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Drei Studentinnen üben mit Stethoskopen an einer Übungspuppe aus Kunststoff.

©  Jan Woitas/picture alliance/dpa

Medizinstudierende im zweiten Corona-Semester: Angst, ein schlechter Arzt zu werden

Alles digital, kaum noch Patientenkontakt in der Klinik: Medizinstudierende leiden in der Coronakrise besonders unter dem Verlust an Praxisanteilen.

Wer eine Leiche sezieren kann, ohne umzukippen, hat den Anfang geschafft. Beim Präparierkurs zeigt sich, ob Medizinstudierende das Standing haben, gute Ärztinnen und Ärzte zu werden. Das Gemisch aus Leichengeruch und dem Konservierungsmittel Formalin, die Knochensäge, mit der Brustkörbe geöffnet werden, das Skalpell, das nicht widerstandslos durch das Fleisch der Toten gleitet – das ist alles andere als virtuell.

Doch genau dies ist vielen Tausend Medizinstudierenden im Digitalsemester passiert: Weil die Praxisanteile in ihrem Studiengang coronabedingt stark reduziert oder eingestellt werden mussten, fand auch der Präparierkurs teilweise nur noch online statt.

„Der Präpkurs auf Zoom? Da muss sich die Uni etwas anderes einfallen lassen", sagt Caroline Ziegler. Sie studiert in Bonn im 8. Semester Medizin und macht sich wie sehr viele ihrer Mitstudierenden bundesweit Sorgen, ob und wie sie ihr Studium „ordentlich“ weiterführen und abschließen kann. Mit dem harten Lockdown bis mindestens Mitte Januar verschärft sich die Situation sogar noch – obwohl Medizinstudierende zumindest in Berlin nahezu die einzigen sind, die in dieser Zeit überhaupt noch Praxisunterricht erhalten dürfen.

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Die Corona-Pandemie hat das Leben aller Studierenden in Deutschland mehr oder weniger auf den Kopf gestellt. Seit dem Sommersemester herrscht an den Hochschulen ein deutlich eingeschränkter Betrieb. Präsenzlehre fällt weitgehend aus und Digitalformate dominieren. Doch gerade Studenten und Studentinnen der Humanmedizin, für die praktischer und patientennaher Unterricht unerlässlich ist, sind besonders stark von den Einschränkungen betroffen.

Ein Porträtbild von Caroline Ziegler.
Alles Online, keine Blockpraktika. Caroline Ziegler studiert im 8. Semester Medizin in Bonn.

© privat

Keine Alternative für fehlende Praxis

An der Universität Bonn fällt der Praxisunterricht mittlerweile völlig weg – zum Teil ohne Online-Ersatz. Unter normalen Umständen hätte Caroline Ziegler in jedem ihrer acht Fächer ein Blockpraktikum, bei dem sie mehrere Wochen täglich in einer Klinik hospitiert. Unter Corona-Bedingungen konnte die 22-Jährige selbst in der Urologie – dem einzigen Fach, im dem überhaupt noch ein Praktikum angeboten wurde – nur zwei Tage in die Klinik, bevor es abgebrochen wurde. „Das ist sehr schade“, sagt Caroline im Gespräch mit dem Tagesspiegel, „die Blockpraktika sind schließlich das Herz unserer klinischen Ausbildung.“

Caroline studiert im Regelstudiengang Medizin, was bedeutet, dass sie in den ersten vier Semestern, vor dem Physikum, keinen Unterricht am Krankenbett hatte. Die Blockpraktika sind daher für sie besonders wichtig, um zu lernen, wie Krankheitsbilder unter Bedingungen des klinischen und ambulanten Alltags richtig diagnostiziert und therapiert werden.

Sie fragt sich, ob sie vor ihrem Staatsexamen überhaupt noch die Möglichkeit haben wird, anhand echter Patienten zu lernen, wie Gastroskopien, Ultraschalluntersuchungen, Herz-Echografien oder Intubationen ausgeführt werden. Oder ob sie sich bis zum Praktischen Jahr mit Lehrbüchern und Videos begnügen muss.

In Berlin sollten es Medizinstudierende demgegenüber von vornherein etwas besser haben. Denn dank des Modellstudiengangs an der Charité zieht sich der klinische Teil der Ausbildung durch das ganze Studium, daher sind etwaige Praxisverluste nicht so gravierend sind wie im klassischen Studiengang.

Anders als an anderen Hochschulen werde zudem grundsätzlich darauf verzichtet, Kurse „einfach ausfallen“ zu lassen. „Dafür ist man in Berlin sehr dankbar“, sagt Roxana Esmaili von der Fachschaftsinitiative Medizin der Charité. So findet der Unterricht am Krankenbett weiterhin statt, auch wenn teilweise auf Hybridunterricht, einer Mischung aus Präsenz in der Klinik und Digitallehre, umgestiegen werden musste.

Mit dem Berliner Stufenplan durch die Pandemie

Der Präsenzunterricht ist aber weitestgehend Studierenden in den höheren Semestern vorbehalten, da diese sich dem Staatsexamen nähern. „In den jüngeren Semestern wird im Zweifel schneller auf Präsenzformate verzichtet, da man Verpasstes noch eher in darauffolgenden Jahren nachholen kann“, sagt Esmaili.

Die digitalen Semester brächten gleichwohl verschiedene Probleme mit sich. „Die Universität wurde gerade im Sommersemester mit den Schwierigkeiten des plötzlichen Bedarfs der Digitalisierung konfrontiert.“ Trotz allem sei in kürzester Zeit die digitale Umsetzung und Aufrechterhaltung einer guten Lehre erfolgt, betont die Fachschaftsvertreterin. „Wir vermissen dennoch alle den sozialen Austausch, das gemeinsame Lernen und Lehren in Präsenz. Davon lebt das Studium“, sagt auch Fachschaftskollege Jan Hollander.

Ein Porträtbild von Roxana Esmaili.
Roxana Esmaili von der Fachschaftsinitiative der Charité.

© privat

Probleme im Sommersemester gab es etwa bei der Digitalisierung von Laborpraktika. So ist an der Charité zu hören, dass den Studierenden zeitweilig lediglich das Laborskript zum Durchlesen gegeben wurde, in denen der Ablauf der Experimente schriftlich erklärt wird. Der daraus gewonnene Lerneffekt halte sich in Grenzen, sagen Medizinstudierende, die sich nicht namentlich zitieren lassen wollen.

Joachim Spranger, Prodekan für Studium und Lehre an der Charité Universitätsmedizin, zeigt sich optimistisch: „In diesem Wintersemester liegt für uns die Priorität bei der Aufrechterhaltung des Unterrichts, soweit möglich, unter Beachtung der notwendigen Qualitätskriterien.“ Alles, was die Charité ihren Studierenden anbiete, richte sich nach dem „Berliner Stufenplan für den Hochschulbetrieb unter Pandemiebedingungen“, den die Senatskanzlei Wissenschaft in Abstimmung mit den Berliner Unileitungen Ende September entwickelt hat. Oberstes Ziel: Die Gesundheit der Studierenden und Lehrenden zu sichern und gleichzeitig gutes Studieren zu ermöglichen.

"Unterricht am Krankenbett kann man nicht digitalisieren"

Seit Oktober befindet sich Berlin auf Stufe zwei – daran hat auch der bundesweit verschärfte Lockdown nichts geändert. Konkret bedeutet das, dass Hochschulen zwar für den Lehr-, Verwaltungs-, und Forschungsbetrieb offen bleiben dürfen, Praxisformate jedoch weitgehend durch digitales Lehren ersetzt werden müssen. Ausgenommen sind Formate, „die sich einer digitalen Durchführung grundsätzlich entziehen“. Was bedeutet das konkret für den patientennahen Unterricht im Medizinstudium?

Veranstaltungen wie Blockpraktika in der Klinik und Unterricht am Krankenbett könne man nicht digitalisieren, ohne dass es zu einem Verlust in der Vermittlung praktischer Kompetenzen kommen würde, sagt Prodekan Spranger. Die Studierenden werden also – unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen – in den Kliniken unterrichtet. Dabei dürfen sie allerdings kaum direkten Kontakt zu Patient*innen haben, sondern nur mit dem ärztlichen Personal, das ihnen Fälle am Bildschirm erklärt.

Eine Ausnahme, die Studierenden dann doch wertvolle Praxisanteile ermöglichen, sind Pflegepraktika, Famulaturen und Jobs in der Pflege, für die sie in der Coronakrise verstärkt angeworben werden.

Fehlende Testergebnisse hindern das Lernen

Um Formate in der Klinik weiterhin in Präsenz zu ermöglichen, finden alle Präsenzveranstaltungen nur noch in festen Gruppen statt, damit lokale Ausbrüche effizienter eingedämmt werden könnten. Insgesamten würden Studierende an der Charité auch engmaschig auf Corona getestet, sagt Spranger.

Doch das „engmaschige“ Testen laufe alles andere als glatt, ist von Studierenden zu hören. Öfters gingen Testergebnisse verloren oder träfen erst nach der jeweiligen Präsenzveranstaltung ein. Den Lehrenden bleibe dann nichts anderes übrig als die betroffenen Studierenden nach Hause schicken.

Auch der Plan der Charité, alle Präsenzveranstaltungen zeitlich so zu legen, dass ein einzelner Corona-Test über mehrere Veranstaltungen hinweg gültig bleibt, gehe nur bedingt auf. Weil Präsenzveranstaltungen teilweise Wochen auseinander lagen, sei der Corona-Test nur vor dem Unterricht in der Klinik eingeplant worden. Für andere Präsenzveranstaltungen, wie etwa Simulationen von Notfallsituationen an Modellpuppen, werde kein Test verlangt, obwohl bei solchen Kursen bis zu acht Studenten und Studentinnen in einem Raum nah beieinandersitzen. Einige Student*innen seien in solchen Situationen wegen des erhöhten Ansteckungsrisikos lieber zu Hause geblieben.

Auf Stationen wie der Neonatologie, Geriatrie und Onkologie war der Unterricht am Krankenbett von vornherein am stärksten eingeschränkt. „Es ist zwar schade, dass der Patient*innenkontakt reduziert wird, doch natürlich verstehen wir, warum man uns momentan eher nicht an diese besonders vulnerablen Gruppen lassen möchte“, sagt Roxana Esmaili.

Einen Plan wie oder ob, die verlorenen Praxisanteile nachgeholt werden können, gibt an den Hochschulen offenbar nicht. Fest steht allerdings, dass die Regelstudienzeit ausgerechnet für Staatsexamensstudierende (Medizin und Jura) nicht verlängert werden soll.

Eigeninitiative ist gefragt

„Jetzt kommt es vor allem auf die Eigeninitiative an“, sagt Caroline Ziegler. In Bonn versuchen viele Medizinstudent*innen den Mangel an regulären Blockpraktika mit zusätzlichen Praktika in ihren Urlaubssemestern auszugleichen. Lehrende hätten zu solchen Famulaturen ermutigt.

Georg Groß von der Fachschaft Medizin der Medizinischen Fakultät Mannheim (Uni Heidelberg) meint jedoch, dies sei keine ganzheitliche Lösung. „So etwas geht vielleicht vereinzelt. Aber was ist, wenn 250 Studierende von einem Jahrgang auf einmal ankommen? Dafür fehlt in den Kliniken wieder die Kapazität.“

Ein Porträtbild von Georg Groß.
Georg Groß von der von der Fachschaft Medizin der Medizinischen Fakultät Mannheim.

© privat

Charité-Prodekan Spranger indes sieht vor allem Nachholbedarf bei der digitalen Infrastruktur an den Hochschulen. „Eine dauerhaft leistungsfähige Ausstattung, die uns erlaubt, auch künftig digitalen Unterricht in hoher Qualität anzubieten, wird allerdings zusätzliche Investitionen notwendig machen.“ Der Prodekan konstatiert, dass die Lehre wegen der erhöhten Infektionszahlen im Winter und angesichts eines überlasteten Klinikpersonals deutlich erschwert sei. Insbesondere Studienanfänger litten zudem unter der Isolation im Digitalsemester. Daraus ergebe sich aber kein langfristiger Nachteil für die Medizinstudierenden, sagt Spranger.

Die Studierenden selber allerdings machen sich ernsthafte Sorgen um ihren Abschluss – oder haben sogar Angst, aufgrund der Pandemie „schlechte Ärzte“ zu werden.

Clara Meyer-Horn

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