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Zweifelhafter Nutzen: In Seoul wird das Sejong Culture Center desinfiziert, um Übertragungen des Mers-Virus nach Theatervorstellungen zu verhindern. Dabei ist das Risiko gering, sich außerhalb eines Krankenhauses zu infizieren. Alle 160 Ansteckungen gehen auf Kontakt mit schwerkranken und deshalb hochinfektiösen Patienten in Krankenhäusern zurück.

© Reuters

Mers-Ausbruch in Seoul: Seuchenbekämpfung ist nichts für Politiker

Wenn Regierungen wie in Südkorea bei Eindämmung ansteckender Krankheiten taktieren, dann gefährdet das Menschenleben.

Nein, Panik herrscht nicht auf den Straßen von Seoul. Auch wenn das eilig aus Tokio eingeflogene TV-Korrespondenten mit dramatischen Worten behaupten. Auch wenn sich inzwischen 162 Menschen mit dem aus dem Nahen Osten eingeschleppten Mers-Virus angesteckt haben und 20 daran gestorben sind. Ja, es tragen mehr Passanten in der U-Bahn Mundschutz, als das in der koreanischen Elf-Millionen-Stadt ohnehin üblich ist. Und die Bedienungen bei „Starbucks“ niesen vorsichtshalber in ein futuristisches Plastikkonstrukt von Mundschutz statt über den teuren Caramel macchiato. Aber kopflose Angst zeigt hier niemand. Stattdessen wachsen Ärger und Unzufriedenheit mit der Regierung. Denn dass sich so viele Menschen anstecken konnten, so viele sterben mussten und ein ganzes Land verunsichert wurde, liegt am schlechten Krisenmanagement der Regierung von Präsidentin Geun-hye Park.

Erst das Schiffsunglück, nun Mers

Der Mers-Ausbruch in Seoul zeigt, dass es keine gute Idee ist, Seuchenbekämpfung zur Sache von Politikern zu machen. Denn im Ernstfall verfolgen sie eher die eigenen Interessen als jene der Patienten. Für die Regierung Park kam der Mers-Ausbruch zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Sie steht unter Druck, seit das Passagierschiff „Sewol“ im April 2014 unterging. 304 Menschen starben damals. Seit Monaten demonstrieren ein paar hundert Meter vom Regierungssitz entfernt Familienangehörige und Unterstützer und sammeln Tag für Tag Unterschriften von Passanten wie Touristen. Sie wollen das Parlament zwingen, endlich nach den Verantwortlichen für das Unglück zu suchen. Eine Untersuchungskommission ist wegen politischer Querelen arbeitsunfähig. Korruptionsvorwürfe gegen acht Politiker, ein nationaler Geheimdienst, der sich in den Wahlkampf einmischt – nur noch ein mickriges Drittel der Koreaner habe Vertrauen in die politische Führung, zitiert der Chefredakteur des Online-Magazins „Korea Exposé“, See-Woong Koo, eine Umfrage.

Vor diesem Hintergrund wird klar, wenn auch nicht entschuldbar, dass die Regierung wenig Interesse hatte, die Öffentlichkeit schnell und umfassend über den Mers-Ausbruch in mehreren Krankenhäusern in und bei Seoul zu unterrichten. Als „unbeholfen“ kritisiert Koo die ersten Gegenmaßnahmen der Regierung. „Eigensinnig“ sei die Entscheidung, die betroffenen Krankenhäuser tagelang nicht zu benennen. Sinnlos, überzogen und unnötig ängsteschürend war es, die Schulen zu schließen. Denn bis heute ist kein Mers-Patient bekannt, der sich außerhalb einer Klinik angesteckt hätte. Auf der Straße ist die Infektionsgefahr gering. Auch für Touristen.

Nicht politisch bequeme sondern die richtigen Entscheidungen treffen

Inzwischen kooperieren die koreanischen Behörden mit der Weltgesundheitsorganisation, die betroffenen Krankenhäuser sind bekannt, neueste Informationen werden publiziert. Zwar gab es in den vergangenen Tagen noch einige Neuinfektionen, doch die Isolation von rund 6500 Personen mit Kontakt zu Mers-Infizierten greift endlich.

Die Lehre aus dem Seouler Mers-Ausbruch ist, dass politisches Taktieren, und sei es auch nur für ein paar Tage, Menschenleben gefährdet. Nicht die politisch bequemsten, sondern die medizinisch-wissenschaftlich bestmöglichen Maßnahmen müssen ergriffen werden. Das schmälert die Rolle von Politikern keineswegs. Sie müssen lange vorher handeln, zum Beispiel für Krankenhäuser mit gut ausgebildeten Ärzten, genug Betten und Isolierstationen sorgen, damit sich hochansteckende Krankheiten in überfüllten Notaufnahmen gar nicht erst ausbreiten können. Das akute Krisenmanagement hingegen gehört in kompetente, von politischen Zwängen unabhängige Hände.

Deutscher stirbt nach Mers-Erkrankung

Das gilt auch für Deutschland. Denn auch hier ist nicht auszuschließen, dass die Mers-Infektion eines Geschäftsreisenden einmal zu spät erkannt wird und in einem "Superspreading-Event" viele Menschen anzustecken. In Seoul brauchte Mers nur ein paar Tage, um Dutzende Patienten in den Krankenhäusern zu infizieren, in deren Nähe sich der 68-jährige Geschäftsreisende aufhielt, der sich im Nahen Osten angesteckt hatte. In Deutschland konnte das bisher durch sofortige Isolation verhindert werden, obwohl auch hier seit 2013 drei Mers-Patienten behandelt wurden. Am Dienstag wurde bekannt, dass ein 65-jähriger Deutscher bereits am 6. Juni in einem Krankenhaus im niedersächsischen Ostercappeln gestorben war. Die Mers-Infektion hatte er schon überwunden, gegen die darauf folgende Lungenerkrankung war sein geschwächter Körper machtlos.

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