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Seite an Seite. Noch bleiben Medizinstudierende an der Uni unter sich. Doch damit sie mit Pflegepersonal und Physiotherapeuten eine gemeinsame Sprache finden, sollten sie zeitweise zusammen mit diesen ausgebildet werden, fordern Experten.

© picture-alliance/ dpa

Medizinstudium: Gemeinsam besser heilen

Das Studium für die Medizin von morgen: Ärzte und Pflegekräfte sollen künftig zusammen lernen. Mediziner müssen sich auch darauf einstellen, ökonomisch zu denken.

Nach anderthalb Jahren Berufserfahrung wurden jüngst 1237 junge Mediziner gefragt, wie gut sie im Studium auf den Arztberuf vorbereitet wurden. Sie hatten an bundesweit 17 Medizinischen Fakultäten studiert. Ihr Urteil fiel niederschmetternd aus: Bei 44 von 46 ärztlichen Kompetenzen schätzten sie ihr Niveau als zu niedrig ein.

An der Spitze ihrer Defizite standen die Fähigkeit, ein Stationsteam zu leiten und das Führen effektiver Gespräche über die Patientenversorgung mit den Kranken, ihren Angehörigen und dem Behandlungsteam. Sie vermissten aber auch Fähigkeiten zur Planung der Therapie häufiger Krankheiten und die Kompetenz zum hilfreichen Umgang mit chronisch Kranken und Sterbenden.

Eine dramatische Selbsteinschätzung der Befragten, die ihr Medizinstudium erst 2008 abgeschlossen hatten. Über die Ergebnisse berichtete jetzt der Vorsitzende der „Gesellschaft für Medizinische Ausbildung“, Eckhart Hahn, auf einem Symposium der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart. Seit Jahrzehnten diskutieren engagierte Hochschullehrer, wie das Medizinstudium verbessert werden kann – oft gegen den erbitterten Widerstand vieler Kollegen, die keinen Verbesserungsbedarf sehen.

Im „Arbeitskreis Medizinerausbildung“ (auch „Murrhardter Kreis“ genannt) waren schon 1985 im Reformdiskurs erfahrene Hochschullehrer vereint. Diese wollten sich nicht mit Flickschusterei an veralteten Curricula begnügen. Das Studium sollte nicht vom ziellosen Input der vielen medizinischen Fächer mit ihren Unmassen an Wissensstoff ausgehen, sondern umgekehrt vom nötigen Output: Was muss den Studierenden vermittelt werden, damit sie den künftigen, sich verändernden Anforderungen an die Ärzte gewachsen sind?

Jetzt zog man in Stuttgart Bilanz der langen Reformmühen – und erweiterte die Thematik um die Veränderung der Ausbildung auch anderer Gesundheitsberufe. Denn künftig wird sich die Ausbildung guter Ärztinnen und Ärzte nicht nur an einem rein medizinischen Curriculum orientieren können. Alle Gesundheitsberufe – neben dem Arzt etwa Krankenschwestern und Physiotherapeuten – müssten vielmehr zumindest einige Teile ihrer Ausbildung gemeinsam absolvieren, hieß es. Nur so würden Patienten künftig angemessen versorgt.

Zwar hat sich inzwischen einiges bewegt. So verdrängen aktive Lernformen allmählich den Frontalunterricht. Die Fakultäten nutzen die Erlaubnis zu Modellversuchen, sagte der emeritierte Ulmer Hochschul-Internist Hermann Heimpel. Zum Wintersemester will etwa wie berichtet die Charité ein weit gehend überarbeitetes Curriculum für alle Studierenden anbieten. Heimpel zählte auch auf, was nicht oder nur in Ansätzen erreicht wurde, etwa die Ablösung des auf Vollständigkeit bedachten Stoff-Memorierens durch das exemplarische Lernen an didaktisch geschickt ausgewählten Fällen.

„Wir müssen entrümpeln! Aber die Rumpelkammer haben immer nur die Nachbarn. Die Fakultäten haben die Verantwortung, aber sie entrümpeln nicht, sie rümpeln“, rief Heimpel aus. Auch wird das Prüfungswesen trotz der Entwicklung neuer Formen noch immer von Multiple-Choice-Prüfungen beherrscht. Die Entwicklung von praktischen Fertigkeiten und ärztlichen Einstellungen wird dagegen vernachlässigt.

Eine besonders wichtige Anforderung ist die angemessene Behandlung und Begleitung der rasch wachsenden Zahl alter, unter mehreren Krankheiten leidenden Menschen. Sie bilden schon heute das Gros der Patienten, aber die Ausbildung der Heilberufe stellt vielfach nach wie vor immer die Heilung akuter Krankheiten ins Zentrum. Der britische Sozialmediziner Thomas McKeown prägte für einen notwendigen Schwerpunktwechsel die Formel „care statt cure“.

Auch auf eine zweite wichtige Anforderung müssen die Gesundheitsberufe in ihrer Ausbildung vorbereitet werden: ökonomisches Denken und Handeln. Alle, die Gesundheitsleistungen erbringen, müssten beurteilen können, ob ein Mittel oder eine Methode wirksam ist und ob eine gepriesene Innovation ein Fortschritt ist, forderte Günter Neubauer, Direktor des Münchner Universitäts-Instituts für Gesundheitsökonomie. Das betrifft nicht nur Arzneimittel – ein Beispiel sind teure neue Krebsmittel, die zum Teil mehr schaden als nützen. Das betrifft alle diagnostischen, therapeutischen, pflegerischen, rehabilitativen und auch präventiven Maßnahmen.

Die Experten empfahlen eine interprofessionelle Zusammenarbeit aller an der Gesundheitsversorgung Beteiligten. Das setze einen Umgang „auf Augenhöhe“ voraus. Aber selbst auf dem Symposium sprachen Ärzte noch von „Hilfeberufen“, wie die Pflegedirektorin der Charité, Hedwig François-Kettner, bemängelte.

In der Akademisierung der Pflegekräfte erreicht Deutschland allmählich das internationale Niveau. Die therapeutischen Fachberufe – Physiotherapie, Ergotherapie wie auch die Hebammen – folgen langsam. „Die Fakultäten müssen mehr tun, um den wissenschaftlichen Nachwuchs dieser berufsqualifizierenden Curricula hereinzuholen“, mahnte der Mannheimer Studiendekan Harald Klüter. „Aber all die neuen Bachelor-Studiengänge der Fachhochschulen und Berufsakademien müssen nicht an die Universität.“ Damit würde die ohnehin bestehende Überlastung der Medizinischen Fakultäten noch verstärkt werden.

In den USA brauchen Physiotherapeutinnen schon heute den Master, von 2020 an den Doktor. Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin-Marzahn, skizzierte eine Zukunftsszene: Ein junger (nicht promovierter) Arzt sagt zur promovierten Physiotherapeutin: „Hier müssen wir mal Krankengymnastik machen.“ Sie zählt ein halbes Dutzend Verfahren auf und fragt, welches er verordnen möchte. Der Arzt druckst herum, verlegen vor Ahnungslosigkeit.

Ekkernkamp und viele andere sprachen sich dafür aus, alle therapeutischen Berufe einschließlich der Ärzte zu Beginn in ausgewählten Lehrveranstaltungen gemeinsam auszubilden. Dann lernen sie, in einer gemeinsamen Sprache zu reden, wissen, welche Kompetenzen die anderen haben und wie man mit aufeinander abgestimmten Verfahren den Patienten am besten helfen kann.

Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer berufsübergreifenden Zusammenarbeit ist der Schlaganfall. Der Arzt allein kann den Patienten nicht dazu bringen, seine Mobilität und sein Sprechvermögen wiederzugewinnen. Dazu braucht es ein Team von Therapeuten. Deren Kooperation ist in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten längst üblich, und dennoch kam es bisher fast nur zu einer lockeren multidisziplinären statt zu einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit, berichtete Heinz Rothgang (Universität Bremen). Ein überzeugendes Argument für eine kooperationsfördernde Sozialisation durch gemeinsame Lehrveranstaltungen.

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