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Fundort. Nahe der FU-Bibliothek wurden 2014 menschliche Knochen entdeckt, auf dem Gelände eines ehemaligen Kaiser Wilhelm-Instituts, an das einst auch Überreste von Auschwitz-Opfern geschickt wurden.

© imago images/Jürgen Ritter

Mögliche Verbindungen zur Kolonialzeit und Auschwitz: Die schwierige Herkunft der Knochenfunde an der FU Berlin

Woher stammen die an der Freien Universität entdeckten Skelettreste? Die Antwort ist schwierig und offenbart ein Dilemma. Ein Forschungsbericht.

Susan Pollock und Reinhard Bernbeck sind Professor*innen am Institut für Vorderasiatische Archäologie der FU.

Keller, Archive und Dachböden von wissenschaftlichen Instituten, die in der NS-Zeit tätig waren, führen bis heute zu ungeheuerlichen Entdeckungen. Manchmal werden bedenkliche Funde auch im Außenraum gemacht. So bei Bauarbeiten 2014 an der Hauptbibliothek der Freien Universität. Dort wurde eine Grube mit menschlichen Knochen angeschnitten.

Der Ort ist ehemaliges Gelände des Kaiser Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWIA), dessen menschenverachtende Wissenschaft historisch gut untersucht ist. Der hochproblematische und oft beschriebene Umgang mit diesen 2014 gefundenen Knochen seitens der Freien Universität als auch des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin braucht hier nicht wiederholt werden.

Uns geht es vielmehr darum, die nachfolgenden, von Universität, Max Planck-Gesellschaft und Landesdenkmalamt initiierten archäologischen Nachforschungen der Jahre 2015 und 2016 zu erläutern, da sie in ein historisches und gedenkpolitisches Dilemma führen.

Er sammelte, was er in den damaligen Kolonien an sich bringen konnte

Das 1927 gegründete KWIA beherbergte Sammlungen aller Art, auch solche aus Kolonialkontexten, wie wir aus Akten des Gründungsdirektors Eugen Fischer wissen. Fischer hatte seine Laufbahn unter anderem mit rassistischen Untersuchungen zu den „Rehobother Bastarden“ im heutigen Namibia, damals deutsche Kolonie, begonnen.

Wie alle Anthropologen seiner Zeit sammelte er, was er an Skelettresten in den damaligen Kolonien an sich bringen konnte. Daneben war die riesige „Luschan-Sammlung“ von 1928 bis 1943 im KWIA untergebracht.

Doch auch sterbliche Überreste von Auschwitz-Opfern wurden hierher gesandt. Das berichtete Miklos Nyiszli, der gezwungen war, als Assistent des perfiden Auschwitz-Arztes Josef Mengele zu arbeiten.

Restbestände der 2014 entfernten Knochen

Unsere Ausgrabungen im ehemaligen Institutsgarten erlaubten es uns, Restbestände der 2014 entfernten Knochen zu bergen. In diesem Zusammenhang entdeckten wir weitere Gruben, von denen zwei Menschenknochen enthielten. Zum besseren Verständnis nennen wir die 2014 zerstörte Grube A, eine direkt daneben entdeckte ungestörte Grube B und eine näher an der Bibliothek gelegene C.

In diesen und anderen Gruben fanden sich zudem Tierknochen, die großenteils von typischen Labortieren stammen.

Der Zusammenhang mit dem KWIA steht auch aufgrund von Nummerierungsmarken, die zwischen den Knochen gefunden wurden, außer Frage.

Das Bild zeigt gefundene Kunststoffmarken sowie einen Metallaufhänger.
Das Bild zeigt gefundene Kunststoffmarken sowie einen Metallaufhänger.

© Susan Pollock mit Genehmigung des Landesdenkmalamtes Berlin

Eine ausführliche, zerstörungsfreie Analyse der über 16.000 geborgenen Fragmente von Menschenknochen aus den drei Gruben durch die Anthropolog*innen Emmanuel Petiti und Julia Gresky zeigt, wie schon im Februar in einem öffentlichen Vortrag erläutert und auch im Tagesspiegel ausführlich berichtet, dass die Gebeine von mindestens 54, eventuell mehr als 100 Personen unterschiedlichsten Alters stammen.

Die Herkunft der Knochen wird ungewiss bleiben

Ungewiss hingegen ist die Herkunft der Knochen – und sie wird ungewiss bleiben. Dieses bedauerliche Negativ-Ergebnis lässt sich allerdings in einer Hinsicht präzisieren: Es gibt ausreichende Indizien – nicht aber Beweise – dafür, dass die Knochen der drei Gruben unterschiedliche Ursprünge haben.

  • Jede der drei Gruben wurde separat auf Skelettpartien hin untersucht. Grube C enthielt im Gegensatz zu den beiden anderen hauptsächlich Schädel- und Kieferpartien
  • Im Boden eingelagerte Knochen zeigen oft Veränderungen an der Oberfläche, die durch die chemische Zusammensetzung des umgebenden Erdreichs entstehen. Die Knochen der Grube C unterscheiden sich auch in dieser Hinsicht von den Gruben A und B.
  • Grube C enthielt neben fragmentierten Gebeinen große Pflastersteine, Teerpappe und Styropor aus den 1960er bis 70er Jahren. Wahrscheinlich hatten Arbeiter beim Bau der Bibliothekserweiterung eine Grube mit Schädeln entdeckt und deren Inhalt im Anschluss mit anderen Resten vor Ort wieder vergraben.

Vieles weist also darauf hin, dass der Inhalt von Grube C eine andere Herkunft hat als die Gruben A und B.

Die Grube C ist hier zu sehen, mit Pflastersteinen nach Ausgrabung.
Die Grube C ist hier zu sehen, mit Pflastersteinen nach Ausgrabung.

© Landesdenkmalamt/Susan Pollock

Nur die 2016 entdeckte, ungestört gebliebene Grube B ließ eine kleinteilige Analyse der Entsorgungspraktiken des KWIA zu.

Dabei zeigte sich, dass in dieser Grube unterschiedliche Knochenkollektionen vergraben wurden. Ihr Inhalt bestand aus vier Schichten: einer oberen Sandlage; einer dichten Packung von klein zerstückelten Gebeinen, die vermischt mit runden Marken waren; darunter eine Gipsabformung eines toten Mannes, dessen Kopf fehlte; und unter der Abformung zwei große Knochen.

Gefunden wurden auch Knochen von größeren Säugetieren

Zumindest ein Teil der oberen Knochenschicht dürfte aus ehemaligen archäologischen Sammlungen des Instituts stammen. Denn zwischen ihnen befanden sich auch Knochen von größeren Säugetieren. Von einem Rinder- und einem Schaf- oder Ziegenknochen wurden Radiokarbon-Analysen angefertigt, die in das 2. Jahrtausend v.u.Z. datieren.

Es ist wahrscheinlich, aber wiederum nicht beweisbar, dass auch einige Menschenknochen aus ursprünglich archäologischen Kontexten herrühren. Denn auch Fischer war archäologisch tätig gewesen.

Ein weiteres Indiz hierfür sind menschliche Gebeine, die teilweise zerbrochen und anschließend wieder zusammengeklebt worden waren. Teils waren die geklebten Bruchflächen nicht frisch, sondern mit einer Patina behaftet, die Knochenmaterial zukommt, das längere Zeit im Boden lagert. Diese Knochen waren also dem Boden entnommen und später wieder vergraben worden.

Der Abdruck der Druckerschwärze erwähnt die Russische Revolution

Es wäre allerdings ein Fehlschluss, alle Gebeine dieser Grube einem archäologischen Ursprung zuzurechnen. Denn die zwei Knochen unter der Gipsabformung waren deutlich besser erhalten und haben eine glattere Oberflächenstruktur als die anderen Knochen.

Die Gipsabformung einer männlichen Leiche wirft weitere Fragen auf. Die Abformung kann datiert werden, da ihr Inneres mit zerknülltem Papier gefüllt worden war. Der entzifferbare Abdruck der Druckerschwärze erwähnt die russische Revolution. Die früheste Datierung ist also 1917. Weitere Zuordnungen sind derzeit nicht möglich.

Ein Indiz, dass die Gruben nicht gemeinsam angelegt wurden

Schließlich konnten wir Reste der Grube A erfassen, deren Knochen in der Gerichtsmedizin gelandet waren. Die von uns identifizierten Reste enthalten, ebenso wie Grube B, neben Menschenknochen auch solche von Versuchstieren. In Grube B waren dies jedoch fast nur Teilskelette von Ratten, während in den Resten der Grube A fast nur Kaninchen enthalten waren. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass die beiden Gruben nicht in einem gemeinsamen Entsorgungsprozess angelegt worden waren.

Auch hier im Bild das Profil einer Grube, mit schräg nach links abfallenden Schichten. Die Aufnahme wurde vor Ausgrabung des Befunds gemacht.
Auch hier im Bild das Profil einer Grube, mit schräg nach links abfallenden Schichten. Die Aufnahme wurde vor Ausgrabung des Befunds gemacht.

© Susan Pollock mit Genehmigung des Landesdenkmalamtes Berlin

Insgesamt weisen archäologische Indizien deutlich auf unterschiedliche Ursprünge für jede einzelne der drei Gruben hin. Die einzige ungestörte archäologisch untersuchte Grube B zeigt zudem Gruben-intern eine uneinheitliche Herkunft der Gebeine.

Wann die Knochen in die Gruben A und B gelangt sind, kann nicht genau spezifiziert werden. Beide Gruben wurden zwischen 1927 und 1945 ausgehoben, allerdings fehlen Indizien, dass dies mit der anrückenden Roten Armee in Verbindung stand.

Respektloser Umgang mit menschlichen Überresten

Der Dahlemer Knochenfund bezeugt den respektlosen Umgang mit menschlichen Überresten, der zur verbrecherischen und rassistischen Wissenschaft des KWIA passt. Menschenknochen wurden nicht bestattet, sondern in Gruben geworfen.

Diese Haltung sterblichen Überresten gegenüber war allerdings weit verbreitet. Sie basierte auf der Ansicht, Gebeine seien wissenschaftliche Objekte, die wie Blätter für Herbarien gesammelt wurden. Sie ist bei Rudolf von Virchow ebenso zu finden wie bei Felix von Luschan oder Eugen Fischer.

Für Privat- und Institutssammlungen wurden Schädel und ganze Skelette in ruchloser Manier in Kolonien ergattert oder auf europäischen Märkten gekauft. Zur Zeit der Gründung des KWIA war diese Sammelleidenschaft am Abklingen, da man sich der Genetik zuwandte.

Auschwitz kann als Herkunftsort für einen Teil nicht ausgeschlossen werden.

Alle archäologischen Indizien deuten also darauf hin, dass die geborgenen menschlichen Reste, wie jede andere Sammlung auch, aus unterschiedlichsten Regionen und Zusammenhängen kamen. Auschwitz kann als Herkunftsort für einen Teil davon nicht ausgeschlossen werden.

Doch wenn Götz Aly jetzt einen Beitrag in der „Berliner Zeitung“ zu dem Dahlemer Befund mit „Alle Spuren führen nach Auschwitz“ überschreibt, so entspricht dies nicht den Tatsachen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen gegen weitere Forschungen an den Knochen

Spuren führen in viele unterschiedliche Richtungen. Zwar ist gut bekannt, dass Josef Mengele als ehemaliger Assistent dem letzten Leiter des KWIA, Otmar von Verschuer, eng verbunden war. Das KWIA bestellte „Präparate“ in Auschwitz, für die Mengele Menschen grausam quälte und tötete. Genauso gut bekannt ist jedoch, dass das Institut menschliche Gebeine aus kolonialen Zusammenhängen gesammelt hatte.

Da Zentralräte der Juden in Deutschland, der Sinti und Roma als auch Selbstorganisationen von Nachkommen ehemals Kolonisierter keine weiteren Nachforschungen an diesen Knochen wünschen, verbietet sich jede weitere Analyse.

Auch die Entscheidung zu weiteren Grabungen steht nicht den Spezialist*innen aus Geschichte und Archäologie oder Institutionen zu, sondern den genannten zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wir alle schulden den unbekannten Menschen, aus welcher Zeit und von welchem Ort auch immer sie kamen, zuallererst Respekt.

Susan Pollock, Reinhard Bernbeck

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