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Südhof in seinem Labor an der Universität Stanford.

© Steve Fisch, Universität Stanford

Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof: „In Deutschland hapert es nicht am Geld“

Thomas Südhof muss in den USA hart um Fördermittel kämpfen. Dafür droht ihm dort in ein paar Jahren kein erzwungener Ruhestand. Ein Gespräch über Unterschiede zwischen Deutschland und Amerika.

Sie sind schon oft ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Kavli-Preis und dem Lasker Award. Ist der Anruf aus Stockholm trotzdem etwas anderes?
Natürlich! Für mich ist der Nobelpreis einzigartig, weil dahinter eine lange Tradition sehr sorgfältiger Auswahl steht. Das Preisgeld ist nicht so bemerkenswert. Entscheidend ist, dass das Nobelkomitee Forscher auszeichnet, die wirklich etwas erreicht haben. Das ist bei anderen Preisen nicht unbedingt der Fall.

Wissen Sie schon, was Sie mit dem Preisgeld machen werden?

Einen Teil des Geldes werde ich in die Ausbildung meiner Kinder investieren. Ich überlege gerade, was man mit dem Rest machen könnte. Es soll etwas sein, das über eine persönliche Befriedigung hinaus sinnvoll ist.

Können Sie kurz die Arbeit umreißen, für die Sie den Nobelpreis bekommen haben?

In jeder Zelle werden Botenstoffe oder Eiweiße in Bläschen transportiert. Das ist Teil allen Lebens. Besonders wichtig ist es im Gehirn, wo Milliarden Nervenzellen ständig miteinander kommunizieren. Die jeweilige Information wird von einer Nervenzelle zur nächsten an speziellen Verbindungsstellen, den Synapsen, in Form eines chemischen Botenstoffes weitergegeben: die eine Zelle schüttet den Botenstoff aus, die andere Zelle erkennt ihn. Das ist ein fundamentaler Prozess, der für alle Hirnfunktionen wichtig ist, vom Laufen und Sprechen bis zur Erinnerung und zum Bewusstsein. Mich hat von Anfang an fasziniert, wie Nervenzellen das präzise innerhalb von Millisekunden schaffen. Unsere Forschung zeigte, dass die dazu nötige Maschinerie nicht besonders kompliziert ist. Es sind ein paar Eiweiße, die zusammenarbeiten. Wir haben untersucht, wo und wie sie das tun.

Sie forschen seit 30 Jahren in Amerika, unmittelbar nach Ihrer Doktorarbeit sind Sie an die Universität von Texas in Dallas gegangen. Was hat Sie dorthin gelockt?

Ich wollte mit Michael Brown und Joseph Goldstein zusammenarbeiten. Sie waren damals für mich die besten Wissenschaftler in der medizinisch orientierten Zellbiologie. Rückblickend war das die beste Entscheidung, die ich als Wissenschaftler getroffen habe. Ich habe unheimlich viel von ihnen gelernt.

Zum Beispiel?

Es ging nicht nur um technische Fähigkeiten wie zum Beispiel Klonieren, also das Kopieren von Eiweißen. Techniken sind zwar wichtig – man sollte sie lernen und beherrschen. Aber das bedarf keiner besonderen Persönlichkeit. Was ich von Brown und Goldstein gelernt habe, ist wissenschaftliches Denken: Einschätzungen, Konzepte, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden.

Sie haben als junger Wissenschaftler erlebt, wie Ihre beiden Mentoren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Ja, ich habe mich damals sehr für sie gefreut. Sie waren ja noch relativ jung und wurden recht schnell für wesentliche Entdeckungen belohnt. Ich fand das vollkommen berechtigt, sie haben auch später viele weitere Entdeckungen gemacht.

In dem Labor haben Sie einen Cholesterin-Rezeptor erforscht, sich dann aber dem Gehirn zugewandt. Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für Synapsen?

Ich habe 1986 begonnen, in Texas mein eigenes Labor aufzubauen und mich umgeschaut, wo es in der Biologie und in der Medizin Probleme gibt, denen man sich widmen sollte. In Sachen Krebs hat die Forschung große Fortschritte gemacht. Dass Krankheiten wie Arteriosklerose gut im Griff sind, ist teilweise dem Wirken meiner Mentoren Brown und Goldstein zu verdanken. Die Neurowissenschaft steckte dagegen in den Kinderschuhen. Auch 30 Jahre später gilt, dass wir das Gehirn nicht verstehen. Die Herausforderung ist um Größenordnungen schwieriger als bei anderen Organen.

Nach zehn Jahren Amerika sind Sie für zwei Jahre nach Göttingen zurückgekehrt.

Ich habe mich Deutschland immer verbunden gefühlt. Offenbar fängt man jetzt an, über meine Staatsbürgerschaft zu diskutieren. Ehrlich gesagt: Das ist mir nicht das Wichtigste. Ich bin amerikanischer Staatsbürger geworden, weil das aus versicherungstechnischen Gründen nötig war. Aber ich fühle mich beiden Ländern sehr verbunden und sehe mich als Weltbürger. In Deutschland wurde ich 1993 als Direktor ans Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen berufen mit der Vorgabe, die Erneuerung des Instituts zu gestalten. Das war extrem attraktiv, denn es sollte sich vor allem der Neurobiologie widmen.

Was ist dann passiert?

Die Max-Planck-Gesellschaft bekam einen neuen Präsidenten, Hubert Markl, der die Richtung änderte. Weg von der Neurobiologie. Das freute mich natürlich nicht und wir verstanden uns auch nicht. Ich hatte das Gefühl, dass die Voraussetzungen meiner Berufung nicht mehr gegeben waren und ich keine Chance hatte, meine Ideen umzusetzen. Markl schlug mir dann vor, dass ich nach Amerika zurückgehen sollte. Das habe ich getan. Vielleicht ist das ein Dokument einer persönlichen Unsicherheit. Ich war relativ jung, Anfang 40. Es wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Aber das Leben ist zu kurz, um sich rumzuärgern. Letztlich bin ich froh darüber. Ich bin in Stanford so verankert, dass ich es mir kaum anders vorstellen kann.

Spielte die Technikskepsis in Deutschland auch eine Rolle?

Die Angst vor der Gentechnik und die Vorsicht gegenüber der Molekularbiologie waren mit Sicherheit übertrieben. Ich glaube, das hat sich gebessert in den letzten Jahren. In Deutschland scheint es ein relativ aufgeklärtes Bild der Wissenschaft zu geben.

Gab es positive Dinge, die sich in den zwei Jahren in Göttingen entwickelt haben?

Es hat mir Spaß gemacht, etwas aufzubauen. Das war schon schön. Und als ich wegging, wurde mein ehemaliger Postdoc, Nils Brose, als Direktor berufen. Das fand ich auch fantastisch. Das ist ein sehr, sehr guter Mann. Er konnte alles, was ich aufgebaut hatte, direkt benutzen. Für die Max-Planck-Gesellschaft war das eine sehr gute Lösung.

Hatten Sie jemals Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, wieder nach Amerika zu gehen?

Natürlich! Ich bin hier Professor und habe keine großen Gestaltungsmöglichkeiten. Aber ich kann mein Labor leiten und habe über die Jahre etliche Anerkennungen bekommen. Das größte Problem, das wir in Amerika haben, ist Geld. Ich muss ständig um Geld kämpfen, damit verbringe ich den größten Teil meiner Zeit. Ich würde gerne etwas weniger darum kämpfen. Aber ich bin jetzt 57, in Deutschland müsste ich in sieben oder acht Jahren aufhören. Solange es mir gesundheitlich gut geht, kann ich mir das nicht vorstellen. Deswegen werde ich gerne weiter um Geld kämpfen, um weiter forschen zu können.

In Deutschland stellen sich viele vor, dass Geld an amerikanischen Eliteuniversitäten kein Problem sei.

Nein! Mein Gott, in Deutschland ist das alles viel besser ausgestattet als hier. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich nach Deutschland komme. Wahnsinn, was da für Geld rumschwirrt. Nehmen Sie allein die Milliarde Euro für das „Human Brain Project“! Obama investiert nur 100 Millionen für seine „Brain Initiative“. Und in den USA teilen sich dieses Geld viel mehr Wissenschaftler. In Deutschland hapert es nicht am Geld. Das werden meine Kollegen nicht gern hören, einige klagen ja gern.

Und was fehlt in Deutschland?

Für eine erfolgreiche Wissenschaft ist Geld zwar wichtig. Aber viel wichtiger ist, dass für die Vergabe Leistungen entscheidend sind. Wenn man die Fördermittel den falschen Leuten gibt, wenn Exzellenz nicht das oberste Kriterium ist, dann ist das Geld aus dem Fenster geworfen. Das sieht man immer wieder, in Deutschland und in Amerika. Aber in den USA ist es nicht so schlimm. Außerdem ist Wissenschaft nie eine isolierte Aktion einiger weniger. Neue Ideen entstehen, wenn möglichst viele Menschen miteinander reden, informell und ständig. Und das muss man fördern. Das sind zwei Punkte, die mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Sie haben die Großprojekte zur Erforschung des Gehirns bereits angesprochen. Ist dieses Geld gut angelegt?

Ich bin mir nicht sicher, ob die Auswahl der Themen innerhalb des großen Spektrums der Neurobiologie angemessen ist. Die Projekte scheinen mir sehr optimistisch. Letztlich funktioniert das Gehirn aufgrund molekularer Prozesse. Aber das „Human Brain Project“ – diese Simulation des Gehirns, für das Europa irrsinnig viel Geld ausgibt – und auch die „Brain Initiative“ wollen anscheinend über die molekularen Grundlagen hinwegspringen. Die Federführung haben Forscher, die glauben, das sei alles gut verstanden und vielleicht auch nicht so wichtig. Wenn sich diese Einschätzung als falsch herausstellt, müsste die Molekularbiologie mehr Beachtung und Ressourcen bekommen. Insbesondere das europäische Projekt ist auf systemorientierte Neurobiologie ausgerichtet. Ich finde das nicht vielversprechend, denn sie hat bisher nicht viel zum Verständnis von Krankheiten beigetragen, mit denen wir uns herumschlagen. Die größten Erfolge in der Neurobiologie sind molekularer Natur. Wir verstehen neurologische und psychiatrische Krankheiten etwas besser, seit das menschliche Genom entschlüsselt ist. Beide Projekte ignorieren das. Das finde ich nicht besonders klug.

Sind Sie an der „Brain Initiative“ beteiligt?

Nein. Ich wäre gern beteiligt. Aber ich bin molekular orientiert.

Gibt es etwas, das Sie bewegen könnte, wieder nach Deutschland zurückzukommen?

Ich würde es auf keinen Fall ausschließen. Vor allem würde ich mich gern ehrenamtlich engagieren oder beratend zur Seite stehen, wenn ich kann und wenn das gewünscht ist. Ich fühle mich dem Land verbunden und bin dankbar für alles, was es für mich getan hat.

Wie haben Sie im Laufe der Zeit die Bande nach Deutschland gehalten?

Viele meiner ehemaligen Mitarbeiter sind in Deutschland Professoren. Ich habe enge Kontakte mit ihnen. Meine Geschwister leben in Deutschland und ich besuche sie etwa einmal im Jahr.

Wird man das Deutschsein los?

Nein, das wird man nicht los. Ich bin zwar kein deutscher Staatsbürger mehr, aber natürlich bin ich Deutscher. Das Kulturgut, die Liebe zur Sprache und zur Literatur – alles, was damit zusammenhängt, wird sicher nie aufhören. Und ich halte mit meinen Meinungen nicht hinter dem Berg – ohne viele Höflichkeitsfloskeln. Das ist auch recht deutsch und führt nicht immer zu Freundschaften. Die Amerikaner machen das so nicht.

Was sind denn die nächsten Fragen, die sie reizen? Was wissen Sie noch nicht?

Damit könnte man Bücher füllen! Mich fasziniert im Moment eine Frage, die nicht direkt mit dem Nobelpreis zu tun hat: Wie werden Synapsen, also die Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen im Gehirn, geformt und spezifiziert? Das Gehirn baut ständig um, es hört nie auf, sich zu entwickeln. Die Reifung dauert bis in die späten Teenagerjahre an, aber selbst im alternden Gehirn gibt es eine ständige Umbildung von Synapsen. Das passiert während des ganzen Lebens. Es gibt viele ungelöste Fragen, die wir weiter verfolgen. Ein Anliegen ist auch zu erkennen, was im Gehirn nicht funktioniert, wenn der Mensch krank ist.

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