zum Hauptinhalt
Altstadt von Riga. Die deutschen Studenten sind willkommen - und an den Unis ist Platz. Denn viele junge Letten gehen ins Ausland.

© Reuters

Medizinstudium im Ausland: Zuflucht im Baltikum

Für Medizinstudenten, die am deutschen NC scheitern, wird Riga zur Alternative. Dort studiert man auf Englisch, für eine Gebühr von 8000 Euro im Jahr. Viele der deutschen Studierenden hoffen auf den Sprung zurück an eine Heimatuni.

Der deutsche Einfluss ist in Riga noch immer allgegenwärtig. Ob im von Backsteingotik und Jugendstil geprägten Stadtbild, einer Statue der Bremer Stadtmusikanten oder dem wiedererrichteten Schwarzhäupterhaus, früher ein Handelskontor und heute vor allem ein Touristenmagnet. Doch heute zeugen nicht nur alte Steine von der engen Verbindung, sondern deutsche Studierende, die in den letzten Jahren verstärkt in die Hauptstadt Lettlands strömen.

Es gibt schon Besonderheiten eines Studiums an der Stradins-Universität, etwa die Garderobe mit Garderobenfrauen, wie im Theater. Auch wenn diese Garderobenfrauen an diesem Tag im Wintersemester alles durcheinanderbringen und zwischen Daunenjacken, Märkchen und Mänteln für Chaos sorgen. Nicht so schlimm findet das Lukas Herrmann. Der Student aus Deutschland sagt: „Normalerweise läuft das hier gut.“ Ein Urteil, das er für sein ganzes Studium in Lettland gelten lässt. Genauso wie Julia Fritz, die ebenfalls seit einem Jahr in Riga einem Abschluss in Medizin entgegenstrebt. „Es ist hier verschulter als bei uns, aber dafür sind alle flexibel und freundlich.“

Julia und Lukas sind zwei von 465 Deutschen an der Stradins-Universität. Damit machen sie etwa die Hälfte aller internationalen Studierenden aus, die meisten von ihnen belegen Medizin. „Vor drei Jahren waren es nur etwa 200 Deutsche“, erklärt Dekanin Smuidra Zermanos. „Der starke Anstieg begann mit dem EU-Beitritt 2004. Heute haben wir einen Anteil internationaler Studierender von 13 Prozent.“ Ein wichtiger Grund, nach Lettland zu gehen, ist die Möglichkeit das Studium sofort und ohne Wartesemester zu beginnen, selbst wenn die Abitur-Note in Deutschland dafür nicht reicht. So hat beispielsweise auch die Semmelweis-Universität in Budapest seit vielen Jahren zahlreiche deutsche Medizinstudierende. Dort wird auf Deutsch unterrichtet, in Riga dagegen auf Englisch. „Die meisten kommen für die ersten vier Semester zu uns und wechseln für den klinischen Teil an eine deutsche Hochschule“, erklärt Zermanos.

Das gilt auch für Julia und Lukas. „Doch ich kann mir auch gut vorstellen zu bleiben, falls der Wechsel nicht klappt“, sagt Lukas und lehnt sich in einen Stuhl in der Mensa zurück. Julia nickt. In der Mensa plappern junge Menschen genauso aufeinander los wie in der einer kleineren deutschen Uni, es wirkt alles übersichtlich und familiär. Sogar hausgemachte Buletten sind an diesem Tag im Angebot. Sie bekommen etwas geboten in Riga, die Gäste, nicht nur fachlich, dafür ist das Studium nicht billig. 16 000 Euro kosten die ersten beiden Jahre, wer bis zum Abschluss bleibt, zahlt 50 000.

Julias Eltern sind selber Ärzte, sie finanzieren ihr das Studium. „Ich hätte sonst zu lange warten müssen. Aber die Gebühren sind auch eine Motivation, es in der Regelzeit zu schaffen“, sagt sie. Die 19-Jährige kommt aus Halberstadt, wo sie nach dem Abitur noch ein Praktikum in einem Krankenhaus absolvierte und dann nach Riga ging. „Einige Freunde wundern sich und fragen: Wie kannst du das machen? Aber viele finden den Weg ins Ausland auch mutig.“

Julia und Lukas lernen beide Lettisch, auch wenn die Sprache nicht gerade leicht zugänglich ist. „Meine Spielwiese zum Ausprobieren ist der Zentralmarkt“, sagt Lukas. Falls die Worte zu speziell werden, „helfe ich mir bei der Fleischverkäuferin meines Vertrauens eben mit Tiergeräuschen“.

Lukas hat nach deutschem Vorbild eine Fachschaft organisiert

Der 23-Jährige aus Köln hat seit seinem Abitur ein Jahr Work-and-Travel in Südamerika, ein Semester Wirtschaftsstudium in Berlin und eine Ausbildung zum Rettungssanitäter hinter sich. Das ist auch der Grund, warum er einen Teil der Studiengebühren selbst zahlen kann. Mit dem Rest hilft die Familie. „Ich bin mir sicher, dass wir uns fachlich nicht verstecken müssen“, sagt er. Zusammen mit anderen hat Lukas nach deutschem Vorbild einen Fachschaftsrat gegründet. Es werden Filmabende, Partys und Kulturevents veranstaltet. „All das soll dem Austausch zwischen den Studierenden dienen, auch unterschiedlicher Nationalitäten.“

So viel Initiative wird sicher auch bei Smuidra Zermanos gut ankommen. Denn sie bemängelt, dass viele deutsche Studierende sich „wie Touristen fühlen“. Besser fände sie es, sie würden sich mehr ins lokale Leben integrieren. „Die meisten, die zu uns kommen, sind glücklich. Sie sparen Zeit, schaffen es später an eine deutsche Uni, haben eine Auslandserfahrung gemacht und gehen dann weiter ihren Weg.“

Doch auch Lettland hat abgesehen vom Geld etwas von den Gästen. „Die Bevölkerung schrumpft, viele junge Letten gehen ins Ausland. Dadurch haben die Unis Kapazitäten und wir brauchen junge Leute“, sagt Zermanos. Ihre Uni sieht sie als führende Hochschule für Ausländer im Baltikum, weil man das englischsprachige Programm seit 1990 anbiete und Erfahrung habe. Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre, die auch für die öffentliche Universität mit Budgetkürzungen verbunden war, sieht Zermanos weitgehend überwunden.

Julia und Lukas wohnen beide nicht weit von der Universität in einem Wohnheim. Abends gehen sie jedoch auch gerne in die Altstadt. Lukas mag im Sommer „vor allem den Hafen“. Auch für Julia spielt das Wasser eine zentrale Rolle, sobald das Wetter besser wird fährt sie häufiger an die nahe Ostsee. Die Meinung der beiden über Land und Leute ist einhellig: „Wir wurden von allen positiv empfangen. Bei den Letten dauert es etwas länger als bei Deutschen, bis sie auftauen und man warm mit ihnen wird, aber dann läuft es.“ Bei so viel Zustimmung könnten die beiden theoretisch irgendwann zu einer Gruppe gehören, die es bislang gar nicht gibt: junge Menschen aus Deutschland, die in Riga ihr gesamtes Medizin-Studium absolvieren – und dann gleich dableiben.

Zur Startseite