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Medizintechnik: Mit der Kraft der Gedanken

Vom Gehirn gesteuerte Prothesen können einen Arm ersetzen. Sogar Autofahren ist möglich - wie das Beispiel eines jungen Österreichers zeigt, dem beiden Arme amputiert werden mussten und der nun wieder am Steuer sitzt.

Ein 22-Jähriger hat seinen Führerschein gemacht. Keine weiter erwähnenswerte Tatsache, sollte man meinen. Doch dass der junge Österreicher Christian Kandlbauer nun Auto fahren kann, ist sensationell. Wie sensationell, das wird erst klar, wenn man weiß: Der Lagerist aus der Steiermark hatte mit 18 Jahren einen Starkstromunfall, in dessen Folge beide Arme amputiert werden mussten.

Die Prothesen, die er seit dem Jahr 2007 trägt, kann er mit seinen Gedanken steuern. Nun wurde sein Leben noch ein Stück selbstständiger: Der junge Österreicher, der in einer Kfz-Werkstatt arbeitet, konnte in Berlin ein Auto in Empfang nehmen, das er mit einer neuen Variante der intuitiv steuerbaren Prothesen selbst lenken kann.

Auch wenn Kandlbauer nach dem Unfall keine Arme mehr hat, sind es Nerven aus dem Arm, die den Gelenken in seinen künstlichen Armen die Befehle geben. Also die Nerven, die auch im Normalfall für diese Aufgabe zuständig sind. Die Voraussetzung dafür, dass sie weiter ihren Dienst tun können, bildet ein medizinisches Verfahren namens Targeted Muscle Innervation (TMI), das zuerst von amerikanischen Medizinern entwickelt wurde. Todd Kuiken und seine Kollegen vom Rehabilitation Institute of Chicago berichteten vor einem Jahr im Fachblatt „Jama“ (Band 301, Seite 619) über erste Erfolge mit dem Verfahren.

Dafür werden Überreste von funktionstüchtigen Armnerven, die für das Beugen und Strecken von Ellbogen und Hand zuständig sind, in einem aufwendigen Verfahren aus dem Armstumpf herausgelöst und zum großen Brustmuskel umgeleitet. Von dort sollen sie später wie gewohnt dem „Arm“ Befehle weitergeben, die aus der Zentrale im Gehirn kommen. Eigentlich würden diese Befehle nach der Amputation ins Leere laufen und nur einem Phantom gelten. Doch die geniale Idee der TMI besteht darin, sie für die Steuerung einer Prothese zu nutzen.

Damit das klappt, brauchen die Patienten nach der Operation allerdings noch weit mehr Geduld, als die tüftelige Operation sie den Chirurgen abverlangt: Es dauert mehrere Monate, bis im Elektromyogramm (EMG) Bewegungen der Brustmuskulatur sichtbar werden, wenn das Gehirn des betroffenen Menschen den Befehl erteilt, seine nicht mehr vorhandene Hand zu öffnen oder zu schließen und den Ellbogen zu beugen oder zu strecken. Erst wenn es so weit ist, können Hautelektroden diese Signale auffangen, die die Muskeln beim Zusammenziehen aussenden, und sie an einen Prozessor in einer Prothese weiterleiten.

Die Motoren in diesem künstlichen Arm sorgen anschließend für die Umsetzung der Befehle. Die amerikanische Studie, für die fünf Prothesenträger mit fünf Kontrollpersonen verglichen wurden, zeigt, dass dabei nur kleine zeitliche Verzögerungen in Kauf zu nehmen sind: Vom Signal im EMG bis zum Beginn der Bewegung dauerte es bei Menschen mit Arm 0,16 Sekunden, bei Trägern der Prothese 0,22 Sekunden. Bis die gesamte Bewegung vollendet war, vergingen im Schnitt bei ihnen nur 0,20 Sekunden mehr.

Im November 2007 war es schließlich für Kandlbauer, der als erster europäischer Patient im Dezember 2006 im Allgemeinen Krankenhaus der Medizinischen Universität Wien operiert worden war, so weit: Das medizinisch-technische Unternehmen Otto Bock präsentierte die neue Prothese und ihren jungen Nutzer bei einer Pressekonferenz in Wien.

Je mehr Funktionen eine solche Prothese bietet, je mehr bewegliche Gelenke sie also hat, umso komplizierter ist es, sie so anzulegen, dass die vielen Elektroden die richtige Verbindung bekommen. Der besonders vielseitige Prototyp des künstlichen Arms ist deshalb bisher noch für Forschungszwecke gedacht und wird von Kandlbauer nach Auskunft der Herstellerfirma vorwiegend im Labor getragen.

Im Januar 2009 bekam er zusätzlich eine gedankengesteuerte „Alltagsprothese“ mit drei Gelenken, die er ohne Hilfe eines Technikers anlegen und bedienen kann. Mit deren Hilfe bereitete er sich dann in einem Spezialfahrzeug der Firma Paravan, das über eine besonders leichtgängige Servolenkung und zahlreiche Sonderschalter verfügt, auch auf die Führerscheinprüfung vor. Und damit auf einen wichtigen Schritt in die Selbstständigkeit nach einem verheerenden Unfall.

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