meisten Unis bieten das konventionelle Medizinstudium an, ihr Angebot werde kaum mehr mit dem der Charité vergleichbar sein, sagte Gross. Studierende könnten daher schlecht in einem späteren Abschnitt nach Berlin wechseln. Ihnen würden dann die praktischen Fertigkeiten fehlen, die die Charité nun allen Studierenden früh beibringen möchte.

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