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Verführerisch. Frisches Obst ist den meisten Menschen ein Genuss. Doch manche vertragen den darin enthaltenen Zucker nicht.

© dpa

Medizin: Verbotene Früchte

Wer keine Fruktose verträgt, fühlt sich mit seinem Leiden häufig alleingelassen. Dabei hat es in den letzten Jahren stark zugenommen: Weil wir viel mehr Obst und Gemüse essen als früher.

„Esst mehr Früchte und ihr bleibt gesund!“ Dieser Wink mit dem Zeigefinger stand einst auf deutschen Obsttüten. Nur leider ist Obst nicht für jeden gesund. Gerade die süßesten Früchte können Nebenwirkungen haben. Für die häufigsten Symptome – Bauchschmerzen, Durchfälle und Blähungen – kommen aber ganz verschiedene Ursachen infrage. Deshalb wurde die Fruchtzucker- oder Fruktoseunverträglichkeit lange übersehen.

Noch heute begnügen sich Ärzte oft mit der vagen Diagnose „Reizdarm“ (Colon irritabile). Betroffene klagen über jahrelange Leidens- und Irrwege von Arzt zu Arzt. Sogar renommierte Magen-Darm-Spezialisten diagnostizieren zwar eine Milchzucker-Unverträglichkeit, fahnden zuweilen aber trotz anhaltender Beschwerden des Patienten nicht nach Fruchtzuckerunverträglichkeit. Seit mindestens zehn Jahren ist jedoch bekannt, dass etwa 80 Prozent der Laktoseintoleranten auch keine Fruktose vertragen. Beide Stoffwechselstörungen sind keine Allergien, also keine Überempfindlichkeitsreaktionen des Immunsystems.

Die Fruktoseunverträglichkeit kommt in zwei sehr verschiedenen Formen vor. Die seltene (autosomal rezessiv) erbliche Fruktoseintoleranz beruht auf einem angeborenen Mangel des Leberenzyms Aldolase B. Dadurch können Fruktose und andere Zuckerarten zwar resorbiert, aber nicht abgebaut werden. Sie reichern sich in der Leber an; durch die Leberfunktionsstörung wird die Glucosebildung blockiert, es kann zu einer Blutunterzuckerung bis zum hypoglykämischen Schock kommen. Sobald ein betroffenes Kind nicht mehr nur Muttermilch, sondern fruktosehaltige Beikost erhält, beginnen die Beschwerden: Bauchweh, Gedeihstörung, Apathie.

Oft vergehen Jahre bis zur (heute molekulargenetisch zu sichernden) Diagnose und damit zum lebenslangen Verbot aller zuckerhaltigen Nahrungsmittel. Zum Glück lehnen die Betroffenen Süßes meist instinktiv ab. Lange gab es kaum Fachliteratur und keine laienverständlichen Informationen. So erarbeitete die (1993 gegründete) einzige deutsche Selbsthilfegruppe „Hereditäre Fruktoseintoleranz“ sie mit Hilfe von Experten selber, für Betroffene und auch für Ärzte (www.fructoseintoleranz.de).

Streng von der schweren angeborenen Form zu unterscheiden ist die Fruktosemalabsorption: die schlechte Aufnahme von Fruchtzucker durch den Dünndarm. Sie entwickelt sich erst im Laufe des Lebens und ist ungemein häufig. Schätzzahlen nennt Christiane Schäfer in der neuesten Übersichtsarbeit: „Fruktose: Malabsorption oder Intoleranz?“ (Ernährungs-Umschau Nr. 12/2009). Während die erbliche Form nur bei einem von 130 000 Menschen auftritt, sollen unter der Malabsorption verschiedenen Ausmaßes 20 Prozent der Erwachsenen und 30 Prozent der Kinder leiden.

Sie hat in den letzten Jahrzehnten sehr zugenommen: Weil wir – auch auf Empfehlung der Ernährungswissenschaftler – viel mehr Obst und Gemüse essen als früher, leider auch mehr Süßigkeiten. Und weil die Lebensmittelindustrie zunehmend Fruktose, Sorbit und andere Zuckeraustauschstoffe verwendet, nicht nur in der Diabetikerdiät.

Die Kapazität des Darms zur Verarbeitung von Fruchtzucker ist aber ohnehin begrenzt. Er wird vom Dünndarm ins Blut geschleust, mit Hilfe des Transportproteins GLUT-5 (Glukose-Transporter-5). Ist dieses System durch zu viel Fruktose überfordert oder ist es defekt, gelangt Fruchtzucker in den Dickdarm und wird von den dort siedelnden Bakterien vergoren, was zu den bekannten Beschwerden wie Gasbildung, Völlegefühl, Bauchkrämpfen, Durchfällen und Übelkeit führt. Traubenzucker (auch Dextrose oder Glucose genannt) fördert die Fruchtzuckerverdauung, Sorbit dagegen blockiert sie. Also muss man eigentlich von einer Fruktose-Sorbit-Malabsorption sprechen.

Die Diagnose stellt der Arzt ähnlich wie bei der Laktoseintoleranz, durch den Atemtest. Nach einem Trunk von 25 Gramm gelöster Fruktose (die früher üblichen 50 Gramm führen zu 70 Prozent falsch-positiven Resultaten) wird der Anteil am typischen Gärungsgas Wasserstoff in der abgeatmeten Luft gemessen. Dieser Test darf keinesfalls bei Verdacht auf eine hereditäre Fruktoseintoleranz angewandt werden, denn die massive Fruchtzuckerbelastung kann dann lebensbedrohend sein.

Im Unterschied zur erblichen Fruktoseintoleranz muss die Ernährung bei der Malabsorption nur arm an Fruchtzucker sein, keineswegs völlig frei davon. Das wäre sogar schädlich, weil das defekte Transportsystem des Darms seine restliche Leistungsfähigkeit verliert, wenn es nicht genutzt wird. „Eine zu lange, unnötig strenge Fruktoseeinschränkung führt zu einer immer ausgeprägteren Unverträglichkeit“, warnt Anne Kamp. Zusammen mit Christiane Schäfer hat sie das Buch„Köstlich essen: Fruktose, Laktose und Sorbit vermeiden“ (Trias-Verlag, Stuttgart 2009) geschrieben.

Die „Therapie“ dieser Stoffwechselstörung besteht also im umsichtigen Maßhalten beim Verzehr der vielen Fruktose oder Sorbit enthaltenden Nahrungsmittel und Getränke. Hilfreich sind Tricks wie der Einsatz von Traubenzucker zur besseren Verdauung von Fruchtzucker. Haushaltszucker (Saccharose) ist nicht absolut verboten, denn er besteht zu gleichen Teilen aus Fruktose und Dextrose.

Manche brauchen Zusatznährstoffe wie Zink, Folsäure oder Vitamin D. Außer zu Defiziten an bestimmten Vitaminen und Spurenelementen kann es auch zum Serotoninmangel kommen. Ledochowski erklärt in der erwähnten Publikation damit den häufigen Hunger nach Süßem, ebenso die depressive Stimmungslage, die wie beim Reizdarmsyndrom auch bei der Fruktosemalabsorption manchmal auftritt. Der unbedachte Biss in verbotene Früchte kann also nicht nur zu Bauchweh, sondern auch zur Vertreibung aus dem Paradies des Frohsinns führen.

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