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Nordamerikanischer Baumstachler

© dpa

Medizintechnik: Vorbild Stachelschwein

Kaum zu glauben: Dank Widerhaken dringen die Spitzen besser ins Fleisch als etwa eine gewöhnliche Spritze. Das wollen sich Forscher nun zunutze machen.

Wenn ein bis zu ein Meter großes Stachelschwein drohend seine 30 000 Stacheln aufstellt, gehen selbst Raubtiere in Deckung. Aus gutem Grund: Stecken die langen, spitzen Stacheln erst einmal in der Haut, wird man sie nur schwer wieder los. Und weil sie meist verschmutzt sind, eitern die Eintrittsstellen oft.

„Anders als oft erzählt wird, schießen die Tiere ihre Stacheln nicht ab. Sie verlieren sie bei Körperkontakt mit einem Angreifer“, sagt Jeffrey Karp vom Zentrum für regenerative Technologien am Brigham and Women’s Krankenhaus, das zur Harvard Medical School gehört.

Damit so eine Verteidigungsstrategie erfolgreich ist, müssen die Stacheln sehr leicht die Haut bis zu den Muskeln durchdringen und dort fest stecken bleiben. „Beides erreichen Nordamerikanische Baumstachler durch ein System von Widerhaken“, sagt Karp. Dies könne ein Vorbild für die Medizin sein – etwa wenn es darum geht, Gewebe fest miteinander zu verbinden, aber auch bei der Drainage von Abszessen oder einer lokalen Betäubung.

Die Forscher haben die physikalischen Eigenschaften von natürlichen und künstlichen Stacheln aus Polyurethan untersucht. Die Überraschung: Die Widerhaken sind nicht nur zum Festhalten da. Sie helfen auch dabei, dass sich die speerartigen Waffen ohne großen Druck tief ins Gewebe bohren, schreiben Karp und seine Kollegen im Fachjournal „PNAS“. Verglichen mit glatten Spritzen oder Nadeln mit demselben Umfang sei viel weniger Kraft nötig.

Das klingt paradox, ist aber einfach zu erklären. Wenn die Widerhaken an den richtigen Stellen platziert sind, wirken sie wie die Zähne eines Sägeblattes. Die Kraft wirkt dann nicht nur an der Stachelspitze, sondern wird auf eine Vielzahl kleiner Widerhaken verteilt, die alle durchs Fleisch schneiden. Eine so entstehende Wunde sei nicht nur tiefer, schreiben die Forscher. Während eine glatte Nadel das Gewebe spannt und aufreißt, haben Wunden, die durch einen solchen mit Widerhaken bewehrten Stachel verursacht werden, glattere Ränder.

Die genaue Platzierung und Größe der 100 bis 120 Mikrometer langen Widerhaken sei dabei zentral, schreiben Karp und seine Kollegen. Diejenigen, die direkt an der konischen schwarzen Spitze beziehungsweise zwei bis vier Millimeter von der Spitze entfernt sitzen, sind für das Festhalten zuständig. Die Widerhaken, die zwei bis drei Millimeter von der Spitze entfernt wachsen, sägen zusätzlich. Denn an diesen Stellen wird der Durchmesser des Stachels größer. Der Rest der tierischen Waffe ist dagegen mit glatten Schuppen bedeckt.

Ein Polyurethan-Stachel, der dieser Bauanleitung folgt, braucht 80 Prozent weniger Kraft, um Haut und Muskeln zu durchdringen als eine glatte Polyurethan-Nadel. Andere Verteilungen der Widerhaken funktionierten im Test weniger gut, egal ob es sich um Nachahmungen oder echte Stacheln anderer Stachelschweinarten handelte.

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