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Ausgesetzt. Im Januar wurden die schwimmenden Laboratorien von einem Forschungsschiff in den Gullmarfjord gebracht. Täglich fahren Wissenschaftler zu der Anlage, um Proben zu entnehmen.

© Geomar/Maike Nicolai

Meeresforschung: Blick in eine saure Zukunft

Mit steigendem Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre schreitet auch die Versauerung der Ozeane voran. In einem schwedischen Fjord simulieren Wissenschaftler, was Meereslebewesen im Jahr 2100 erwartet.

Wie steht es am Ende des Jahrhunderts um die Meere? Wissenschaftliche Prognosen darüber reichen von einer veränderten Artenvielfalt bis hin zu einem Meer ohne höhere Organismen. Nach genaueren Antworten sucht seit Jahresbeginn ein internationales Forscherteam im schwedischen Gullmarfjord, knapp 100 Kilometer nördlich von Göteborg. „Der steigende Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre führt nicht nur zu einem Anstieg der Temperaturen, sondern auch zu einer Versauerung der Meere“, sagt Ulf Riebesell vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Derzeit nehmen die Ozeane rund ein Viertel der jährlichen Kohlendioxidemissionen aus der Atmosphäre auf und wandeln das Gas im Wasser in Kohlensäure um. Die Folge: Der pH-Wert der Ozeane geht zurück, in den vergangenen 150 Jahren von 8,2 auf 8,1. Das erscheint wenig zu sein, doch die Werte sind auf einer logarithmischen Skala aufgetragen. Tatsächlich hat die Säuremenge im Wasser um etwa 30 Prozent zugenommen.

Über die Folgen für die Ökosysteme wissen die Forscher bisher nur wenig. Fast alle Erkenntnisse stammen aus Laborversuchen und sind auf einzelne Arten beschränkt. „Im Labor können wir nicht alle Aspekte eines Ökosystems abbilden. Wie komplexe Lebensgemeinschaften auf die Versauerung reagieren und ob es eine Anpassung an die veränderten Umweltbedingungen gibt, lässt sich deshalb nicht beantworten“, sagt Riebesell. Ein besseres Verständnis dafür erhoffen sich er und seine Kollegen von dem Langzeitexperiment im Gullmarfjord.

So funktionieren die Mesokosmen im Gullmarfjord.
So funktionieren die Mesokosmen im Gullmarfjord.

© Geomar/TSP

Dort wird in „Mesokosmen“ die saurere Zukunft simuliert. Damit bezeichnen die Wissenschaftler undurchlässige Schläuche, die 19 Meter in die Tiefe reichen und dabei rund 55 000 Liter Wasser samt Lebensgemeinschaft einschließen. „Wir lassen das Ökosystem weitgehend natürlich, nur die Nahrungskette wird beschnitten“, sagt Riebesell. Oberhalb der Quallen und Fischlarven ist Schluss. Der Einfluss von größeren Räubern wäre bei den knappen Platzverhältnissen kontraproduktiv. Fünf der zehn abgeschirmten Ökosysteme haben die Forscher mit CO2 angereichert, um den sauren Ozean der Zukunft zu simulieren.

Besonders die Reaktion der Planktongemeinschaft interessiert sie. Mit Generationszeiten von ein bis zwei Tagen eignen sich die Mikroorganismen gut für die Beobachtung möglicher Anpassungsprozesse, sagt der Meeresbiologe. „100 Generationen sind ein evolutionsrelevanter Zeitraum, in dem sich die Organismen auf die erhöhten Kohlendioxidgehalte einstellen könnten.“

Erste Hinweise auf eine Anpassung hat man bereits im Labor gefunden, berichtet Riebesell. So scheinen sich beispielsweise einzellige Kalkalgen auf die Meeresversauerung zumindest im Ansatz einzustellen. Auch bei bestimmten Kaltwasserkorallen und Seepocken wurden Anpassungen beobachtet. Aus diesen Befunden positive Rückschlüsse für größere Arten zu ziehen, wäre jedoch falsch, meinen die Forscher. Eine hohe Populationsdichte und kurze Generationszeiten, wie sie für kleine Lebewesen typisch sind, ermöglichen eher eine evolutionäre Anpassung. Langlebige Arten mit weniger Nachkommen haben es deutlich schwerer.

Eine genauere Vorstellung haben die Biologen hingegen von den Gewinnern und Verlieren der Meeresversauerung. Zu den Profiteuren gehören vor allem Algen, die Photosynthese betreiben, wie der Meeresbotaniker Kai Bischof von der Universität Bremen berichtet. „Durch einen höheren Kohlendioxidgehalt im Wasser fällt die Photosynthese leichter. Davon profitieren neben Algen auch Seegräser und Phytoplankton.“ Verlierer sind Organismen, deren Schalen und Skelette aus Kalk bestehen. Dazu gehören neben Schnecken und Muscheln auch größeres Plankton und Korallen. Gerade leicht lösliche Kalksorten wie Aragonit werden durch den niedrigeren pH-Wert angegriffen. „Bisher ist Kalk einer der wichtigsten Bausteine in den Meeren“, sagt Bischof. „Im Zuge der Versauerung könnten die bewährten Konstruktionen instabiler werden und der Energiebedarf für ihre Bildung steigen.“

Letzteres haben Kieler Forscher bei Miesmuscheln beobachtet. Sie können zwar auch in saurerem Wasser wachsen und Kalkschalen bilden, allerdings nur mit ausreichend Nahrung. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass eine bessere Futterverfügbarkeit den „Säurenachteil“ wenigstens teilweise ausgleichen könnte.

Ein anderer Weg für Tiere und Pflanzen von der Versauerung zu profitieren, wäre das Ausscheiden von bisherigen Konkurrenten. „Es ist durchaus möglich, dass durch die Verschiebung der Ökosysteme auch indirekte Gewinner entstehen“, sagt der Geomar-Forscher Riebesell. „Für genauere Prognosen dazu müssten wir aber die Auswirkungen auf die Nahrungsketten abschätzen können.“ Genau das fällt bisher schwer, wobei die meisten Wissenschaftler insgesamt eher negative Folgen annehmen.

Der Grund: Die meisten Profiteure der Versauerung sind kleine und primitive Organismen. Ihr positiver Effekt könnte schon recht bald „aufgebraucht“ sein, je weiter man die Nahrungskette verfolgt. Schlüsselarten wie die Flügelschnecke drohen dagegen verloren zu gehen. Wie und ob diese ökologische Nische gefüllt wird, darüber kann nur spekuliert werden. „Wir stehen wirklich ganz am Anfang. Je mehr wir die grundlegenden Abläufe verstehen, umso mehr tauchen neue Fragen auf“, sagt Riebesell.

Mit der Auswertung der Datenmenge vom Gullmarfjord haben er und seine Kollegen bereits begonnen. Temperatur, Salz- und Sauerstoffgehalt, pH-Werte und Chlorophyllanteil – all das wird in den Mesokosmen gemessen. Zusätzlich werden alle zwei Tage Proben auf rund 50 biologische, chemische und physikalische Parameter untersucht.

Für konkrete Antworten ist es noch zu früh, dafür sind die Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaften zu komplex. Hinzu kommt, dass die Befunde zur Versauerung mit weiteren Folgen des Klimawandels wie der Erd- oder besser gesagt der Meereserwärmung zusammengebracht werden müssen. Das ist bisher nicht geschehen.

Von Schwarzmalerei hält Riebesell dennoch nichts: „Ich glaube schon, dass sich die Ökosysteme anpassen werden.“ Die Artenvielfalt in den einzelnen Meeresgebieten sieht er allerdings in Gefahr.

Birk Grüling

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