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Chimärenexperiment: Ein Mausorgan in einem Rattenembryo

© ltd/SPL/dpa

Update

Mischwesen aus Mensch und Tier: Japan erlaubt Chimären-Experimente für Organzucht

Ein paar menschliche Stammzellen ins Schweineembryo spritzen und am Ende Organe für die Transplantation ernten? Ob das funktioniert, darf nun getestet werden.

Die Idee ist simpel: Nimm menschliche Stammzellen und spritze sie in einen frühen tierischen Embryo. Handelt es sich etwa um ein Schwein, das aufgrund eines Gendefekts ein Organ, beispielsweise die Bauchspeicheldrüse, nicht mehr bilden kann, springen die menschlichen Zellen im Laufe der Entwicklung ein und bilden das lebenswichtige, Insulin produzierende Organ. Es wächst ein Schwein mit menschlicher Bauchspeicheldrüse, die dann entnommen und etwa schwerkranken Diabetespatienten eingepflanzt werden kann. Hiromitu Nakauchi wird der erste Wissenschaftler sein, der diese Idee nun testen darf. Das japanische Bildungs- und Wissenschaftsministerium hat jetzt neue Regularien erlassen, die es dem Forscher, der an der Universität Tokyo und der Stanford University in Kalifornien arbeitet, erlaubt, menschliche Stammzellen in Maus- und Rattenembryos einzusetzen und in der Gebärmutter entsprechender Leihmuttertiere bis zur Geburt heranwachsen zu lassen.

Maus mit Bauchspeicheldrüse aus Rattenzellen

Nakauchi hatte 2010 von sich Reden gemacht, als es ihm mit der Methode gelang, in Mäusen eine Bauchspeicheldrüse zu züchten, die fast ausschließlich auch Rattenzellen bestand. Den Mausembryonen fehlte ein Gen (pdx-1), so dass sie im Laufe der Embryonalentwicklung selbst keine Bauchspeicheldrüse mehr hätten bilden können und gestorben wären. Doch die Injektion mit embryonalen Stammzellen ("induzierte pluripotente Stammzellen", ipS) aus der Ratte "rettete" die Tiere. 2017 zeigte Nakauchi dann, dass beim umgekehrten Experiment - bei dem eine Bauchspeicheldrüse aus Mauszellen in Rattenembryonen heranwuchs - Bauchspeicheldrüsenorgane entstanden, die Diabetes-kranke Mäuse heilten, also unabhängig von Insulinspritzen machten. Auch andere Organe hat Nakauchi eigenen Angaben zufolge mit der Technik züchten können, etwa Niere und Thymus - allerdings bislang keine menschlichen.

Mit den neuen Richtlinien haben Forscher in Japan nun bessere Möglichkeiten, die Methode auf ihre Anwendbarkeit beim Menschen zu testen, als etwa in den USA. Dort sind solche Experimente zwar nicht ausdrücklich verboten, die National Institutes of Health, die wichtigste Finanzierungsquelle für derartige Wissenschaft, hat 2015 aber ein Moratorium für Chimären-Experimente ausgerufen.

In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz derartige Experimente, jedenfalls sobald menschliche (Stamm-)Zellen involviert sind. So untersagt Paragraph 7 bei Androhung von bis zu fünf Jahren Haft etwa, "mit einem menschlichen Embryo Zellen zu verbinden, die eine andere Erbinformation als die Zellen des Embryos enthält und sich mit diesem weiter zu differenzieren vermag". Explizit ist es auch verboten, einen menschlichen Embryo auf ein Tier zu übertragen, also auch Gemische aus menschlichen und tierischen Zellen, eben "Chimären".

Welche Experimente im einzelnen genehmigungsfähig sind, wird in Japan ein Expertengremium des Wissenschaftsministeriums - voraussichtlich noch im August - entscheiden. Vorerst will Nakauchi chimäre Maus-Mensch-Embryonen nur etwa 14 Tage lang heranwachsen, also nicht bis zur Geburt auswachsen lassen. Bei den entsprechenden Rattenexperimenten ist ein Abbruch nach rund 15 Tagen geplant. Sollten diese Experimente vielversprechend verlaufen, will Nakauchi, dem Fachblatt "Nature" zufolge, chimäre Embryonen bis zu 70 Tage in Schweinen züchten.

Ist das Züchten von Chimären ethisch statthaft?

Ethische Bedenken hat Nakauchi nicht: "Ich für meinen Teil halte diese Art von Experimenten nicht für unethisch", sagte er dem Tagesspiegel schon vor einiger Zeit. "Solche Experimente können extrem nützlich sein, etwa um menschliche Gewebe für Arzneimitteltests herzustellen, für die Forschung und vor allem natürlich für Organersatztherapien."

Eine Sorge ist, dass Tiere, die je nach Experiment zu 10, 50 oder 70 Prozent aus menschlichen Zellen bestehen, womöglich auch mehr oder weniger menschliche Eigenschaften entwickeln könnten - etwa wenn die menschlichen Zellen nicht auf das erwünschte Organ, etwa die Niere, beschränkt bleiben, sondern auch im Gehirn oder den Fortpflanzungsorganen landen. Nakauchi meint jedoch, diesen "Streueffekt" kontrollieren zu können: "Es ist relativ einfach, die Differenzierung der Stammzellen auf bestimmte Organe und Gewebe zu kontrollieren."

Der Deutsche Ethikrat hatte sich bereits 2011 mit den Bedenken gegenüber Chimären-Experimenten befasst und dann Stellung bezogen. So sei etwa die Übertragung menschlicher Zellen in das Gehirn von Säugetieren - mit Ausnahme von Primaten - "ethisch statthaft".

"Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass wir nicht eine neue Spezies schaffen, wenn wir diese Chimären züchten", sagt Nakauchi. Chimären sind ein Gemisch von Zellen mit jeweils ihrem eigenem genetischen Hintergrund, sagt der Forscher. Ganz anders als bei "Hybriden", bei denen das Erbmaterial verschiedener Spezies oder verschiedener Varianten einer Art vermischt ist. Solche Mischzustände können - über das Mischerbgut - auch vererbt werden. "Der chimäre Zustand wird nicht an die nächste Generation weitergegeben." Und wenn man beispielsweise einen chimären Affen mit menschlichem Gehirn schaffen würde, so Nakauchi, dann wären die Keimzellen entweder menschlich oder vom Affen. Dennoch sei es wohl eine gute Idee, Maus-Mensch-Chimären vorerst nicht bis zur Geburt heranwachsen zu lassen, sondern die Entwicklung vorher abzubrechen.

Viele offene Fragen zu erforschen

Wie weit er mit seinen Experimenten überhaupt kommt, ist durchaus noch offen. Was mit Maus-Ratte-Chimären funktioniert hat, muss nicht notwendigerweise auch bei Kombinationen von menschlichen und Schweinezellen oder Maus-Mensch-Gemischen funktionieren. So scheinen menschliche Stammzellen in Schafsembryonen, die keine Bauchspeicheldrüse entwickeln können, nicht recht anzuwachsen. Jedenfalls berichtete Nakauchi vergangenes Jahr auf einer Konferenz der American Association for the Advancement of Science in Austin, Texas, dass die Schafsembryonen nach vier Wochen kaum menschliche Zellen und schon gar kein funktionierendes, menschliches Bauchspeicheldrüsen-Organ enthielten. Womöglich unterscheidet sich das Erbgut der beiden Arten zu stark, als dass die beiden Zelltypen zusammenarbeiten könnten, vermutet Nakauchi - Kompatibilitätsprobleme wie einst zwischen Apple- und IBM-Computern.

Eine Anwendung von Nakauchis Chimären-Technik ist auch aus einem anderen Grund weder kurz- noch mittelfristig wahrscheinlich: Die menschlichen Organe in der Chimäre werden von tierischem Blut durchspült und tierischen Blutgefäßen und Nerven durchzogen, müssen mit nicht immer passgenauen tierischen Hormonen interagieren und werden mit Stoffwechselprodukten konfrontiert, die im Menschen so nicht oder anders vorkommen. Das bedeutet, dass selbst ein im Grunde aus menschlichen Zellen bestehendes Organ immer auch viele tierische Anteile enthalten würde und nach einer Transplantation im Patienten wahrscheinlich eine gefährliche Abstoßungsreaktion auslösen würde.

Xenotransplantation der praktikablere Ansatz

Nakauchi meint, dass man das Schwein, in dem das menschliche Organ heranwächst, dann eben noch weiter anpassen müsse. "Menschliche Blutzellentwicklung könnte beispielsweise im Knochenmark des Tiers etabliert werden." Das Blut des Schweins wäre dann "menschlicher". Tatsächlich gibt es - ganz unabhängig von Nakauchis Chimären-Experimenten - Bestrebungen, etwa Schweine genetisch so anzupassen, dass ihre Organe auf den Menschen übertragen werden können. Solche "Xenotransplantationen" sind allerdings nur dann möglich, wenn die Schweinezellen für das menschliche Immunsystem nicht mehr als "fremd" zu erkennen sind. Dafür werden bestimmte Gene verändert, so dass die Oberfläche der Schweinezellen von typisch "tierischen" Gewebemerkmalen befreit ist. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass Schweineherzen in Affen mittlerweile über ein Jahr überdauern und funktionieren konnten. Diese Erkenntnisse der Xenotransplantation könnten Nakauchi in die Hände spielen, da sie die "Distanz" zwischen Schwein und Mensch reduzieren, und eine Übertragbarkeit der chimären Organe auf den Menschen wahrscheinlicher machen würde.

Eckhard Wolf von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, der selbst an Schweinen für die Xenotransplantation forscht, hält Nakauchis Strategie allerdings auch aus ganz praktischen Erwägungen für unausgereift. "Wenn man irgendwann ein Schwein hat, dessen Organe vom menschlichen Körper akzeptiert werden, dann kann man es im großen Stil züchten", sagt Wolf. "Beim Chimären-Ansatz hingegen muss man jedes Mal wieder von Null anfangen, also neue Stammzellen vom Patienten gewinnen, eine Chimäre herstellen und das Organ ernten." Das so zu standardisieren, dass eine Arzneimittelbehörde die Zulassung erteilt, hält Wolf für sehr schwierig.

"Es gibt keinen Grund, warum eine menschliche Leber nicht in einem Schwein wachsen kann", davon ist Nakauchi überzeugt. "Wenn es nicht funktioniert, weil bestimmte Faktoren fehlen, dann ersetzen wir sie eben." Und wenn man Affen statt Schweinen, Ziegen oder Schafen nähme, sei er "fast sicher dass es funktionieren wird."

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