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Das Kohlekraftwerk Niederaußem in Nordrhein-Westfalen zeichnet sich gegen die untergehende Sonne ab.

© imago/C. Hardt

Mitautor des neuen Klimaberichts: „Regierungen müssen Pläne für neue Kohlekraftwerke streichen“

Trotz hoher Energiepreise sollten Länder nicht in Kohle, Öl und Gas investieren, sagt der Klimaexperte Elmar Kriegler – und erklärt, was Hoffnung macht.

Herr Kriegler, in den Szenarien des neuen Klimaberichts bekämpft die Weltgemeinschaft die Klimakrise mit unterschiedlichen Ergebnissen. Wie wahrscheinlich kann die Menschheit die 2-Grad-Grenze mit dem jetzigen Kurs einhalten?
Wenn die jetzigen Klimaschutzpläne der Länder bis 2030 realisiert werden und nichts darüber hinaus passiert, reißt diese Politik schon einmal die 1,5-Grad-Grenze. Auch die 2-Grad-Grenze lässt sich dann nur noch sehr schwer einhalten. 

In so einem Fall wären nach 2030 starke Emissionsreduktionen notwendig – aber nicht absehbar, ob die Menschheit dann noch die Kurve beim Klimaschutz kriegen kann. Besonders kontraproduktiv wäre es, jetzt noch mehrere Jahre lang klimaschädliche fossile Infrastruktur zu fördern und zum Beispiel Pipelines oder Kohlekraftwerke auszubauen.

Welche Rolle spielt fossile Energie in Zukunft, wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen?
Regierungen und Unternehmen müssen vor allem Pläne für neue Kohlekraftwerke streichen, wie sich dem Bericht entnehmen lässt. Für das 1,5-Grad-Ziel muss bis 2050 die Kohlenutzung weltweit fast vollständig beendet werden, und auch die Nutzung von Öl und Gas ohne direkte CO2-Speicherung am Kraftwerk um ungefähr zwei Drittel gegenüber dem Niveau von 2019 abgesenkt werden.

Russlands Krieg schafft in Europa kurzfristig eine Nachfrage nach klimaschädlicher Kohle als Ersatz für russisches Gas. Wie wird der „Störfaktor“ Krieg bei der Modellierung von Klimaschutz-Szenarien berücksichtigt?
Krieg ist in der aktuellen Studienlage kaum Teil von Klimaschutzszenarien. Vereinzelt beschäftigen sich Untersuchungen mit externen Schocks wie zum Beispiel der Corona-Pandemie und wie sich das kurzfristig auf die globalen Emissionen auswirkt. Was aber auffällt, ist: Der Krieg gegen die Ukraine wirbelt die Energiemärkte durcheinander, treibt die Preise in die Höhe und macht Regierungen nervös. 

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Das steigert die Gefahr, dass Länder in ihrer Verzweiflung stark auf heimische Kohle oder Flüssiggas setzen und einen „Lock-in“ herbeiführen – also die Abhängigkeit von fossilen Energien auf Jahre zementieren, statt zu verringern. In so einer Schock-Situation müssen Regierungen kurzfristig die Nerven behalten und mittelfristig umso schneller aus den fossilen Energien für den Klimaschutz aussteigen.

Elmar Kriegler ist Mitautor des neuen Klimaberichts vom Weltklimarat und Experte für langfristige Klimaschutzszenarien.
Elmar Kriegler ist Mitautor des neuen Klimaberichts vom Weltklimarat und Experte für langfristige Klimaschutzszenarien.

© PIK/Karkow

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck will die deutschen Treibhausgasemissionen mit dem zügigen Ausbau von Wind- und Solarenergie reduzieren. Ist dieser Fokus sinnvoll?
Grundsätzlich schon. Wind- und Solarenergie sind die beiden Schlüsseltechnologien, um den ganzen Energiesektor zu dekarbonisieren – also CO2-frei machen –, was enorme positive Folgewirkungen für den Klimaschutz hat. Ausgehend von dieser Basis lässt sich der Industrie-, Transport- und Gebäudesektor dekarbonisieren, weil sich mit erneuerbaren Energien Elektromotoren, Wärmepumpen und klimafreundliche Industrieanlagen betreiben lassen. 

Dadurch wird Deutschland unabhängiger von fossilen Brennstoffen. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien müssen aber unter anderem auch Gebäude energieeffizienter werden und die Emissionen in der Landwirtschaft sinken. Das bedeutet zum Beispiel weniger Nutztierhaltung – also weniger Fleischkonsum und damit eine gesündere Ernährung in der breiten Bevölkerung. Das verringert den Ausstoß des kurzlebigen, aber sehr klimaschädlichen Treibhausgases Methan.

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Was ist die größte Herausforderung in den Szenarien, wo die Menschheit den Klimaschutz entschlossen vorantreibt?
Die Geschwindigkeit, mit der all die Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden müssen, ist mit Abstand die größte Herausforderung. Regierungen und Unternehmen müssen eine solche umfassende Dekarbonisierung zügig in allen Sektoren der Wirtschaft, also bei Energie, Transport, Gebäuden und so weiter, und auf der ganzen Welt einleiten. Bislang wäre das Erreichen der Klimaziele mit entschlossenem Klimaschutz gerade noch so machbar. Aber aktuell ist es noch ein langer Weg dahin – einzelne Länder wie Australien ringen sogar noch um ambitionierte Klimaziele. So lassen sich keine klaren politische Signale für Investitionen in den Klimaschutz senden.

Rauch steigt über dem polnischen Kohlekraftwerk Bełchatów auf – es ist bis heute eines der weltweit größten seiner Art.
Rauch steigt über dem polnischen Kohlekraftwerk Bełchatów auf – es ist bis heute eines der weltweit größten seiner Art.

© imago

Wie sähen solche klaren politischen Signale aus?
Weiterhin gehört dazu ein wirksamer CO2-Preis, der fossile Energieträger wie Kohle aus dem Markt drängt und erneuerbare Energien noch wettbewerbsfähiger macht. Auf europäischer Ebene gibt es einen solchen Preis für die Energiewirtschaft und Großindustrie, auf nationaler Ebene greift der CO2-Preis für Gebäude und Verkehr, also zum Beispiel für Heizöl und Sprit. 

Es wäre wichtig, diesen CO2-Preis europaweit einzuführen. Bei einer solchen Verteuerung von fossilen Brennstoffen müssen ärmere Haushalte geschützt werden, denn nur eine Politik des gesellschaftlichen Ausgleichs kann eine nachhaltige Entwicklung in der Welt voranbringen.

Welche Erkenntnisse des neuen Klima-Teilberichts geben Hoffnung?
In der Klimapolitik ist zumindest gerade viel in Bewegung. Ich benutze diese Worte, weil ich nicht sagen kann, dass schon viel erreicht worden ist – dafür tut die Politik noch nicht genug und die nötigen Investitionen fehlen. Der Klimaschutz ist zunehmend und weltweit auf der Tagesordnung, auch in weniger ambitionierten Ländern wie Indien, das bei der vergangenen Klimakonferenz in Glasgow CO2-Neutralität bis 2070 angekündigt hat. 

Klimaziele sind jedoch leicht genannt und  liegen mehrere Jahrzehnte in der Zukunft, was die Umsetzung für Regierungen weniger dringlich erscheinen lassen kann. Hoffnung macht im Klimabericht, dass die Kosten für erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie stark gesunken sind, und die Lösungen für eine klimaneutrale Welt immer günstiger und damit attraktiver werden.

Elmar Kriegler leitet die Forschungsabteilung „Transformationspfade“ beim renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo mögliche Wege zu einer klimaneutralen Welt erforscht werden.

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