zum Hauptinhalt

Moderne Bibliotheken: Krümelmonsters Bücherei

Shopping Mall der Volksbildung: Bibliotheken der Zukunft sind Treffpunkte für alle, die Medien nutzen und Kaffee trinken wollen.

„Wir haben keine Plätzchen, wir haben ausschließlich Bücher!“, erwidert der Bibliothekar dem Krümelmonster aus der Sesamstraße, das seinen Bücherwunsch beständig mit der Frage nach Essbarem beschließt. So lange, bis der Bibliothekar, korrekt mit Brille und Fliege, in Ohnmacht fällt. Was in der Sesamstraße noch als „Zusammenprall der Kulturen“ inszeniert wurde, wirft heute keine Bibliothek mehr um. Ein Café, häufig sogar ein Restaurant gehört mittlerweile selbstverständlich zur öffentlichen Bibliothek. Die leiblichen Bedürfnisse werden gegenüber den geistigen nicht mehr hintangestellt.

Die „Volksbücherei“, die gemeint ist, geht den Experten beim Berliner Symposium „My Knowledge Space“ nicht über die Lippen, nicht nur weil die Konferenzsprache auf dem Aedes Network Campus am Sonnabend Englisch ist. Dabei geht es genau darum, wenn die Bibliothek der Zukunft am Beispiel des geplanten Neubaus der Berliner Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld verhandelt wird: Gesucht wird die deutsche Public Library, eine Bücherei fürs ganze Volk, das breite Publikum.

„Bibliotheken drehen sich nicht länger um Bücher, sondern um Menschen“, sagt Claudia Lux, Direktorin der ZLB und jahrzehntelange Kämpferin für eine zukunftsfähige Berliner Bücherei. Und Jonas Fansa, Planungsberater der ZLB seit 2008, betont, man könne nicht einfach die alte Bibliothek ausräumen und alles in eine neue Hülle hineinpacken. Das Nutzerverhalten ändert sich. Darauf deuten die nackten Zahlen hin, die für die ZLB – und für Bibliotheken überall – einen Anstieg der Besuche, aber eine Abnahme der Entleihungen ausweisen. Fansa zählt eine Fülle von Motiven für den Bibliotheksbesuch auf: Menschen wollen allein arbeiten, aber nicht einsam, andere bevorzugen Gruppenarbeit. Manche erwarten Lounge-Atmosphäre, und das gastronomische Angebot spielt eine Rolle. Die klassischen Funktionen der Bücherei – Ausleihe, Informationsbeschaffung, Leseplätze – stünden nicht länger im Mittelpunkt. Immer mehr Nutzer bringen ihre eigenen Materialien, zumal ihre eigenen Digitalgeräte mit; eine Entwicklung, die sich nebenbei an wissenschaftlichen Bibliotheken wie der hiesigen Staatsbibliothek seit Jahren beobachten lässt.

Wozu dann noch Bibliotheken? Geht es nicht um so etwas wie ein Community Center, einen Treffpunkt jenseits aller ökonomischen Zielrichtung als Gegenmodell zur Shopping Mall, der vielerorts die Aufgabe der Freizeitgestaltung übertragen worden ist? Das sind Fragen, über die sich die Kultur- und Gesellschaftspolitik verständigen muss. So, wie das geplante Humboldt-Forum schon jetzt Gefahr läuft, unter dem Pragmatismus der Museumsleute zu einer lediglich etwas gefälligeren Schauvitrine für Ethnografica zurechtgestutzt zu werden, darf eine künftige ZLB nicht allein um die Funktionsprobleme der bisherigen Institution mit ihren zwei Hauptstandorten kreisen. Benutzerfreundlichkeit, ein „One-stop shop“, wie Berater Fansa das nennt, versteht sich von selbst und sagt sich leicht, ebenso wie die Forderung nach niedrigschwelligem Zugang für jedermann, unabhängig vom Bildungsstand. Es gibt nicht länger den „Unterschied zwischen gebildeten Nutzern und solchen, die gebildet werden müssen“, wie der Amsterdamer Soziologe Arnold Reijndorp mit Blick auf die reiche Bibliothekslandschaft in den Niederlanden postulieren kann. Volker Heller, Leiter der Kulturabteilung beim Berliner Senat, verlangt vom Tempelhofer Neubau in ähnlicher Weise, ein „Kommunikationszentrum der Zivilgesellschaft“ zu sein.

Etwas konkreter hört sich das bei Roland Püttmann-Helgado an, dem Strategiechef der Tempelhof Projekt-GmbH. Er verweist auf die ökonomischen Rahmenbedingungen: eine alternde Gesellschaft mit wachsendem Abstand zwischen hohem und niedrigem Bildungsniveau, und das bei weltweit zunehmendem Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte. In den USA etwa erhielten täglich 300 000 Bibliotheksbesucher Hilfe bei der Arbeitssuche.

Die öffentliche Bücherei soll ein vielfältiger Ort sein, darüber sind sich alle einig. In den Worten von Olaf Eigenbrodt, Leiter der Philologischen Bibliothek der Hamburger Universität: „Partizipation, Flexibilität, Freiheit im Auftritt, Zugang zu allen Informationen, Vielfalt der Funktionen, Spannweite von Geräusch, Zusammenkunft, Konzentration.“

Jenseits des noch ausstehenden Beschlusses der Berliner Politik, die neue ZLB für vage geschätzte 250 Millionen Euro auch wirklich zu bauen, sind die Dimensionen geklärt. Und die wären enorm: 63 000 Quadratmeter Geschossfläche, davon 33 000 Quadratmeter öffentlich; gegenüber knapp 7000 Quadratmetern in den beiden heute vorhandenen Häusern. Platz für mindestens fünf Millionen Medieneinheiten und 2000 Nutzerplätze. Mit 10 000 Besuchern täglich wird gerechnet. Bieten will man ihnen neben allen denkbaren Medien „ein attraktives Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, eine spektakuläre Architektur, vielseitige Aufenthalts- und Arbeitsumgebungen sowie gastronomische Angebote“, heißt es in der Planung.

„Pssst“, mahnt der Bibliothekar aus der Sesamstraße, als das Krümelmonster lautstark über so viele Bücher staunt. In der Bücherei der Zukunft wird das Cookie Monster darüber staunen, dass es überhaupt noch Bücher gibt. So wie in der Hauptbücherei im dänischen Aarhus. Da wurde ein Buchregal eigens ins Foyer gestellt, weil die Bibliothekare dergleichen im Getriebe zwischen Hörstation und Modeschau vermissten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false