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Medizin: Was die Gene verraten

Der Humangenetiker Karl Sperling von der Berliner Charité hielt seine Abschiedsvorlesung.

„Morgen haben wir die nächste Vorlesung, von acht bis zehn.“ Ganz lapidar begann Karl Sperling in der vergangenen Woche seine Lehrveranstaltung „Biologie für Mediziner“. Der langjährige Leiter des Instituts für Humangenetik der Charité versuchte, einem Ereignis den Anstrich von Normalität zu geben, das sich vom Uni-Alltag schon wegen des brechend vollen, prominent besetzten Hörsaals im Bettengebäude der Charité deutlich abhob: der „Last Lecture“ des ebenso beliebten wie namhaften Wissenschaftlers.

Als Sperling 1976 in Berlin begann, gehörte sein neu geschaffener Lehrstuhl noch zur Freien Universität. Er hielt allerdings engen Kontakt zu den Kollegen auf der anderen Seite der Mauer, wo 1988 das Institut für Medizinische Genetik gegründet wurde. Selbst vom Schmuggel diverser Gegenstände, die dort für den Aufbau der Molekulargenetik nötig waren, wird berichtet. Den ersten internationalen Kongress der Humangenetiker in Deutschland, der dem Fach nach der Verquickung mit der nationalsozialistischen Ideologie wieder Geltung verschaffte, organisierte Sperling 1986 zusammen mit seiner Ostberliner Kollegin Regine Witkowski.

Sperlings Karriere, die ihm später Ehrungen und Akademie-Mitgliedschaften einbrachte, begann mit einer Publikation des 30-Jährigen zur DNS-Analyse aus Haarwurzeln in der Zeitschrift „Lancet“. Später interessierte er sich für den Beitrag von Umwelteinflüssen auf Krankheiten oder Behinderungen, die durch Veränderungen von Chromosomen entstehen. 1994 erschien eine Arbeit, in der Sperling zeigen konnte, dass neun Monate nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in West-Berlin deutlich mehr Kinder mit dem Down-Syndrom geboren wurden. Bis heute ist in der Fachwelt umstritten, ob radioaktiver Fall-out zu dieser Chromosomenveränderung führen kann.

Mit seinem Namen verbunden ist auch das Nijmegen Breakage Syndrom, eine Mutation, die sich vor etwa 120 Generationen ereignet haben muss. Wer die Veränderung eines Gens auf Chromosom 8 von beiden Eltern geerbt hat, trägt schwer an Entwicklungsstörungen, Immunschwäche und erhöhtem Krebsrisiko, die sich durch brüchige Chromosomen erklären. Andererseits erleiden Frauen, die das veränderte Gen in ihrem Erbgut haben, seltener Fehlgeburten.

Um so etwas herauszufinden, müsse man aus den Befunden auch Theorien ableiten, sagte Sperling. „Ich übernehme hier gern die Unterscheidung, die der Naturforscher Goethe zwischen Sehen und Schauen macht.“ Folgerichtig schloss er mit dem „Türmerlied“ aus Goethes „Faust II“: „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.“ aml

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