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Medizin: Sport ist Balsam fürs Immunsystem

Bewegung dämpft Entzündungsprozesse im Körper und beugt damit vermutlich chronischen Krankheiten vor.

Sport tut gut. Das sieht auch Martin Halle so, Sportmediziner an der Technischen Universität München. „Sport kann das Krebsrisiko senken und auch die Überlebensrate von Tumorpatienten erhöhen“, sagte er auf dem Internationalen Sport- und Krebskongress in München. Wer regelmäßig körperlich aktiv ist, erkrankt außerdem seltener an Herz-Kreislauf-Störungen, Typ-2-Diabetes und Altersdemenz, sagte Halle. Träge Menschen dagegen, die sich nur auf Bürostühlen und Sofas lümmeln, leben auf riskantem Fuß: In ihrem Blut finden sich Entzündungsfaktoren meist in leicht erhöhten Mengen. Diese fördern die Entstehung und das Fortschreiten der typischen Zivilisationskrankheiten, wie neue Untersuchungen nahelegen.

Eigentlich startet der Körper eine Entzündung immer dann, wenn es gilt, Krankheitserreger zu bekämpfen, versehrtes Gewebe zu entfernen oder Heilungsprozesse einzuleiten. Im Blut von inaktiven oder auch alten Menschen ist die Menge einiger typischer Entzündungsstoffe jedoch häufig dauerhaft leicht erhöht. Der Körper befindet sich permanent in einem „schwelendem“ Alarmzustand. Bei Bewegungsfreudigen findet man den gegenteiligen Zusammenhang: Je fitter ein Mensch ist, desto geringere Mengen dieser „Alarmstoffe“ und desto mehr entzündungshemmende Substanzen zirkulieren im Blut.

Warum Sport in Maßen einen beruhigenden Einfluss auf die Alarmsysteme der Körperabwehr haben kann, hat vermutlich mehrere Gründe, die man erst seit kurzem besser versteht.

Einen wichtigen Einfluss hat es etwa, wenn überflüssige Körperpfunde auch mithilfe regelmäßigen Trainings schwinden. Vergrößerte Fettzellen setzen nämlich kontinuierlich Alarmsubstanzen wie den Tumornekrosefaktor (TNF) und das Interleukin-6 (IL-6) frei.

Doch die Muskelaktivität wirkt auch direkt auf das Immunsystem. Einen verblüffenden Beweis hierfür lieferte eine dänische Forschergruppe von der Universität Kopenhagen im Jahr 2000: Der aktive Muskel selbst kann die Alarmsubstanz IL-6 produzieren. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Muskelzellen während der Kontraktion sogar mehrere verschiedene immunologische Botenstoffe ausschütten, die man seit kurzem als Myokine bezeichnet.

Die Myokine sind vermutlich einflussreich, da die Skelettmuskulatur eines der größten Organe des Menschen ist. Doch erscheint der Zusammenhang zunächst paradox: Warum hat gerade das entzündungsfördernde IL-6, das während des Sports auf bis zu hundertfach erhöhte Blutwerte ansteigt, nach dem Training aber rasch wieder abfällt, einen insgesamt beruhigenden Einfluss auf das Alarmsystem? „Entscheidend ist hier wohl der kurze IL-6-Impuls“, erklärt der Biochemiker Christoph Handschin vom Institut für Physiologie der Universität Zürich. Das kurzzeitig ausgeschüttete IL-6 löse sofortige Gegenmaßnahmen des Körpers aus: Stoffe, etwa das Interleukin 10, die die Alarmreaktion dämpfen, werden freigesetzt.

Solch ein Effekt wird vermutlich nicht durch dauerhaft erhöhte IL-6-Pegel erzielt, wie es etwa ein Zuviel an Fettgewebe verursache. Eine gesunde sportliche Betätigung könnte man daher mit einer Impfung vergleichen, sagt Handschin: Durch einen schwachen (sportlichen) Reiz wird der Körper nicht geschädigt, sondern nur kurz herausgefordert, um schließlich nach Einleitung entsprechender Gegenmaßnahmen längerfristig vor übermäßigen Entzündungsprozessen geschützt zu sein.

Allerdings wirkt diese „Entzündungsimpfung“ anscheinend nicht bei allen Menschen gleich gut und gleichartig, sondern ist auch von der genetischen Ausstattung abhängig. Das lässt sich zumindest aus einer Untersuchung von Matthias Blüher und einem Team vom Zentrum für klinische Forschung der Universität Leipzig schließen: Bei manchen Studienteilnehmern mit einer Variation im IL-6-Gen hatte der Sport keinen positiven Einfluss auf die untersuchten Entzündungszeichen. Andere Entzündungsstoffe jedoch, die nicht direkt vom IL-6 abhängig sind, könnten durch Sport trotz der genetischen Variante günstig beeinflusst werden, erklärt Matthias Blüher.

Möglicherweise geschieht dies durch einen Mechanismus, dem Christoph Handschin auf die Spur gekommen ist. Sein Zürcher Team beschäftigt sich seit vielen Jahren mit einem Regulatormolekül, welches dem Muskel hilft, sich an Training oder Inaktivität anzupassen. Mäuse, bei denen die Menge dieses Genschalters mit Namen PGC1 künstlich verringert wurde, sind nicht nur schlapp, sondern tragen auch ähnlich viele Entzündungsstoffe im Blut wie Bewegungsmuffel auf zwei Beinen.

Die Suche nach Medikamenten, die den Pegel an PGC1 erhöhen, könnte in Zukunft eine Hilfe für Menschen sein, die etwa wegen einer Muskelschwäche erkrankung zur Untätigkeit gezwungen sind. Allen anderen empfiehlt sich regelmäßige körperliche Bewegung als ein natürlicher Weg, um PGC1 hoch- und gefährliche Entzündungsprozesse herunterzuregulieren.

Das ist nicht nur für Gesunde sinnvoll. Auch bei Erkrankungen, die mit übermäßigen Entzündungen einhergehen, wie etwa die Rheumatoide Arthritis, verhilft Sport zu einer deutlich verbesserten körperlichen Verfassung. Früher wäre den Patienten strikte Schonung verordnet worden, heute gelte dies nur während eines akuten Krankheitsschubes, sagt der Münchener Sportmediziner Martin Halle.

Welche Sportart in welcher Dosierung die Richtige ist, muss wie bei allen anderen chronischen Erkrankungen zunächst mit dem Arzt besprochen werden. Allen Gesunden empfiehlt der Sportmediziner Halle, sich dreimal in der Woche für mindestens eine halbe Stunde körperlich so zu betätigen, dass man ins Schwitzen gerät. Allerdings sollten Einsteiger langsam vorgehen. Sonst würden Entzündungsstoffe massiv ausgeschüttet, was nicht wohltuend sei, sondern Erschöpfung auslöse. Das sei dann der häufigste Grund, warum viele, die mit guten Vorsätzen begonnen hätten, bereits nach wenigen Wochen wieder aufhörten.

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