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Schwertwal im Flachwasser vor der Küste des nördlichen Norwegen.

© Audun Rikardsen - www.audunrikardsen.com

Meeressäuger: PCB-Umweltgift bedroht Überleben von Schwertwalen

Die längst verbotenen Polychlorierten Biphenyle bleiben hochgefährlich für Orcas und andere Tiere. Populationen könnten allein ihretwegen komplett verschwinden.

Seit 25 Jahren beobachten Forscher und Naturschützer des Hebridean Whale and Dolphin Trust die Schwertwale, die vor der Atlantik-Küste Schottlands leben. In diesem Vierteljahrhundert wurde in dieser Gruppe kein einziges Kalb geboren. Derzeit gehören zu ihr noch acht Tiere. Als im Januar 2016 mit dem Orca-Weibchen Lulu das neunte Mitglied der Gruppe tot auf den Strand der schottischen Insel Tiree geschwemmt wurde, bestätigte eine Obduktion einen lang gehegten Verdacht. Das Tier hatte sich zwar in Fischfangleinen verheddert und war so erstickt. In seinem Körper aber fanden die Forscher hohe Konzentrationen der längst verbotenen Polychlorierten Biphenyle.

Nützlicher, giftiger Kunststoff

Diese besser unter der Abkürzung PCB bekannten Substanzen aber könnten in den kommenden Jahrzehnten die Hälfte der Killerwal-Populationen auf der Welt ausrotten. Zu diesem Schluss kommen Jean-Pierre Desforges und Rune Dietz von der Universität im dänischen Aarhus, Ailsa Hall von der Universität im schottischen St. Andrews und ihre Kollegen in der Zeitschrift Science (Band 361, Seite 1373).

„Wir wissen schon lange, dass diese PCBs nicht nur Orcas, sondern auch viele andere große Tiere im Meer - von Delfinen über Haie bis zu Thunfischen - gefährden“, kommentiert der Meeresbiologe Fabian Ritter von der Berliner Wal-Schutzorganisation M.E.E.R. e. V. („Mammals Encounters Education Research“). Insgesamt wurden von diesen Substanzen seit 1929 weit mehr als eine Million Tonnen hergestellt, die überall dort eingesetzt wurden, wo besonders hohe chemische Stabilität gefragt war: PCBs isolierten in Transformatoren und Kondensatoren der Elektroindustrie, dichteten Fugen in Plattenbauten und waren als Hydrauliköle im Bergbau gefragt.

Natürliche Akkumulation im Wal

In der Umwelt aber werden PCBs anscheinend so gut wie gar nicht abgebaut. Zwar ist die Konzentration eigentlich extrem niedrig, auch weil seit den 1970er Jahren die Produktion von PCBs zunehmend eingeschränkt wurde. Allerdings nehmen winzige Organismen diese Substanzen mit der Nahrung auf und geben sie kaum noch ab. Werden sie von größeren gefressen, reichern sich die PCBs in ihnen weiter an, bis schließlich die ganz Großen wie Haie, Thunfische oder Schwertwale millionenfach höhere Konzentrationen als das Wasser aufweisen, in dem sie schwimmen. In einem Orca fanden Forscher dann auch den Rekordwert von 1,3 Gramm PCB in einem Kilogramm Fett, in dem sich die Substanz vor allem anreichert.

Schon in viel kleineren Mengen aber erweisen sich PCBs als sehr gefährlich. Sie schädigen bei Säugetieren nicht nur das Immunsystem und erhöhen damit die Risiken bei Infektionen deutlich, sondern bringen auch das Hormonsystem durcheinander, verzögern die geistige Entwicklung und können unfruchtbar machen. Betroffen sind vor allem Tiere, die ganz oben in der Nahrungskette stehen. Und dazu gehören nicht nur Schwertwale und Haie, sondern auch der Mensch. Deshalb gelten in der Europäischen Union längst strenge Grenzwerte für die Konzentration von PCBs in Innenräumen oder in Lebensmitteln wie zum Beispiel Fischen. „Trotzdem würde ich raten, Raubfische am oberen Ende der Nahrungskette wie zum Beispiel Thunfische nicht allzu häufig zu essen“, empfiehlt Meeresbiologe Fabian Ritter.

Fettreiche, PCB-reiche Milch

Bei Orcas und anderen Zahnwalen gibt es ein weiteres Problem. „Die mit bis zu 30 Prozent extrem fettreiche Milch der Weibchen enthält sehr viel PCB, daher reichen die Mütter ihrem Nachwuchs beim Säugen große Mengen dieser Substanzen weiter“, erklärt Fabian Ritter. Damit aber geraten zum Beispiel die Orcas vor der schottischen Küste gleich doppelt in die Bredouille: Die PCBs schränken zum einen die Fruchtbarkeit stark ein. Kommt dann doch ein Orca-Kalb zur Welt, übernimmt es von seiner Mutter viele PCBs, die sein Immunsystem schwächen. Die wenigen Kälber sterben daher oft früh an Infektionen.

Als die Forscher um Rune Dietz jetzt die Schwertwal-Populationen weltweit begutachteten und in sehr vielen Modellrechnungen deren Entwicklung in den nächsten hundert Jahren simulierten, zeigten sich für verschiedene Meeresregionen sehr unterschiedliche Entwicklungen: Besonders hohe PCB-Konzentrationen finden Wissenschaftler in den Orcas vor den Küsten der stark industrialisierten Regionen: Vor Schottland und bei Gibraltar oder vor Japan und vor der Pazifikküste im Süden Kanadas. Dort wiederum sind die Schwertwale besonders betroffen, die sich von großen Tieren wie Robben, Thunfischen oder Haien ernähren, während die auf Heringe und andere kleinere Beutetiere stehenden Orcas deutlich weniger PCBs in ihrem Fett haben. Die Modellrechnungen zeigen daher, dass es den Schwertwalen im Südpolarmeer oder vor Island und Norwegen in Zukunft im Hinblick auf die PCB-Belastung gar nicht so schlecht gehen wird, während Populationen wie die in Schottland besonders stark leiden und vom Aussterben bedroht sind.

Tödliche Traditionen

Die Situation verschärft sich bei den Orcas zusätzlich dadurch etwas, dass ihr Verhalten sehr von Traditionen innerhalb der jeweiligen Population bestimmt ist: Die Jungen lernen von den erfahrenen Schwertwalen, von denen die Weibchen 80 oder 90 Jahre alt werden können, wie man mit ausgefeilten Jagdtechniken Beute macht. Die Gruppen sind auf unterschiedliche Tiere spezialisiert: Manche jagen vor allem Heringe, andere werden zu Spezialisten für Lachs, erbeuten Robben oder überwältigen sogar große Haie oder Stachelrochen. Die Jungen lernen es von den Alten, was sie aber auch unflexibel macht: „Mit dieser starken Spezialisierung können die Tiere nicht einfach zum Beispiel auf Heringe umschwenken, wenn ihre bisherige Beute Lachs knapp wird“, erklärt Fabian Ritter. Wenn also die Fischer an der Westküste Nordamerikas die Lachs-Bestände stark dezimieren, hungern auch die auf Lachs spezialisierten Orcas, die gleichzeitig von PCB und anderen Umweltgiften stark belastet sind. Und weil nicht nur Orcas, sondern auch andere Zahnwale noch eine Reihe weiterer Probleme von der Überfischung bis zum Lärm unter Wasser haben, dürfte die Situation für die Schwertwale insgesamt vielleicht sogar noch erheblich schwieriger sein und werden, als es die Modellrechnungen allein zur PCB-Belastung vermuten lassen.

Schwertwal zeigt Schwert: Aufnahme vor der Küste des nördlichen Norwegen.
Schwertwal zeigt Schwert: Aufnahme vor der Küste des nördlichen Norwegen.

© Audun Rikardsen - www.audunrikardsen.com

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