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Schmerzliche Erfahrung. Typisch für Migräne sind neben Kopfweh auch Übelkeit und Überempfindlichkeit gegen Licht.

© Getty Images/iStockphoto

Migräne: Neue Therapie gegen das Gewitter im Gehirn

Bei Migräneattacken können die Betroffenen oft nichts mehr tun, als sich im Bett zu verkriechen. Eine neue Therapie gegen den Kopfschmerz soll nun helfen.

Migräne ist nicht einfach Kopfschmerz. An Tagen, an denen das Nervengewitter tobt, kämpfen die Patienten nicht nur mit pulsierendem Kopfweh. Sie leiden unter Übelkeit und Erbrechen und einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht. Während die Attacken stunden- oder sogar tagelang wüten, können sich die Betroffenen oft nur noch ins Bett verkriechen, bis sich die Gewitter wieder verziehen.

Wie die Migräneattacken genau entstehen, können Forscher bis heute nicht sagen. Insofern überrascht es nicht, dass viele der klassischen Medikamente wie Beta-Blocker, Epilepsie-Mittel oder Antidepressiva gar nicht zielgenau auf die Erkrankung wirken. Ein erheblicher Teil der Patienten kann mit ihrer Hilfe die Anfälle nicht in Schach halten. Oder es treten unerwünschte Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Müdigkeit auf. Doch derzeit keimt Hoffnung in der Forschergemeinde auf.

Der Übeltäter ist überführt

Es beginnt alles in den 1990er Jahren. Der Mediziner Lars Edvinsson von der Universität Lund in Schweden untersucht Patienten, die wegen starker Migräne in der Notfallambulanz Hilfe suchen. Über die Drosselvene, dem Blutabfluss des Gehirns, nimmt er unter die Lupe, welche Stoffe während eines Anfalls im Kopf der Betroffenen ausgeschüttet werden. Zu seiner Überraschung stößt er nur auf eine einzige Substanz: das Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP). Dieses Neuropeptid wird von Fasern des Trigeminusnerven freigesetzt, der Berührungs- und Schmerzempfindungen von Gesicht und Stirn zum Gehirn weiterleitet. Edvinsson vermutet, CGRP löse die Migräneattacken aus, indem es die Blutgefäße im Gehirn erweitert.

Doch allmählich stellt sich heraus, dass das Peptid nicht nur Blutgefäße weitet, sondern auch ein Botenstoff ist, der an der Schmerzweiterleitung beteiligt ist. Als Forscher später die Substanz in das Blut von Migränepatienten spritzen und innerhalb von Stunden migräneähnliche Kopfschmerzen auslösen, ist CGRP endgültig als Übeltäter überführt. Möglicherweise macht die übermäßige Ausschüttung des Botenstoffs den Trigeminusnerv für Signale empfindlich, die normalerweise harmlos sind. Es kommt in der Folge zu einer Entzündung in den Nerven, die an das Gehirn als Schmerzsignal weitergegeben wird.

Erste Studien laufen

Welche unrühmliche Rolle CGRP auch immer genau spielen mag, Forscher wollen den Botenstoff an seinem Tun hindern, und zwar mit Antikörpern. Per Spritze injiziert sollen diese je nach Ansatz entweder an die Botenstoffe selbst binden und sie neutralisieren oder deren Andockstellen blockieren und damit ihre Wirkung unterbinden. Da es sich bei den Antikörpern um große Moleküle handelt, können sie nicht durch die Blut-Hirn-Schranke schlüpfen, die das Gehirn vor potenziellen Giftstoffen aus dem Blutkreislauf abschirmt. Sie wirken daher in erster Linie an Stellen des Trigeminusnerven außerhalb des Gehirns. Das Ziel der Therapie ist es, den Gewittern vorzubeugen, bevor sie sich zusammenbrauen.

Derzeit liefern sich gleich vier Pharmaunternehmen ein Rennen um den ersten zugelassenen Antikörper. Die ersten klinischen Studien haben bislang an noch relativ kleinen Patientengruppen von jeweils einigen hundert Personen die Verträglichkeit und Wirksamkeit der Antikörper geprüft. In zwei Studien mit einem Wirkstoff des israelischen Pharmaunternehmens Teva Pharmaceuticals beispielsweise haben Forscher rund 300 Patienten mit episodischer und mehr als 250 Patienten mit chronischer Migräne unter die Lupe genommen. Über drei Monate hinweg injizierten sie den beiden Gruppen monatlich Antikörper gegen CGRP.

Neues Medikament könnte nicht allen helfen

Bei den Patienten mit episodischer Migräne ging die Zahl der Kopfschmerzattacken bei mehr als 50 Prozent der Probanden um die Hälfte zurück. In einer Kontrollgruppe, die nur ein Plazebo (Scheinmedikament) bekommen hatte, erreichten dagegen nur 28 Prozent einen vergleichbar positiven Effekt. Unter den chronisch Migräne-Geplagten fiel das Ergebnis ähnlich aus. Vergleichbar ist auch die Bilanz bei einem Antikörper, der von dem Biotechnologieunternehmen Amgen entwickelt wurde, wie eine Studie im Fachblatt „The Lancet Neurology“ zeigt.

„Es gibt Patienten, bei denen verringern sich die Kopfschmerztage um 50 bis 70 Prozent,“ sagt Volker Limmroth, Direktor der Klinik für Neurologie und Palliativmedizin in Köln-Merheim. Das sei beeindruckend und für Patienten, bei denen sonst wenig helfe, ein Segen. Bei anderen hingegen reduzierten sich die Attacken lediglich um wenige Stunden pro Monat, was für die Betroffenen auch schon eine Erleichterung sei. Limmroth macht allerdings eine Einschränkung: Die Antikörper werden nicht bei allen Patienten wirken. „Möglicherweise werden wir Patienten finden, bei denen GCRP in der Entstehung der Migräne eine zentrale Rolle spielt, und andere, bei denen vielleicht ein anderer Botenstoff wichtiger ist.“ Dennoch sei die neue Medikamentengruppe ein großer Fortschritt.

Nebenwirkungen müssen noch genauer erfasst werden

Ernsthafte Nebenwirkungen förderten die bisherigen Studien nicht zutage. Am häufigsten berichteten Patienten von Schmerzen und einem Jucken an der Injektionsstelle. „Die Antikörper sind sehr gut verträglich“, sagt Limmroth. Hans-Christoph Diener von der Universitätsklinik Essen, der an Wirkstofftests der Firma Teva Pharmaceuticals beteiligt ist, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Er sieht allerdings ein Problem, wenn es bei einem der Patienten zu einer Hirnhautentzündung kommen sollte. „Normalerweise können die Antikörper die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden“, sagt Diener. Bei einer Hirnhautentzündung werde diese Barriere aber undicht und die Antikörper könnten ins Gehirn schlüpfen. „Was sie dort anrichten könnten, ist bisher nicht bekannt.“

Für Migränepatienten heißt es bislang noch warten. Um die Wirksamkeit, aber auch die Sicherheit und Verträglichkeit noch besser prüfen zu können, laufen gerade weltweit Studien an größeren Patientengruppen. Auf diesem Weg lassen sich auch mögliche seltenere Nebenwirkungen erfassen. Doch mit etwas Glück brauen sich bei einem Teil der Migränepatienten in Zukunft seltener Gewitter im Kopf zusammen.

Christian Wolf

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