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Gemeinsam gegen den Krebs ankämpfen.

© dpa

Medizin: Was Tumorkranken nützt

Der Schock mag für die 490.000 Menschen, die in diesem Jahr in Deutschland mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden, gleich sein. Doch Krebs ist nicht gleich Krebs. Beim Krebskongress in Berlin ging es darum, Früherkennung und Behandlung neu zu ordnen.

Einen Unterschied macht nicht allein, welches Organ betroffen ist. Oder in welchem Lebensalter das passiert. Auch das biologische Profil des Tumors zählt, wenn sich heute die Frage nach der bestmöglichen Therapie stellt.

Inzwischen ist die Forderung nach der personalisierten Krebsmedizin zum Slogan geworden. Und auch zu einem Versprechen, das wir gerne hören. Wolf-Dieter Ludwig, Krebsspezialist am Helios-Klinikum in Berlin-Buch, hält es für zu hoch gegriffen. Ludwig spricht lieber von „stratifizierender“ Medizin. Gemeint ist, innerhalb der verschiedenen Krankheitseinheiten wie Brust-, Darm- oder Lungenkrebs zwar nicht Einzelne, aber doch Gruppen von Erkrankten herauszufinden, denen eine bestimmte Behandlung nutzt. „Wir brauchen allerdings seriöse Wissenschaft, um sie zu erkennen.“

Solche Forschung stand im Mittelpunkt des 30. Krebskongresses, zu dem sich in der vergangenen Woche im Berliner ICC mehr als 5000 Teilnehmer versammelt hatten. Ausführlich wurde über die Umsetzung des Nationalen Krebsplans diskutiert, ein gemeinsames Programm der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe, der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren, der Gesundheitsminister von Bund und Ländern sowie von Versicherungen, Ärzte- und Patientenorganisationen. Eines der Themen darin: fairer und schneller Zugang zu innovativen Krebstherapien.

Schätzungsweise 30 bis 50 neue Wirkstoffe für die Behandlung von Tumoren werden in den nächsten sieben Jahren verfügbar sein. „Wir machen enorme Fortschritte in der molekularbiologischen Forschung“, so Ludwigs Einschätzung. Die Hoffnungen auf neue (und teure) zielgerichtete Therapien sind entsprechend groß. Wenn sie auf den Markt kommen, sind allerdings noch viele Fragen offen.

„Das Eis, auf dem wir uns zum Zeitpunkt der Zulassung bewegen, ist verdammt dünn“, sagt Ludwig. Er fordert, die Mittel möglichst schnell und unabhängig von den Herstellerfirmen im Alltag wissenschaftlich zu untersuchen. Nur dort kann sich erweisen, ob sie auch dann wirken und nützen, wenn ein Patient gleichzeitig viele andere Medikamente einnehmen muss, ob sie die Lebensqualität verbessern und ob sie seltene, aber schwere Nebenwirkungen haben, die bei einigen tausend Versuchsteilnehmern zuvor vielleicht nicht erkennbar waren.

Was nützt wem wirklich? Diese Frage stellt sich ebenso, wenn Programme zum frühen Aufspüren von Krebs geprüft werden. Früh erkannt kann Krebs oft mit größerer Wahrscheinlichkeit geheilt werden. Doch so einleuchtend die Idee ist, und so sehr wir uns an die gesetzlichen Früherkennungsprogramme bei Brust-, Darm-, Haut- und Gebärmutterhalskrebs gewöhnt haben: Nicht bei jeder Form von Krebs bringt es etwas, ein Suchprogramm „für alle“ einzuführen.

Hoffnungsträger ist die Computertomografie

Am Beispiel seines eigenen Spezialgebiets Prostatakrebs warnte der Düsseldorfer Urologe Peter Albers, Präsident des diesjährigen Kongresses, vor der drohenden Überdiagnostik und Übertherapie. Er plädierte stattdessen für eine an das Risiko angepasste Früherkennung. So könnte es ausreichend sein, im Abstand von mehreren Jahren dreimal den PSA-Wert (der die Höhe des prostataspezifischen Antigens als Krebswarnzeichen angibt) messen zu lassen. „50 bis 60 Prozent der Männer haben ein so niedriges Risiko, dass man mit drei Tests im Lauf des Lebens die Krebsgefahr praktisch ausschließen kann.“

Auch Albers Kollegin Monique Roobol von der Erasmus-Universität in Rotterdam warnte davor, auf einmalig erhöhte PSA-Werte bei allen Männern gleich mit der Entnahme einer Gewebeprobe zu reagieren. „Leider haben wir den idealen Krebstest noch nicht gefunden, deshalb müssen wir uns heute auf mehrere Werkzeuge stützen, um unnötige Gewebeentnahmen zu vermeiden.“

Beim Lungenkrebs steht mit dem Rauchen der größte Risikofaktor von vorneherein fest. Umso verlockender erscheint die Möglichkeit, wenigstens für alle starken Raucher und Exraucher eine Früherkennungsreihenuntersuchung (Screening) einzuführen. Ralf Eberhardt von der Thoraxklinik der Uni Heidelberg erläuterte, dass das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon wenig erfolgreich mit Röntgen und Laboruntersuchungen von Sekreten der Luftwege versucht wurde. Spannend ist aber die Erkenntnis, dass Hunde unter bestimmten Umständen Lungenkrebs riechen können. Nur waren sie bei der Fahndung nach Biomarkern aus der Atemluft in Studien längst nicht treffsicher genug, um daraus eine Empfehlung zu machen.

Hoffnungsträger ist die Computertomografie. Neben der Strahlenbelastung spricht gegen ein Screening aller Raucher, dass die Bilder wenig aussagekräftig sind. Über 90 Prozent der entdeckten auffälligen „Schatten“ (Rundherde) in der Lunge erwiesen sich im National Lung Screening Trial des Nationalen Krebsinstituts der USA, dessen Ergebnisse 2011 im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden, als gutartig. Falsche Sorge selbst hier.

Da ist es allemal besser, aus den richtigen Sorgen die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Eberhardt zitierte dazu seinen amerikanischen Kollegen Gerard Silvestri. Der Internist war zum Fall einer 62-Jährigen befragt worden, die dreimal in der Woche joggte, sich fit und gesund fühlte, aber bis vor zehn Jahren starke Raucherin war. Sollte sie sicherheitshalber ein CT machen lassen, um auszuschließen, dass das längst aufgegebene Laster langfristig schlimme Folgen hatte? „Das Beste, was sie machen kann, ist, weiter zu laufen“, befand Silvestri, „und zwar schnell und weit vom CT-Scanner weg.“

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